Dopingmittel bei Hobbysportlern:Die Muskel-Mafia

Bei einer weltweiten Razzia gegen Anabolika-Händler wird deutlich, dass Doping im Freizeitsport gefährliche Ausmaße angenommen hat.

Thomas Hahn und Marc Widmann

Punkt elf Uhr stürmten die Polizisten das illegale Dopinglabor im hessischen Kronberg, und was sie sahen, überraschte selbst die Profis des Frankfurter Zolls. Der Raum im Keller glich einer engen, schmuddeligen Abstellkammer. In der Ecke lehnten alte Skier. Direkt daneben standen frisch angerührte Dopingmittel, abgedeckt mit einer Art Krepppapier. Und in einem alten Kühlschrank lagerten 18 Plastikflaschen, in denen früher Mineralwasser oder Apfelsaft verkauft wurde. Darin schwappten zwölf Liter fertiger Injektionslösung, eine milchige Suppe - anabole Steroide, wie sie sich Bodybuilder in die Muskeln spritzen, um auszusehen wie Supermänner.

Dopingmittel bei Hobbysportlern: Echt oder mit Pillen nachgeholfen? Viele Hobby-Bodybuilder nehmen Anabolika, um riesige Muskeln zu bekommen.

Echt oder mit Pillen nachgeholfen? Viele Hobby-Bodybuilder nehmen Anabolika, um riesige Muskeln zu bekommen.

(Foto: Foto: dpa)

Von sterilen Laborbedingungen konnte in dem Keller keine Rede sein. ,,Das war ein Panschen, was da passiert ist'', sagt Hans-Jürgen Schmidt vom Frankfurter Zollfahndungsamt, ,,die Produkte waren möglicherweise verschmutzt''. Gummihandschuhe, mit denen der Betreiber die Übertragung von Bakterien hätte verhindern können, fanden die Beamten jedenfalls keine. Der Verdächtige, ein 30-Jähriger aus Königstein, ist selbst Bodybuilder. Unter einem Firmenkürzel verkaufte er die selbstgemischten Doping- und Arzneimittel im Internet. Über das Netz erhielt er auch seine Rohstoffe, meist von dubiosen Händlern in China.

260.000 Tabletten

Der Schlag gegen das Labor in Kronberg war Teil einer weltweiten Aktion. In Deutschland durchsuchten die Fahnder Donnerstag und Freitag fünf versteckte Dopinglabors, dazu zahlreiche Wohnungen. In Köln stießen sie auf 260.000 Tabletten und Ampullen mit Anabolika. In Minden nahmen sie einen 46-jährigen Laborbetreiber fest. Auch in Hamburg und Konstanz wurden sie fündig.

Zur gleichen Zeit nahmen Ermittler in den USA 56 Drogenküchen hoch und stellten 6,5 Millionen Dollar sicher. Auch in acht weiteren Staaten - darunter Mexiko, Kanada, Belgien und Schweden - griffen die Beamten zu. Hygienisch waren die Verhältnisse nirgendwo: Von ,,gefährlichen Drogen, die in dreckigen Umgebungen ohne Rücksicht auf die Sicherheit gekocht wurden'', spricht Karen Tandy, Geschäftsführerin der US-Antidrogenbehörde DEA. Sie koordinierte die Aktion unter dem Codenamen ,,Raw Deal'', auf Deutsch: rohes Geschäft.

Die Razzien gewähren Einblick in die Apotheke des ganz normalen Freizeitsportler-Alltags in Deutschland. Doping im Breitensport ist eine plumpe Wissenschaft, bei der sich die Sportler hinter dem Recht verschanzen, selbst entscheiden zu dürfen, was ihnen gut tut. Dopingtests müssen sie keine fürchten, die Einnahme von Anabolika ist bislang straffrei. Allein die Händler müssen wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz mit drei bis zehn Jahren Haft rechnen.

