Dopingfall Claudia Pechstein:Die Herkulesarbeit

Was löst die hohen Werte von Claudia Pechstein aus? Im Fall der Eisschnellläuferin bleibt bis zuletzt viel wissenschaftliche Skepsis.

Thomas Kistner

In Sachen Claudia Pechstein bittet der Internationale Sportgerichtshof Cas noch um einige Tage Geduld. Das sollte im Sinne der Sache sein, immerhin will der Cas die Causa Pechstein nutzen, um Indizien-Prozesse künftig zu optimieren. Eingedenk der Realität im Spitzensport (Gen-Doping vor der Tür, und soeben erst fand Italiens Polizei im Zug ihrer Giro-Ermittlungen ein neues Ozon-Blutdopingverfahren, das keine verräterischen Blutwerte erzeugt) wirkt dieser Anspruch recht anrührend. Schon im Fall Pechstein tut sich der sporteigene Cas ja sehr schwer: Es geht um Retikulozyten-Werte der Athletin, die Zahl ihrer jungen roten Blutzellen war öfter nach oben geschnellt, rätselhafterweise besonders zu Wettkampfzeiten.

Dopingfall Claudia Pechstein: Die Entscheidung im Fall Claudia Pechstein steht noch aus.

Die Entscheidung im Fall Claudia Pechstein steht noch aus.

(Foto: Foto: dpa)

Pechstein bestreitet Doping strikt. Sie baut - auch dank eines bemerkenswerten Engagements von nationalem Eislaufverband DESG und Bundesinnenministerium - auf Restzweifel, die offenbar vor allem theoretischer Natur sind. So sieht es jedenfalls der Eislaufweltverband ISU, der die Athletin gesperrt hat. So schätzen es auch viele renommierte, nicht in den Fall verwickelte Fachleute ein, die die von beiden Seiten vorgetragenen Argumente seit Monaten bewerten. Skepsis klingt auch bei Wada und Nada an.

Was löst die hohen Werte aus? In Zyklen, die "erstaunlich oft mit dem Wettkampfkalender korrelieren", wie Zellforscher Werner Franke und andere Experten immer wieder betonen? Doping, das eine Erklärung wäre und grundsätzlich als realitätsnaher Verdacht im Raum steht - oder noch unbekannte, rätselhafte genetische Multifunktionen, die zu einer eigenartigen Blutbildung führen?

Für letzteres fehlen klare Belege. Die hat auch die neue Expertise nicht erbringen können, die der Charite-Arzt Christof Dame pünktlich zum Cas-Prozess vorgelegt hat. Der Berliner fand "Variationen" im Epo-Gen. Daneben wurde als möglicher Auslöser der Blutwerte auch eine "leicht kompensierte Hämolyse" vorgetragen. Unabhängige Fachleute bleiben skeptisch. In Hinblick auf die Hämolyse (Zerstörungsprozess der roten Blutzellen), weil diese als "sehr zuverlässig zu diagnostizieren" gilt, wie etwa der Kölner Hämatologe Ingo Meuthen sagt. Der Facharzt hat in 30 Jahren tausende Diagnosen erstellt und ist selbst zur Ausbildung von Hämatologen berechtigt.

Und die Gen-Varianten? Die sollen den letzten Paukenschlag setzen, sie wurden wie ein letztes As aus dem Ärmel gezogen. Das Epo-Gen reguliert die Bildung des Hormons Epo, das wiederum den Blutbildungsprozess im Knochenmark in Gang setzt: Erst Retikulozyten, die jungen Vorläufer, sie werden zu Erythrozyten, rote Blutkörperchen. Gutachter Dame lässt offen, ob Pechsteins hohe Werte auf die genetische Variationen zurückzuführen sein könnten.

Zugleich betont er, dass seine Studie nicht von Pechstein, sondern von der Bundespolizei in Auftrag gegeben wurde. Er sei nicht als bestellter Gutachter anzusehen. Das Bundesinnenministerium bestätigte gewunden die Kostenzusage; man habe "krankheitswertige hämatologische Störungen" ausschließen wollen. Ob diese Fürsorge unter Beamten Schule machen könnte? Immerhin erzielte die Athletin in den Jahren, in denen die hohen Werte auftraten, körperliche Höchstleistungen.

Verwunderndes Epo-Gen

Auch Gutachter Dame trägt kein Krankheitsbild vor. Auf SZ-Anfrage am Freitag teilte er mit, bis Dienstag nicht erreichbar zu sein, doch in einigen Interviews hatte sich der Gutachter schon erklärt. Was hat er entdeckt? Eine Veränderung an Epo- und Epo-Rezeptor-Gen. Das sagt Experten wie Franke vorläufig wenig: "Damit ist kein Beweis erbracht, dass die Variationen in kausalem Zusammenhang zu den Blutwerten stehen. Vermuten lässt sich alles."

Auch lege das Gesamtbild aus den jahrelangen Messungen der ISU keine intensive Epo-Bildung bei Pechstein nahe. "Wo sind denn die erhöhten Epo-Werte?", fragt Franke. Das wundert auch Thomas Bittorf, Biochemiker an der Uni Rostock: "Wenn angenommen wird, dass durch eine Gen-Variante mehr Epo produziert wird, muss dieses Epo auch messbar sein."

Es gibt noch ein vieldiskutiertes Mysterium: Wenn die Retikulozyten-Werte nach oben gehen, wie auch immer - wie erklärt sich dann, dass andere davon abhängige Blutwerte - Hämoglobin und Hämatokrit - nicht ebenfalls in die Höhe schnellen? Das müssten sie, bei normalem physiologischem Verlauf. Ob hier zur Erklärung eine Hämolyse als wahrscheinliche Ursache ausreicht - das müssen die Sportrichter entscheiden.

Sörgel verweigert Unterlassungserklärung

Experten fragen überdies, wie belastbar besagte Gen-Varianten seien. Bittorf erklärt, jeder Mensch verfüge über Varianten und Mutationen, sehr selten gingen damit funktionelle Konsequenzen einher. Deshalb sei bei so einer Studie wichtig, welche Vergleichsgröße herangezogen wurde. War es "die Standard-DNS aus dem Gen-Archiv", oder bezieht das Gutachten eine große Versuchsreihe anderer Probanden mit ein? Bittorf sagt, es bedürfe einer möglichst großen Vergleichspopulation, um Gen-Varianten als echte Rarität darstellen zu können.

Doch der Sachverständige aus der Charite, wo die Athletin auch selbst gern Hilfe einholte, betont selbst, es wäre sehr viel Arbeit nötig, bevor ein funktioneller Nachweis zwischen Gen-Varianten und Blutbildung erbracht werden könne. Herkulesarbeit, eine sündteure dazu.

All das lässt erahnen, wie richtungsweisend ein Urteil auf dieser Basis für die Dopingbekämpfung sein wird. "Entlastungstheorien nur aufgrund von Mutationen ohne funktionellen Nachweis würden in Zukunft bei modernen Dopingmitteln die Bemühungen der Fahnder aussichtslos machen", sagt Fritz Sörgel. Dem Nürnberger Pharmakologen wollte Pechsteins Anwalt übrigens jüngst die Wiederholung einiger "wichtiger Bewertungen" (Sörgel) verbieten. Sörgel sagt, er habe die Unterlassungserklärung nicht unterschrieben.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: