Ein mächtiges Doping-Gewitter braut sich zusammen hinter dieser Substanz mit der reichlich kompliziert klingenden Bezeichnung - und Deutschland ist mittendrin. Methylhexanamin heißt der Stoff, den die Kontrolleure bei den Spielen in Sotschi mittlerweile schon bei drei Sportlern entdeckt haben. Bei der deutschen Biathletin Evi Sachenbacher-Stehle, beim italienischen Bobfahrer William Frullani und beim lettischen Eishockeyspieler Vitalijs Pavlovs - und zu hören ist, dass noch weitere Fälle drohen.
Wie kommt es zu so einer Häufung: Durch individuelle Nachlässigkeit im Umgang mit verunreinigten Nahrungsergänzungsmitteln? Oder steckt etwas anderes hinter dieser bemerkenswerten Pannenserie? Die Gemengelage ist diffus; zumal gerade das Verhalten von Sachenbacher-Stehle und des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) allerlei Fragen offenlassen. Umso mehr, als ein geheimnisvoller Mentaltrainer die Schlüsselrolle spielt - und sich sogar schon die Staatsanwaltschaft eingeschaltet hat.
Flotte juristische Begleitung
Die juristische Begleitung dieses Falles verlief flotter und effektiver als je zuvor: Am Freitagmorgen kursierten die ersten Meldungen, wonach Sachenbacher-Stehle positiv getestet wurde. Am späten Nachmittag bestätigt die Sportlerin das selbst. Und schon am Abend durchsuchten Beamte des Landeskriminalamtes (LKA) den Olympia-Stützpunkt der Biathleten in Ruhpolding sowie zwei Privatgebäude.
Die zuständige Abteilung im Wiener Innenministerium bestätigte der SZ, dass aufgrund eines Rechtshilfeersuchens der Staatsanwaltschaft München auch Sachenbacher-Stehles Hauptwohnsitz in Österreich durchsucht wurde - und dort Substanzen konfisziert wurden. "Ob es sich bei den sichergestellten Präparaten um verbotene Substanzen nach der Wada-Verbotsliste handelt, kann erst nach entsprechenden Gutachten gesagt werden", teilten die Ermittler mit. Hintergrund der Aktion soll eine Anzeige gegen unbekannt gewesen sein, die aber nicht vom DOSB kam. Der schloss sich erst am Sonntag an.
Während die Justiz zu Hause erste Schritte unternahm, bestritt die Athletin über ihren Anwalt Mark Heinkelein jedes absichtliche Dopingvergehen. "Evi versteckt sich nicht. Sie will mit den Verbänden und der Öffentlichkeit zusammenarbeiten, um die Geschichte lückenlos aufzuklären", sagte Heinkelein dem sid und kündigte für Montag eine schriftliche Erklärung an. Derweil betrieb die DOSB-Spitze in Sotschi ihr Krisenmanagement. Zum einen versuchte sie, den Befund zu relativieren: Ein Dopingfall, ja, aber "Leute, wir sprechen hier nicht über Heroin, Epo oder sonst was", sagte Generaldirektor Michael Vesper. Auch war den DOSB-Oberen sehr daran gelegen, den Fall als unvorstellbare Naivität einer erfahrenen Athletin darzustellen, die trotz der jahrelangen Warnungen von Verband, Anti-Doping-Agenturen und Laboren Nahrungsergänzungsmittel zu sich genommen habe; an Vorsatz glauben sie nicht. Gleich "fünf, sechs, sieben Produkte", räumte Vesper dabei ein, hätte Sachenbacher bei sich gehabt.
Doch Experten ziehen diesen Ansatz in Zweifel. "Es kann Dummheit von ihr gewesen sein. Aber der, der einen Vorsatz ausschließt, ist mindestens genauso dumm", sagt der Molekularbiologe Werner Franke.
Zwar hat jeder der drei überführten Athleten einen Erklärungsansatz, wie die Substanz via Nahrungsergänzungsmittel in seinen Körper gelangte: Bobfahrer Frullani will es selbst gekauft haben, Eishockeyprofi Pavlovs gab den Arzt seines Heimatklubs Dynamo Riga an, Sachenbacher will es von ihrem Berater erhalten haben. Aber überprüft und geklärt ist all das nicht. Das Stimulans Methylhexanamin, das allein im vergangenen Jahr Hunderte Male gefunden wurde, kann durchaus eine leistungssteigernde Wirkung haben, es wirkt als Aufputschmittel. Präparate mit dem Wirkstoff können eine fettschmelzende und muskelaufbauende Wirkung haben.
Bemerkenswert ist überdies, dass Sachenbacher vor der IOC-Disziplinarkommission aussagte, sie habe einige der fünf, sechs, sieben Produkte im Labor in Köln testen lassen; bei anderen habe sie aber ganz auf die Auskunft des Beraters vertraut, dass die Mittel sauber seien. Diese Aussage heizt die Spekulationen in der Branche an. Die raunt von speziellen Abnehmmitteln oder von Tests zu den Mitteln, die 1000 Euro gekostet hätten; offiziell ist alles nicht. Weshalb verwundert, warum die IOC-Kommission diese Fragen nicht gestellt hat - und nicht mal den Namen des mysteriösen Beraters und angeblichen Versorgers von Sachenbacher erfuhr. Zumal diese ausgesagt, dass ihr Berater noch andere Sportler betreue.
Auch der Verband habe nicht gewusst, dass Sachenbacher einen solchen Mentaltrainer habe, sagte Vesper, der Mann sei auch nicht in Sotschi gewesen. Nun fordert der DOSB-General, "das Umfeld" der Athletin müsse genau überprüft werden. Eine wichtige Rolle in diesem Umfeld spielt offenbar ein Mentaltrainer aus Süddeutschland, der auf seiner Internetseite mit Referenzen von sehr vielen Spitzenathleten wirbt - bis vor Kurzem auch mit dem Namen von Evi Sachenbacher-Stehle. Jetzt ist der aber gelöscht. Dieser Mentaltrainer hat im deutschen Sport beste Kontakte, unter anderem wirbt er mit diversen Wintersport-Athleten, die in Sotschi dabei waren. Unklar ist, ob er was mit dem Dopingfall zu tun hat; auf mehrmalige Anfragen per Telefon und über seine Mail-Accounts war er am Wochenende nicht zu erreichen.
"Gehört schon wegen Dummheit gesperrt"
Am Sonntag teilte der DOSB der SZ mit, der Name des Mannes sei ihm nun bekannt. "Wir möchten aber, dass die Staatsanwaltschaft das gesamte Umfeld untersucht. Über den uns genannten Namen haben wir die Staatsanwaltschaft im Rahmen der erstatteten Anzeige informiert." Nachfragen, ob er den Mentaltrainer kontaktiert habe oder ob andere Olympiasportler, die offenbar mit dem Mann arbeiten, gesprochen hätte, beantwortete ein DOSB-Sprecher so: Alles Notwendige sei getan worden. Dopingexperte Franke sagt: "Mentaltrainer und gleichzeitig Ernährungsberater, wenn ich das schon höre. Wer mit so einem Guru zusammenarbeitet, gehört schon wegen Dummheit gesperrt."
Irritierend ist zudem, wie der DOSB nach dem Aufkommen des Dopingfalles nun mit den umstrittenen Nahrungsergänzungsmitteln umgeht. Der Sportbund verweist darauf, dass Nahrungsergänzungsmittel grundsätzlich zwar legal seien, er davor aber warne. Leistungssportdirektor Bernhard Schwank sagte am Samstag, es gäbe in der Gesamt-Olympiamannschaft keinen Vorrat an Nahrungsergänzungsmitteln. In der Praxis sieht das offenbar anders aus, wie das Beispiel des Deutschen Ski-Verbandes (DSV) zeigt. Ein DSV-Sprecher erklärte, der Verband erhalte von zwei Herstellern Nahrungsergänzungsmittel, die von unabhängigen Stellen geprüft seien. Die Chargen, die an den DSV gingen, würden noch einmal separat kontrolliert. "Wenn ein Sportler so ein Mittel wünscht, wendet er sich an den Teamarzt oder den Physiotherapeuten", sagte der Sprecher. Den Einkaufspreis für sämtliche Nahrungsergänzungsmittel für die Biathlon-Mannschaft bezifferte er auf "einen niedrigen vierstelligen Betrag" im Jahr; dabei seien auch Energieriegel berücksichtigt, die die Betreuer ab und zu nehmen.