Die Muskel-Mafia

Verlässliche Zahlen fehlen, aber ein paar Daten gibt es schon, welche die Dimension des Problems zumindest andeuten. Eine Umfrage unter 621 Fitnessstudiobesuchern in Süddeutschland ermittelte vergangenes Jahr, dass 19,2 Prozent der Männer Dopingmittel schluckten oder spritzten. Bei den Frauen gaben 3,9 Prozent den Dopingkonsum zu. Sabine Bätzing (SPD), die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, zeigte sich kürzlich bei der Vorstellung ihres Jahresberichts alarmiert: ,,Wir gehen davon aus, dass 200.000 Breitensportler Dopingmittel zu sich nehmen'', sagte sie.

Wenn Jörg Börjesson all jene Hobby-Athleten dazurechnet, die sich außerhalb von Fitnessstudios und Klubs dopen, glaubt er sogar, dass die Zahl bei einer Million Freizeitdopern liegt. Börjesson ist einer der bekanntesten Antidoping-Aktivisten Deutschlands. Er war früher selbst Bodybuilder, hat die Nebenwirkungen am eigenen Leib gespürt und begriffen, welcher Wahnsinn es ist, Kräfte haben zu wollen, die man auf natürlichem Weg nicht bekommen kann. Heute klärt er auf über die lebensgefährlichen Folgen und ist zum Ansprechpartner für anonyme Doper geworden. Manchmal hat er besorgte Mütter am Telefon, die unter dem Bett ihres Sohnes Dopingmittel gefunden haben.

Die Pharmaindustrie verdient ordentlich mit

Börjesson beobachtet die Doping-Szene noch immer ganz aus der Nähe, etwa auf der Essener Fitness-Messe FIBO, die auf Parkplätzen und in Hinterzimmern auch eine wichtige Börse für die Doping-Dealer ist, wie er sagt. Und daraus ergibt sich für ihn das Bild eines mafiösen Betriebs, an dem auch die Pharmaindustrie ordentlich verdient und der verblendete Körperfetischisten auf bequemen Wegen mit den vermeintlichen Wunderpillen versorgt. ,,In jedem Fitnessstudio hat man seine Möglichkeiten, Kontakt zu knüpfen'', sagt Börjesson. Über das Internet geht es noch einfacher, an muskelaufbauende Präparate wie Testosteron, Wachstumshormone (HGH) oder andere Steroide heranzukommen. Auf einer einschlägigen Seite lockt ein Link ,,HGH online bestellen; Geld-Zurück-Garantie. Keine Versandkosten''. Oder die Aufforderung ,,Buy Testosterone Pills''.

Anabolika sind für Börjesson ,,die Droge des 21. Jahrhunderts'', er sagt: ,,Anabolika haben Heroin offensichtlich abgelöst.'' Und er sieht darin einen Reflex auf die Ideale, welche die moderne Leistungsgesellschaft den Menschen abverlangt. Sie finden sich in vielen gesellschaftlichen Bereichen wieder, zum Beispiel unter Hollywood-Stars. ,,Die spritzen sich mit Anabolika auch zu ihren Filmrollen'', sagt Börjesson, und somit nimmt eine perfide Ereigniskette ihren Lauf: Jugendliche sehen die unnatürlichen Körper im Film, sind beeindruckt und wollen auch so ein Supermann-Kreuz. In den Fitnessstudios ist es dann oft ein schleichender Mechanismus, der Jugendliche zu Dopern macht. Sie mühen sich an den Geräten ab und stellen fest, dass die Muskeln nur langsam wachsen. Sie probieren Eiweißdrinks. Und wenn es auf natürlichem Weg zu langsam geht, fragen sie schließlich die bepackten Nebenleute nach Tipps oder informieren sich in Internetforen. Über die Risiken erfahren sie dabei meist weniger als über die Kraft, welche die Pillen bringen.

Mittlerweile schlucken bereits Zwölfjährige Anabolika, wie Umfragen in den USA ergaben. ,,Das Einstiegsalter sinkt'', hat Christian Brockert vom Bundeskriminalamt beobachtet. Die beschlagnahmten Kundendaten der illegalen Labore in Deutschland werden nun ausgewertet. Bislang ermitteln zehn Staatsanwaltschaften gegen 20 Verdächtige, aber die Zahl kann schnell steigen.

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