Dopingfall Lance Armstrong:Nächster Kniff der Bedrängten

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"Armstrong hätte auch ohne Doping dieselben Leistungen vollbracht, weil er ein Talent hatte, das deutlich über jenem der Rivalen war", schrieb sein Ex-Arzt Ferrari.

(Foto: AFP)

Lance Armstrong lehnt weiter eine Kooperation mit der US-Anti-Doping-Agentur ab, will dafür aber mit der "Wahrheitskommission" des Rad-Weltverbands UCI sprechen. Erstmals meldet sich sein Ex-Arzt Michele Ferrari zu Wort. Sein Fazit: Armstrongs Doping hatte nur einen "Placebo-Effekt".

Lance Armstrong hat der amerikanischen Anti-Doping-Agentur Usada hinsichtlich eines tiefergehenden Dopinggeständnisses eine Absage erteilt. Vielmehr plane der Texaner, mit Verantwortlichen des Radsport-Weltverbandes UCI oder der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) zu kooperieren. Die Usada habe nicht die Autorität, die Doping-Ermittlungen voranzutreiben, teilte Armstrongs Anwalt Tim Herman nach Informationen der Nachrichtenagentur AP mit.

Um das Ziel einer Säuberung des Radsports zu erreichen, müsse die Wada oder die UCI die Gesamtverantwortung tragen, teilte Herman mit. Demnach beabsichtige Armstrong eine Zusammenarbeit mit der von der UCI geplanten "Wahrheits- und Versöhnungs-Kommission", die in Zusammenarbeit mit der Wada agieren soll. Am kommenden Montag sollen die Eckdaten der zukünftigen Kooperation feststehen, teilte die UCI am Freitag mit.

Im vergangenen Jahr hatte der heftig kritisierte Dachverband bereits die unabhängige Kommission unter Leitung des englischen Richters Sir Philipp Otton zur Untersuchung der Doping-Affäre Armstrong ins Leben gerufen. Sie fordert eine Amnestie für Doper, um den Weg zu möglichen Geständnissen zu erleichtern. Dabei gibt es bereits mehr als genug Geständnisse von Radsportlern, seit einer Woche nun auch von Lance Armstrong. Bislang musste die UCI eine Amnestie aber unter Verweis auf den Wada-Code ablehnen.

Die UCI, deren Spitze in Verdacht steht, die Topteams und vor allem Lance Armstrong bei ihren Dopingpraktiken gedeckt zu haben, sprach ebenfalls von einer "schwarzen Ära", die man gerne vergessen möchte. Sie unterschlägt damit, dass es auch bei aktuellen Fahrern viele Verdachtsmomente gibt, dass Doping im Radsport keinesfalls ausgestorben ist. Die Wada ihrerseits hatte die Kommission mehrfach kritisiert und als wenig glaubwürdig und parteiisch bezeichnet. Sie lehnte eine Zusammenarbeit ab.

UCI-Chef Pat McQuaid will sich an diesem Wochenende mit der Wada-Spitze treffen, die den Weltverband am Freitag erneut kritisiert hatte. Die Wada hatte Aussagen des UCI-Ehrenvorsitzenden und langjährigen Präsidenten Hein Verbruggen zurückgewiesen, wonach es bei den Sportverbänden üblich sei, Athleten bei auffälligen Blutwerten zu warnen.

Verbruggen hatte in einem Interview berichtet, verdächtigen Fahrern mitgeteilt zu haben, dass sie unter Beobachtung stünden. Der Niederländer verteidigte die offenbar auch bei Armstrong angewandte Praxis mit dem Ziel "Prävention durch Abschreckung und Repression".

"Dieser Ansatz steht im völligen Gegensatz zu einem effektiven Anti-Doping-Kampf", hatte die WADA am Donnerstagabend mitgeteilt. Die Behauptung Verbruggens, wonach diese Vorwarnpolitik nicht nur im Radsport üblich sei, wies die Wada zurück.

