Dopingskandal:"Doping für Österreich"

Eine Erklärung der Wiener Blutbank Humanplasma wirft eine brisante Frage auf: Gab es eine Art Staatsplan samt politisch initiiertem Doping für Austrias Sportler?

Thomas Kistner

Ende 2005, sagt Bernhard Kohl, habe er bei der Wiener Blutbank Humanplasma dreimal Blut zu Dopingzwecken abgegeben. Zweimal sei er mit zwei Radkollegen dort gewesen, beim dritten Mal habe er zwei Leichtathleten angetroffen, darunter eine slowenische Läuferin. Das sind allein fünf Blutbank-Kunden, die, addiert man drei weitere bekannte Rabobank-Kollegen Kohls hinzu, fast ein Drittel der angeblichen Gesamtklientel von "unter 30" Leuten bilden, die Humanplasma jetzt in einer spektakulären Erklärung einräumt. Die Hälfte davon wären ausländische Profis - während nicht ein Wintersportler dabei ist. Die volle Wahrheit ist das eher nicht.

Gerade Österreichs Wintersportler gaben ja bei der Turiner Olympia-Razzia 2006 den Anstoß zu den Blutbank-Ermittlungen. Um Wintersportler muss es auch gegangen sein, als die Blutbank-Bosse 2003 von höherer Stelle angehalten wurden, zur "Chancengleichheit" ihrer nationalen Sporthelden beizutragen. So stellt es die Firma selbst dar: Sie sei um "Abnahme von Erythrozyten und deren Lagerung" gebeten worden, sagt Firmensprecherin Michaela Eisler der SZ. Und das sei ja nicht strafbar gewesen.

Hat die Politik nachgeholfen?

Indes räumt sie ein, dass der Dopinghintergrund der Maßnahmen klar gewesen sei. In der Tat: Es gab keine medizinische Indikation, Sportler kamen stets "außerhalb der Geschäftszeiten" Sonntagmorgens, die Codierung der Proben verlief so klandestin wie die Zusammenstellung der Kundengruppen: Kein Klient sollte den größeren Kreis kennenlernen. Zudem ergaben Ermittlungen des Gesundheitsministeriums 2008, dass bis zu 300 verdächtige Blutbeutel bei Humanplasma gelagert worden sein könnten. Exakt nachvollziehbar war nichts mehr, die Blutbank hatte ihre Umtriebe mit dem Turin-Schock eingestellt und offenbar alle Blutbeutel vernichtet. Nicht nur Kohl sah seine drei Beutel, die er Ende 2005 für die Radsaison 2006 dort deponiert hatte, nie wieder. Zweifel sind also angebracht, dass dort nur knapp 30 Athleten getankt hätten. Auch Eisler sagt, man könne nur über das Auskunft geben, was in den Unterlagen stünde und in eigenen Räumen abgelaufen sei.

Der brisante Teil der Blutbank-Bekenntnisse ist der, in dem die Firma erklärt, dass von 2003 bis 2006 ein offenbar (sport-)politisch initiiertes Doping zur Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit betrieben wurde. Hat die Politik nachgeholfen? Gab es gar eine Art Staatsplan für Austrias Sport, der damals ja auch in einer skandalumtosten Bewerbungskampagne um die Winterspiele 2014 mit Salzburg stand? Jetzt rollen hier die Köpfe. Seit längerem bietet der Gesamtkomplex Ansatzpunkte für den Verdacht, das könnte auch den bisher recht zähen Ermittlungsgang erklären helfen. Dass die Blutbank-Leiter auspacken, ist verständlich: Sie waren offenbar nicht die Zentrale, sondern nur ein Instrument in einem größer angelegten Betrugssystem. Inwieweit die Dinge dann eine Eigendynamik entwickelten, dürfte nun leichter zu ermitteln sein. Aber auch die politischen Drahtzieher?

"Humanplasma wurde Mitte 2003 ersucht, österreichischen Sportlern international zu Chancengleichheit zu verhelfen." Dieser Satz in der Firmen-Erklärung ist Zündstoff pur. Wer hat da ersucht? Die Firma verweist auf ihre Aussagen bei der Sonderkommission Doping. Doch der Satz alarmiert nicht nur die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada, er stärkt den Verdacht, dass bei der Blutbank und im Umfeld doch eher jene Hundertschaft Athleten zugange gewesen sein könnte, über die etwa der finnische Skitrainer Kari-Pekka Kyrö berichtet hat, oder noch mehr Kunden, wie der Wiener Kurier aus Ermittlerkreisen erfahren haben will. Humanplasma erklärt ja offiziell, dass es von 2003 bis 2006 an Blutdoping mitgewirkt habe - wenn auch in bizarrem Irrglaube: "Mit Olympia 2006 in Turin wurde klar, dass Blutdoping und Beiträge dazu zwar in Österreich völlig legal, international aber eine geächtete Praxis der Leistungssteigerung waren. Daher hat man die Blutabnahmen auch zu dem Zeitpunkt gänzlich eingestellt."

Die Nada wartet auf Antwort

Wie aber können Blutexperten über Jahre hinweg ignorieren, dass Blutdoping eine "international geächtete Praxis" war - und wie sieht es mit dem internationalen Kundenkreis des Instituts und seiner Nachfahren aus?

Die deutsche Nationale Anti-Doping-Agentur will die neuen Ermittlungschancen nutzten. Das vor Monaten wegen fehlender Dopinggesetze eingestellte Verfahren gegen Humanplasma-Beteiligte läuft seit kurzem wieder, jetzt geht es um Steuerdelikte. Und die Wiener Staatsanwaltschaft erklärt, dass eine konkrete, seitens der Nada mit dem Deutschen Skiverband (DSV) abgestimmte Anfrage "sehr einfach" zur Herausgabe von Informationen führen könne, trotz laufenden Verfahrens. Nada-Chef Armin Baumert will den Weg gehen. Auch der DSV erklärt auf Anfrage, er habe die "Aufklärung von Verdachtsmomenten" stets befürwortet. Und: "Sollte trotz offensichtlich noch laufender Ermittlungen Akteneinsicht in das neue Verfahren möglich sein, werden wir dies unterstützen."

Nada-Justitiarin Anja Berninger saß am Dienstag mit ihren österreichischen Kollegen beisammen, bei einem Routinetreffen der Nadas aus Deutschland, Austria, Schweiz und Frankreich in Paris. "International", sagt sie, "wird es spannend. Die Österreicher kommen jetzt voran, auch was die mögliche Teilnahme ausländischer Athleten angeht." Sie erwartet schon in Kürze Nachricht. Dann werde entschieden, wie die Nada in der Sache vorgehen wird.

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