Dopingprobleme im Radsport:"Man kann da wenig machen"

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Wer ist sauber im Feld? Das Peloton beim Rennen Paris-Nizza. 

(Foto: AFP)

Die erste Radsport-Saison nach dem Armstrong-Geständnis beginnt vertraut: Die Rennen Paris-Nizza und Tirreno-Adriatico, die ersten Höhepunkte im Kalender des dopingverseuchten Sports, gehen unter dem Einfluss neuer Betrugs-Enthüllungen zu Ende. Das bizarre Parallelprogramm findet anderswo statt: vor Gerichten und Kommissionen.

Von Andreas Burkert

Der dritte Monat läuft nun auch im neuen Jahr des Radsports, der seine Saison zeitig am anderen Ende der Welt beginnt, in Australien. Das Jahr des x-ten Neuanfangs hat bisher aber noch niemand ausgerufen im Peloton, ins Mark traf die Szene das aufsehenerregende Dopinggeständnis des Lance Armstrong, wenngleich die Grundaussage seiner halbgaren Beichte niemanden überrascht haben wird. Und die Geschichten bleiben ja immerzu dieselben, nicht nur auf den Landstraßen, wo im Frühjahr 2013 das im Vorjahr erstaunlich dominante Team Sky auch die ersten wichtigen Etappenrennen prägt. Unter dem Eindruck des Operación-Puerto-Prozesses in Madrid und der Enthüllungen zum langjährigen Dopingsystem beim niederländischen Rabobank-Rennstall liefen nun die ersten Höhepunkte des Velo-Kalenders, das 71. Paris - Nizza und der 48. Tirreno - Adriatico (Schlussetappe am Dienstag): Das bizarre Parallelprogramm besteht auch 2013 aus Rennergebnissen hier und Dopingvorwürfen dort, wo der Radsport inzwischen ebenfalls stattfindet: vor Gerichten und Kommissionen.

In den Niederlanden wird gerade mit löblicher Akribie die schmutzige Vergangenheit aufgeklärt, und so musste es der zweimalige Vuelta-Gewinner (2005 und 2007) und Tour-de-France-Zweite von 2010, Denis Mentschow, ertragen, dass ihn an der Côte d'Azur kaum jemand zu seiner Frühform befragte - sondern eher zu den Dopingvorwürfen, die jetzt sein einstiger Kollege Michael Rasmussen erhoben hat.

Der 38-jährige Däne ist eine schillernde Figur im Betrugsschauspiel des Radsports. 2007 stürmte Rasmussen, bei Rabobank assistiert auch von Mentschow, in Frankreich dem Toursieg entgegen - ehe er in Gelb kurz vor Paris absteigen musste wegen bekannt gewordenen Verwarnungen zu verpassten Dopingtests und Lügen bei Meldeangaben. Monate später wurde ihm in Tests auch Dynepo nachgewiesen, zudem war Rasmussen stets in der Wiener Blutbank-Affäre um den österreichischen Sportmanager Stefan Matschiner genannt worden - wie auch Mentschow, der damals wie heute alle Vorwürfe zurückwies.

Ende Januar hat Rasmussen allerdings ein umfassendes Dopinggeständnis für die Zeit von 1998 bis 2010 abgelegt. Nun lieferte er vor einem Gericht in Arnheim weitere Details. Er hat seinen einstigen Rennstall Rabobank auf 5,6 Millionen Dollar Schadenersatz verklagt wegen der Kündigung - schließlich habe die Teamleitung vom Blutdoping gewusst: "Während der Tour 2007 haben wir Epo im Bus der Teamleitung aufbewahrt. Ich erhielt es jeden zweiten Abend."

Rasmussen belastete namentlich - und unter Eid - auch das niederländische Idol Michael Boogerd, das noch im Februar alles leugnete - und nun ebenfalls eine auf Lug und Trug begründete Karriere einräumen musste. Und er belastete Mentschow: "Denis Mentschow, Michael Boogerd und ich erhielten (bei der Tour) Blutdoping."

Mentschow, 35, ist inzwischen Kapitän des umstrittenen Katjuscha-Teams, am Freitag belegte er Platz zwei bei der fünften Etappe von Paris - Nizza hinter dem Mann im Gelben Trikot: Richie Porte aus Australien, Team Sky. Auch bei der 100. Tour im Juli will Mentschow wieder einen Angriff aufs Podium nehmen. Die tristen Geschichten bleiben dem Radsport demnach erhalten, wobei Mentschow nur einer unter vielen ist. Vom umstrittenen Weltverband UCI oder vom russischen Nationalverband sind auch in seiner Sache kaum Ermittlungen zu erwarten. Alles wie gehabt.

Neue Generation neben alten Betrügern

Und so stehen die jungen Fahrer der nächsten Generation weiterhin neben den Betrügern von einst und neulich. "Ich muss halt versuchen, mich auf mein eigenes Rennen und meine Ziele zu konzentrieren", sagt der deutsche Sprinter Marcel Kittel am Sonntagvormittag vor dem abschließenden Bergzeitfahren in Nizza: "Man kann da als Rennfahrer wenig machen."

Kittel, 24, hat in Nizza die Auftaktetappe gewonnen und sich schon anderweitig einen Namen gemacht. Im Herbst, nach Armstrongs Enttarnung durch die US-Dopingjäger samt Aberkennung von sieben Tour-Titeln, beklagte er öffentlich den unzureichenden Anti-Doping-Kampf und die fortwährende Unterstützung Armstrongs durch ältere Fahrer ("da wird mir schlecht"). "Viel positives Feedback" habe er darauf erhalten, erzählt der Arnstädter, und die Aufklärung in den Niederlanden stimme ihn zuversichtlich. "Da gibt es eine Wahrheitsfindungs-Kommission vom Verband, das ist schon ein Unterschied zu Deutschland", sagt der Profi von Argos-Shimano mit Blick auf die unvollendete Arbeit der Instanzen in Sport und Justiz zum Team-Telekom-Dopingsystem.

Die Tour de France ist erneut auch Kittels Ziel. Nach Lage der Dinge dürfte die Rundfahrt vom Duell der Sky-Flotte um den britischen Titelverteidiger Bradley Wiggins und Landsmann Christopher Froome mit Alberto Contador geprägt werden. Der Spanier kehrt nach seiner Dopingsperre zurück, obwohl er im Puerto-Skandal ein Thema sein müsste. Während Porte am Sonntag das Zeitfahren und damit erstmals in Nizza gewann, ist Sky-Kollege Froome beim Adriatico bereits in Hochform. Der schon 27-jährige Newcomer, bei der Tour wohl Kapitän anstelle von Wiggins, hielt samstags auf der Königsetappe (auf der Tony Martin sechs Minuten verlor) Contador in Schach. Seit Sonntag ist er Erster.

Über Team Sky hat Kronzeuge Rasmussen vorige Woche nur indirekt gesprochen. "Leinders hing die Blutbeutel an die Wand und setzte die Infusionsnadeln", sagte er da. Vom langjährigen Rabobank-Arzt Geert Leinders trennte sich Team Sky im Oktober nach anhaltenden Verdächtigungen.

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