Dopingfall Alberto Contador:Schutz für den Helden

Während sich Radprofi Contador nach seinem Doping-Freispruch als Opfer inszeniert und in Spanien die Unterstützung hoher Politiker genießt, reagieren Kritiker fassungslos. Ein Kölner Laborchef soll nun zum Kronzeugen werden.

J. Cáceres und T. Kistner

Der Weg zum Comeback war dann doch etwas beschwerlicher als geplant. Die 300 Kilometer, die Portugals Hauptstadt Lissabon und Albufeira trennen, musste der dreimalige Toursieger Alberto Contador, 28, im Taxi zurücklegen. Einen Anschlussflug hatte er am Abend verpasst, und das lag offenkundig auch daran, dass der Freispruch vom Dopingvorwurf am Dienstag zwar wie bestellt bekannt gegeben wurde - aber erst später als gedacht.

Den mittäglichen Flieger, den er ursprünglich in Madrid nehmen wollte, musste Contador sausen lassen. Unter anderem, weil er seinem Fürsprecher Pedro J. Ramírez, dem Chefredakteur der Zeitung El Mundo, noch ein Interview schuldig war.

Am Dienstagabend wurde es ausgestrahlt, und wer dachte, Contador könne sich nun damit begnügen, Erleichterung und Dankbarkeit zu äußern, wurde rasch vom Gegenteil überzeugt. Contador war nach einer Reihe von Monaten, in denen er nach eigener Auskunft "viel geweint", schlecht geschlafen und sogar Haarausfall erlitten habe, wieder mächtig auf Krawall gebürstet.

Die Institutionen, die den Radsport führen, hätten sich schmählich verhalten, klagte er. Vor allem der Chef des Radweltverbandes UCI, Pat McQuaid, habe ihn damit getroffen, der Fall Contador sei dem Image des Radsports abträglich. "Als ich das hörte, konnte ich es kaum glauben. Ich kann nicht verstehen, dass die UCI einen Fahrer in so einer Weise attackiert. Das hat mir weh getan."

Derweil rüstet sich der spanische Radverband RFEC für die Abwehrschlacht, die nun über mögliche Einsprüche von UCI und/oder Welt-Anti-Doping-Agentur Wada zu erwarten ist: "Sie haben uns allein gelassen. Weder UCI noch Wada haben auf unsere Bitte reagiert, Contadors Beweise zu prüfen", klagte RFEC-Chef Carlos Castaño. Sollte es zur Revision vorm Sportgerichtshof Cas kommen, "werden Contador und wir im gleichen Boot sitzen", versprach er.

Aufrufe an die Wada

Der Chef des Nationalen Olympischen Komitees, Alejandro Blanco, ließ es sich nicht nehmen, Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero und Oppositionsführer Mariano Rajoy "öffentlich dafür zu applaudieren, dass sie unsere Sportler, unsere besten Botschafter, unterstützt haben". Das Urteil werde "in der Dopingbekämpfung ein Vorher und Nachher" markieren - nun werde es Debatten um eine Toleranzgrenze für Clenbuterol geben. Das war eine Anspielung auf ein Schlüsselelement dieses Freispruchs.

Denn das Urteil nimmt nicht nur explizit Bezug auf den Dopingfall des deutschen Tischtennisspielers Ovtcharov - es erhebt sogar den Kölner Laborleiter Wilhelm Schänzer zum Kronzeugen pro Contador. Unter Bezug auf Ovtcharov, heißt es darin, habe Schänzer erklärt, dass die Einnahme von Clenbuterol "über kontaminierte Lebensmittel die wahrscheinlichste Erklärung für den positiven" Test sowie "die Verwendung Clenbuterols (in diesen Mengen) für Dopingzwecke höchst unwahrscheinlich" sei.

Intervention durch die Wada?

Schänzer habe auch eine Toleranzgrenze empfohlen, da Clenbuterol nicht nur in Lebensmitteln, sondern sogar in Wasser nachgewiesen werden könne. Dass die Fälle Ovtcharov und Contador indes auch aus Sicht Kölner Labormitarbeiter nicht vergleichbar sind und der Tischtennisspieler seinerzeit zahlreiche entlastende Belege und Indizien beibrachte - darunter eine Haarprobe, die Contador bis heute schuldig geblieben ist - , davon war im Urteil keine Rede.

Die Reaktionen außerhalb Spaniens auf den Freispruch ließen sich Mittwoch unter der Rubrik "Fassungslosigkeit" versammeln. Wada-Chef David Howman reagierte mit großer Skepsis, es sei jetzt an der UCI, zu prüfen, ob sie ihr Einspruchsrecht zum Cas ausüben werde.

Falls nicht, stehen der Wada weitere drei Wochen Frist zur Verfügung. Howman gab zu verstehen, dass es mögliche Ansatzpunkte gebe: Etwa die Verfahrensweise des RFEC, der Contador erst eine Ein-Jahres-Sperre anbot, ihn protestieren ließ - um den Profi darauf freizusprechen. "Ich habe von so einer Praxis nie zuvor gehört", sagte Howman der SZ. Die Wada werde auch prüfen, ob dieses Verfahren in Einklang mit den Regeln stehe.

Thomas Bach forderte die Intervention von UCI und der Wada. "Ich hoffe sehr, dass UCI und Wada durch einen Einspruch beim Cas den Fall wirklich klären", sagte der Vizepräsident des Internationalen Olympischen Komitees der dpa. In IOC-Kreisen hatte es unmittelbar nach dem Urteil geheißen, es gebe starke Irritation darüber, dass sich mit Zapatero "der höchste Politiker Spaniens" in die Causa eingemischt habe.

Irritation gibt es offenbar auch in der UCI selbst. Während Sprecher Enrico Carpani schon vor dem Freispruch viel Lob für das spanische Verfahren fand, übte sein Boss Pat McQuaid Kritik an Zapatero und der Haltung der Spanier im Betrugskampf. Politiker sollten nicht in Verfahren eingreifen, "wenn sie nicht alle Fakten kennen, das hat Spaniens Image nicht geholfen", wurde McQuaid bei der Oman-Rundfahrt zitiert. Über ein Vorgehen beim Cas soll gemeinsam mit der Wada befunden werden.

Auch in den USA wird der Freispruch scharf attackiert. Travis Tygart, Chef der US-Anti-Doping-Agentur Usada, hatte schon vor dem Urteil geäußert: "Wenn es da wirklich einen Meinungsumschwung gibt, scheint das ein klassisches Beispiel dafür zu sein, dass der Fuchs den Hühnerstall bewacht. Das sähe so aus, als wollten sie ihren Nationalhelden schützen."

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