"Armstrong hätte auch ohne Doping dieselben Leistungen vollbracht"

Es sieht so aus, als wäre es ein weiterer Versuch von Armstrong und den UCI-Granden, die Wada auf ihre Seite zu ziehen und sich damit so glimpflich wie möglich aus der Affäre zu stehlen. Verbruggen, UCI-Chef bis 2005, galt lange als Lenker hinter dem Radcoach McQuaid, den er ins Amt hievte. Verbruggen adelte Freund Lance gerne als "lebenden Beweis für einen Fahrer, der nicht betrügt", als einen, der "kein einziges Medikament nimmt, aber trotzdem als Doper verdächtigt wird". Noch 2011 warf sich Verbruggen wilder als jeder PR-Profi in die Bresche: "Armstrong hat nie gedopt. Niemals, niemals, niemals!"

Usada-Chef Travis Tygart, durch dessen Ermittlungen die Dopinggeschichte des Ex-Tour-de-France-Siegers erst aufgeflogen war, hatte nun Lance Armstrong der Lüge bezichtigt und dem Texaner zugleich ein Ultimatum gestellt. Armstrong habe noch bis zum 6. Februar Gelegenheit, mit der US-Anti-Doping-Agentur zu kooperieren, um seine lebenslange Sperre möglicherweise zu verkürzen, sagte Tygart in einem Interview mit dem US-Sender CBS. Das habe er Armstrong in einem Brief mitgeteilt. Das Gespräch wird am Sonntag in der Sendung "60 Minutes" ausgestrahlt.

In dem Interview bezichtigt Tygart Armstrong zudem, im Interview mit Talkmasterin Oprah Winfrey nicht die volle Wahrheit gesagt habe. Armstrong hatte behauptet, nach seinem Comeback in den Jahren 2009 und 2010 nicht gedopt zu haben. Die Chance, dass die Blutwerte Armstrongs nicht auf Doping basierten, bezifferte Tygart auf "eins zu einer Million".

Tygart hält es ebenfalls für unglaubwürdig, dass Armstrong seine Teamkollegen nicht zur Einnahme verbotener Substanzen getrieben habe. "Er war der Boss", sagte er. Es sei eindeutig, dass Armstrong der Anführer dieser Verschwörung gewesen sei, die Millionen an Steuergeldern verbraucht und Millionen an Sportfans betrogen habe.

Armstrong hatte bei Winfrey eingeräumt, seit Mitte der 1990er Jahre und auch bei seinen inzwischen aberkannten sieben Tour-de-France-Siegen zu verbotenen Substanzen gegriffen zu haben, darunter Epo, Testosteron sowie Bluttranfusionen. "Er hat sehr viel Epo genommen", sagte Tygart. Die Usada hatte Armstrong zuvor massive Dopingvergehen nachgewiesen. Der Radsport-Weltverband UCI reagierte darauf mit der Aberkennung von Armstrongs Tour-Siegen sowie einer lebenslangen Sperre.

So viel steht fest: Eine Vorsprache bei der Usada wäre für Armstrong sehr viel unangenehmer als eine Zusammenarbeit mit der selbst in Bedrängnis geratenen UCI.

Unterdessen meldete sich erstmals seit Bekanntwerden des vernichtenden Usada-Berichts zu Armstrong auch dessen skandalumwitterter Ex-Arzt Michele Ferrari. Der Italiener sieht die enthüllten Dopingpraktiken seines einstigen Klienten nicht als entscheidend für die sieben inzwischen aberkannten Triumphe des US-Amerikaners bei der Tour de France an. "Armstrong hätte auch ohne Doping dieselben Leistungen vollbracht, weil er ein Talent hatte, das deutlich über jenem der Rivalen war", schrieb der italienische Sportmediziner auf seiner Webseite.

"Wenn Armstrong Testosteron in der Weise eingenommen hat, wie seine Teamkollegen berichtet haben, hätte dies lediglich einen Placebo-Effekt gehabt. Die eingenommenen Mengen sind nicht relevant und hätten bestimmt keine Auswirkungen auf Armstrongs Leistungen gehabt", erläuterte Ferrari seinen Standpunkt.

Armstrongs EPO-Doping und die Transfusionen mit der von den Teamkollegen berichteten Dosis hätten die Leistungen des Texaners um maximal drei bis sechs Prozent gesteigert, meinte Ferrari weiter.

Der Arzt, der als eine der Schlüsselfiguren in Armstrongs Dopingsystem gilt, war 2004 wegen Sportbetrugs zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Zwei Jahre später belegte der italienische Radsportverband Ferrari mit einer lebenslangen Sperre und verbot allen italienischen Radprofis eine Zusammenarbeit mit dem Mediziner.

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