Dopingaffäre um Lance Armstrong:Abruptes Ende der ehernen Treue

Selbst der Sponsor befürchtet nun einen Imageschaden: Nikes Trennung von Lance Armstrong zielt nicht nur auf Distanz, sondern ist ein Befreiungsversuch. Die Solidarität zum Dopingtäter warf Verdachtsmomente auf. Dass der Amerikaner jetzt als Vorsitzender seiner Krebsstiftung zurücktritt, macht ihn nicht glaubwürdiger.

Thomas Kistner

Am Mittwoch teilte Lance Armstrong mit, dass er den Vorsitz in seiner Krebsstiftung Livestrong niederlegt. Derlei hatte bis zuletzt der operative Stiftungschef Doug Ulman ausgeschlossen. Minuten später ging Armstrongs getreuester Sponsor Nike an die Öffentlichkeit - mit einer verheerenden Trennungserklärung, die weit über das üblich Unverbindliche hinausgeht: "Angesichts der unüberwindlichen Beweise, dass Lance Armstrong länger als ein Jahrzehnt an Doping teilnahm und Nike getäuscht hat, haben wir unseren Vertrag mit ihm tief betrübt beendet. Nike billigt den Gebrauch verbotener leistungsfördernder Substanzen in keiner Weise."

Die Stiftungs-Initiativen würden weiter unterstützt, teilt Nike mit. Das lenkt den Blick auf den Imageschaden, der fortan wohl jedem droht, der noch treu zu dem hartnäckig leugnenden Tour-Rekordsieger steht. Nike hat nun für Armstrong gebeichtet - noch bemerkenswerter an der Scheidungserklärung ist aber die Hervorhebung, dass die Firma jahrelang in die Irre geführt wurde. Damit geht der Sponsor und Weltmarktführer nicht nur auf größtmögliche Distanz zur gestürzten Werbe-Ikone.

Offenbar sucht er auch die Befreiung aus öffentlichen Attacken und Verdächtigungen, die jüngst aus Nikes allzu offensiv bekundeter Solidarität mit Armstrong erwuchsen. Seit Bekanntwerden der 1000 Seiten Anklage- und Beweismaterial der amerikanischen Anti-Doping-Agentur, die das "professionellste Dopingprogramm der Sportgeschichte" (Usada) offenlegen, befassen sich amerikanische Medien in Wort und Bild mit sarkastischen Umwidmungen für das von Nike für Armstrongs Stiftung entworfene, 75 Millionen Mal verkaufte Livestrong-Armband; die Vorschlagspalette reicht von Lie-strong (lüge stark) bis Live-wrong (lebe falsch).

Für Nike selbst, das noch im Oktober eherne Treue zum Sportler Armstrong bekundet hatte, war es seit Dienstag unbehaglich geworden. Wegen der Solidarität mit dem Texaner gab es eine Protestaktion vor dem Konzernsitz in Oregon. Der frühere Radprofi Paul Willerton, bei zwei Weltmeisterschaften Armstrongs Kollege im US-Nationalteam, führte eine Demonstration empörter Sportfreunde an, die Nikes Haltung pro Armstrong als "widerlich" geißelten.

Noch schlimmer kam es in den Medien. Die New Yorker Daily News spekulierte, es könnte konkrete Gründe geben für den Konzern, die Grenzen der Loyalität mit dem Sünder weiter zu stecken, als es der eigenen Glaubwürdigkeit guttut. Verdachtsmomente schöpfte das Blatt aus dem Beweiskonvolut der Usada. Darin findet sich die Aussage von Kathy LeMond, Frau des dreimaligen Tour-Gewinners Greg LeMond.

Sie erklärte 2006 unter Eid, dass ihr ein langjähriger Bekannter, Mechaniker in Armstrongs Team, gesagt habe, Nike und ein kalifornischer Banker hätten eine halbe Million Dollar auf ein Schweizer Konto transferiert, das Hein Verbruggen gehört haben soll, Chef des Radweltverbandes UCI bis 2005. Das Geld sei für die Vertuschung von Armstrongs Positivtest bei der Tour de France 1999 bestimmt gewesen.

Der Texaner war vor jenem ersten Tour-Triumph mit Kortison erwischt worden; ein rückdatiertes Rezept des Teamarztes Luis del Moral, der selber des Dopings beschuldigt wird, soll laut Usada geholfen haben, den Vorfall nachträglich zu verschleiern. Kathy LeMond bestätigte ihre Version zu Wochenbeginn gegenüber der Zeitung. Der Mechaniker habe später "die Seiten gewechselt" und selbst Dopingmittel in den ausgehöhlten Schuhabsätzen transportiert, bezeugte das Ehepaar LeMond.

Der Druck auf Beteiligte steigt

Armstrongs Anwälte sagten dem Blatt, sie hätten "keine Ahnung", was Kathy LeMond meine. Auch Nike wies die Vorwürfe am Dienstag zurück: "Nike verneint strikt, dass es dem früheren UCI-Präsidenten Hein Verbruggen 500.000 Dollar für die Vertuschung eines positiven Dopingtests bezahlte." Und Verbruggen selbst hat im Lauf der Zeit Dutzende Male rigoros jeden Vorwurf von sich gewiesen, der ihn der Kumpanei mit Armstrong oder der Mitwisserschaft von Dopingpraktiken zieh.

Die Zeugenaussagen sind vom Hörensagen. Trotzdem erhöhen sie den Druck. Gerade Rolle und Verhalten der UCI wird im Usada-Report ja generell hinterfragt. Speziell in einem Fall, der den neuen Vorwürfen nicht unähnlich ist: Armstrong soll auch bei der Tour de Suisse 2001 positiv getestet worden sein und ein als Spende getarntes Schweigegeld von 100.000 Dollar an die UCI gezahlt haben. Insgesamt sollen gar 125.000 Millionen Dollar an Spenden geflossen sein, mit deren Zuordnung sich die UCI Jahre später reichlich schwer tat.

Nun also das klare Urteil des Sponsors. Der sah sich schon einmal, 1992 durch Buchenthüllungen der vormaligen Werbechefin Julie Strasser, mit sehr konkreten Vorwürfen belastet; er soll in seinem damaligen Leichtathletik-Klub Athletics West Doping von Nike-Athleten toleriert und unterstützt haben. Seit Mittwoch also sieht sich der Konzern von Armstrong konkret betrogen in der Dopingfrage, die Beweisfülle lässt ihm keine Hoffnung auf eine von der Dopingagentur koordinierte Verschwörung - das ist kein Lavieren mehr, es ist die radikale Abkehr eines börsennotierten Unternehmens.

Sie wird sich in der Öffentlichkeit niederschlagen. Und in Washington, wo bis zuletzt Politiker Druck auf die Usada ausgeübt hatten. Sie monierten, die Usada versteife sich zu sehr auf Armstrong und verschwende ihre Steuermittel. Jetzt ist Wahlkampf in den USA. Abzuwarten bleibt, ob nicht bald die Stimmen überwiegen, die just den Verdacht der Steuerverschwendung für ein anderes Ziel nutzen wollen.

Für die Wiederaufnahme der im Februar vom kalifornischen Bundesanwalt ohne Begründung eingestellten Ermittlungen gegen Armstrong und dessen damaligen US-Postal-Rennstall. Der Verdacht, dass der Staatsbetrieb mit Steuermitteln auch im Dopingprogramm aktiv gewesen sein könnte, dürfte neuerdings sogar Armstrongs einst engste Mitstreiter plagen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: