Süddeutsche Zeitung

Dopingkontrollen:Die Alternative für unsichere Flaschen: kopierbare Flaschen

  • Bei 15 bis 20 Prozent der Flaschen für Dopingproben soll es möglich sein, die Deckel unbemerkt zu öffnen.
  • Die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) empfiehlt den Kontrollinstanzen, dass diese das neueste Modell der Behälter für Urinproben nicht mehr einsetzen sollen - und auf die Vorgänger-Version zurückgreifen.
  • Doch auch diese kann nicht mehr als absolut sicher und sauber gelten.

Von Johannes Aumüller, Frankfurt

Es ist eine Bankrotterklärung für das Anti-Doping-System: Nur eine Woche vor Beginn der Winterspiele in Pyeongchang stellt sich heraus, dass die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) im Skandal um manipulierbare Flaschen für Urinproben offenkundig keine überzeugende Lösung findet. Am Mittwoch empfahl sie den Kontrollinstanzen, dass diese das neueste Modell der Probenbehälter nicht mehr einsetzen sollen. Stattdessen sollen sie auf die Vorgänger-Version zurückgreifen. Die Pointe ist nur: Auch diese kann nicht mehr als absolut sicher und sauber gelten.

In der Theorie soll es so ablaufen: Der Athlet füllt bei einem Dopingtest seinen Urin in eine Flasche, verschließt sie mit einem Deckel - und dann ist die Probe versiegelt, bis sie in einem der 34 Wada-akkreditierten Labore ein Mitarbeiter wieder öffnen kann. Aber seit der Aufdeckung des Skandals um die Winterspiele 2014 in Sotschi ist es ein großes Thema, dass sich diese Flaschen nach der Probe öffnen und wieder verschließen lassen - ohne dass das Siegel bricht. Drei verschiedene Flaschen- Modelle sind zu unterscheiden, die allesamt von der Schweizer Firma Berlinger stammen. Das erste ist das Sotschi-Modell, das der russische Geheimdienst mit noch ungeklärter Methode knacken konnte. Im April 2016 kam eine neue Variante auf den Markt. Und im September 2017 die dritte, Produktname "Geneve".

Dieses wurde seitdem sukzessive eingeführt. Doch nach Lage der Dinge stellten Labore schon im Dezember vereinzelt und im Januar gehäuft Probleme fest. Die Deckel ließen sich unbemerkt öffnen und wieder verschließen. Ergo: Die Probe ließ sich manipulieren. Am 15. Januar informierte das Kölner Labor Berlinger, am 17. Januar informierte die Firma die Wada. Doch die Anti-Doping-Organisationen erfuhren davon offenkundig nichts bis zum 28. Januar, als die Wada im Vorgriff auf einen TV-Beitrag eine Mitteilung über "mögliche Integritätsprobleme" machte. Es ist eine der Kernfragen, warum vorher so wenig passierte.

Erhebliche weitere Probleme

Bei 15 bis 20 Prozent der Flaschen soll es möglich sein, die Deckel unbemerkt zu öffnen. Die Ursache ist noch unklar. Der Hersteller sagt, es liege an einer unsachgemäßen Bedienung, etwa zu viel Kraft beim Zudrehen. Nach Aufkommen der Probleme versuchte er, die Deckel zu verändern: Eine verbesserte Verschluss-Mechanik sollte es richten. Doch offenkundig verliefen die Tests nicht zufriedenstellend und fand die Wada auch keine andere Lösung. So empfahl sie die Rückkehr zu den Flaschen des Jahres 2016. Dies solle "als vorbeugende Maßnahme gesehen werden, die die Integrität des Dopingkontrollprozesses bei den Spielen garantiert", sagte Direktor Olivier Niggli. Laut IOC schlossen sich die bei Olympia für die Kontrollen zuständigen Organisationen dieser Empfehlung an.

Dabei hatten ARD-Journalisten zu Wochenbeginn dokumentiert, dass sich diese Doping-Flaschen von 2016 leicht kopieren beziehungsweise selbst herstellen lassen - in einem gar nicht so komplizierten Verfahren. Mitarbeiter mehrerer Wada-akkreditierter Kontrolllabore gaben gegenüber den Rechercheuren an, zwischen dem Original und dem Eigenbau keinen Unterschied zu sehen. Nun mag die Manipulation des "2016"-Modells etwas schwieriger sein als die der "Geneve"-Flaschen. Aber das kann nun niemanden beruhigen.

Unabhängig davon bringen die Empfehlung der Wada und das Eingeständnis der Sicherheitslücke dem Anti-Doping-Kampf erhebliche weitere Probleme. Zum einen waren von September bis Januar die neuen Flaschen im Einsatz; nicht flächendeckend, weil erst der Altbestand aufgebraucht wurde, aber oft. Es wird für Juristen im Zweifel einfach sein, eine Positivprobe aus dieser Zeit anzuzweifeln.

Zum anderen haben Kontrollfirmen oder Anti-Doping-Organisationen abseits der Winterspiele gar keine "2016"-Behälter mehr. In diesen Fällen, so die Wada, sollen die gerade disqualifizierten "Geneve"-Modelle dennoch zum Einsatz kommen - und die Labore ein "verbessertes Protokoll" erstellen. Die deutsche Anti-Doping-Agentur (Nada) teilt mit, dass die eingesetzten Kontrolleure in der Mehrzahl Restbestände der alten Flaschen hätten. Sollte das nicht der Fall sein, soll "Geneve" verwendet werden, mitsamt einer "Doppelversiegelung", die für die Sicherheit sorge. Doch das ist eine Methode, die die Wada offenkundig nicht überzeugt. Sonst hätte sie das gleich für Pyeongchang empfehlen können.

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SZ vom 02.02.2018
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