Süddeutsche Zeitung

Dopingdebatte um Pechstein:Zur letzten Instanz

Der internationale Sportgerichtshof Cas entscheidet im Fall Pechstein und stellt damit die Weichen für die Zukunft des Dopingkampfs. DOSB-Präsident Bach spielt dabei eine wichtige Rolle.

Thomas Kistner

Vom Cas, dem Internationalen Sportgerichtshof in Lausanne, erwartet die wegen ihrer auffälligen Blutwerte vom Eislaufweltverband ISU verurteilte Claudia Pechstein nun eine vorläufige Starterlaubnis - sie will die Zeit bis zum Hauptverfahren im Herbst fürs Training nutzen. "Spätestens nächste Woche", sagt eine Cas-Sprecherin auf SZ-Anfrage, soll über die Eilsache entschieden werden: "Wir warten noch auf die Antwort der ISU zu Pechsteins Antrag."

Damit geht die Dopingaffäre in die heiße Phase. Beide Parteien, heißt es aus Lausanne weiter, haben bereits je einen Vertreter aus dem geschlossenen Schiedsrichter-Pool des Cas benannt. Gefunden werden muss jetzt der dritte Mann, der das Schiedsgerichts-Panel als Vorsitzender ergänzt. In der Causa Pechstein, so die Cas-Sprecherin, einer Berufungssache, müsse nun wie üblich dieser dritte Mann von der Appeals Arbitration Division vorgeschlagen werden, der Berufungskammer.

Drei Schiedsrichter nötig

"Präsident der Kammer ist Dr.Thomas Bach, der Stellvertreter Gunnar Werner - es wird also Herr Werner oder Herr Bach sein, der diese Auswahl trifft", hieß es offiziell dazu aus Lausanne. Die von den Parteien bereits benannten zwei Schiedsrichter einigen sich dann auf einen der zwei, drei ihnen von der Berufungskammer vorgeschlagenen Kandidaten. Stark anzunehmen ist, dass die Personalvorschläge für das Panel im Fall der deutschen Athletin wohl Bachs schwedischer Stellvertreter Werner vornehmen dürfte.

Der Court of Arbitration for Sport (Cas) gilt als letzte Entscheidungsinstanz für Athleten, Verbände und Olympiakomitees. Weithin anerkannt, ist er jedoch längst nicht unumstritten. Hin und wieder wird die oberste Schiedsinstitution der Sportfamilie von zivilen Gerichtsinstanzen erschüttert, wie im April 2007: Da kassierte das Schweizer Bundesgericht ein Cas-Urteil, erstmals nach 23 Jahren und 750 Prozessen. Es stoppte die in der Sportjustiz bei Dopingbefunden geltende Beweislastumkehr, und entwertete dabei auch die Verzichtserklärung, mit denen sich alle Athleten dem Cas als oberster Rechtsinstanz unterwerfen müssen: indem sie schriftlich zusichern, keine Gerichtsinstanz außerhalb des Sports anzurufen.

Damals ging es um eine Klage des Tennisprofis Guillermo Cañas, dem der Cas eine Dopingsperre aufgebrummt hatte. Zwar hatte Cañas den Cas als letzte Beschwerdeinstanz akzeptiert, trotzdem zog der Argentinier weiter vors Bundesgericht. Das befand, der Cas habe Cañas' rechtliches Gehör verletzt; es wurde nachverhandelt.

Wohl keine Intervention

Doch im Sport ist der Cas fest etabliert. Die Sportfamilie hat ja, gerade dank ihrer kommerziellen Ausprägung, enormes Interesse an einer eigenen Gerichtsbarkeit, und diesen Wunsch zu akzeptieren, erachten wiederum die Rechtsstaaten als ihre Bringschuld für die Autonomie des Sports. Insofern blieben Interventionen ordentlicher Gerichte bisher meist Stürme im Wasserglas.

Der Cas kann, als vom Schweizer Bundesgericht anerkanntes Schiedsgericht, die Zivilgerichtsbarkeit ersetzen. Seine Zuständigkeit reicht von Disziplinarfragen übers Transferrecht und sportbezogene Vertragskonflikte (TV-Rechte, Sponsoring) bis zum Doping. Größter Vorteil dieser sporteigenen Schiedsstelle ist, dass sie schnelle Entscheidungen herbeiführen kann in einer auf Tempo geeichten Branche. So erfreut sich gerade die Ad-hoc-Schiedsgerichtsbarkeit hoher Akzeptanz, vor allem bei Olympischen Spielen, wo Cas-Schnellgerichte seit Atlanta 1996 für Rechtssicherheit sorgen - notfalls über Nacht. Das hat sich bewährt.

Überführte Sportler klagten

Umstritten sind, neben Besonderheiten der Rechtsprechung und dem Umstand, dass Cas-Schiedsrichter nur aus einer geschlossenen Liste gewählt werden können (und daher mal als Anwalt, mal als Richter auftreten) immer wieder Einzelentscheidungen, die große Nähe zum Industriebetrieb Spitzensport verraten. Auch müssen Cas-Urteile bei ordentlichen Gerichten erst für vollstreckbar erklärt werden.

Urteile des Sportgerichtshofes besitzen grundsätzlich zivil- und strafrechtlich keine Wirkung, wiederholt klagten des Dopings überführte Sportler wie der deutsche Radprofi Danilo Hondo ihr Recht bei ordentlichen nationalen Gerichten ein. Hondo erwirkte 2006 beim Schweizer Kantonsgericht die Aufhebung der vom Cas verhängten Dopingsperre bis zum endgültigen Entscheid.

In der Kritik ist seit langem die Beweislastumkehr, jenes Sonderrecht, mit dem der Sport Pharma-Betrug bekämpft: Nur wer positiv getestet wurde, bekam bisher Probleme, allen anderen Betrügern konnte man nicht beikommen - auch weil sich der Sport staatliche Einmischung verbittet. Deshalb trifft es in der Regel nur Athleten, die sich mit Grippesprays oder Beipackzetteln vertun, oder die trotz aller Szenekenntnisse nachweisbare Mittel anwenden. Fachdopern kam der Sport so nicht bei, weshalb sich jede umfassendere Affäre bisher der Ermittlung von Polizei, Zoll- und Steuerfahndern verdankte. Vom Fall Pechstein erhoffen sich daher auch Beteiligte und ständige Beobachter aus Wissenschaft, Sportfahndung und -recht wichtige Fingerzeige in der Frage, ob es künftig möglich ist, in Dopingfragen den Indizien-Prozess zu führen.

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SZ vom 12.08.2009/jbe
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