Die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) hat in diesem Jahr ihr 25. Jubiläum gefeiert, und passend dazu leistet sich die Oberaufsicht im Kampf gegen den weltweiten Sportbetrug gerade eine der größten Krisen ihrer Historie. Im April enthüllten die New York Times und die ARD-Dopingredaktion, dass weder die Wada noch Chinas Behörden einst 23 chinesische Schwimmer sanktioniert hatten, die kurz vor den Sommerspielen 2021 positiv auf ein Herzmedikament getestet worden waren (einige gewannen später Olympiamedaillen). Die Wada begründete das erst zögerlich, dann feurig mit der These, die Athleten waren Opfer einer Massenkontamination. Ein von der Wada in die Spur gesetzter Ermittler hielt das für schlüssig, auch wenn die Ermittlungen mehr Fragen aufwarfen, als dass sie welche beantworteten.
Das alles geschah vor der nächsten aufsehenerregenden Nachricht.
Zumindest schürt das, was die New York Times jetzt berichtet, große Zweifel daran, dass eine der wichtigsten Instanzen des Weltsports ihrer Arbeit noch nachkommt. Anwälte der Wada schlugen demnach am 23. Mai, ein Monat nach den Enthüllungen über die chinesischen Positivtests, Alarm. Sie sollen einem kleinen Kreis von hochrangigen Wada-Mitarbeitern berichtet haben, dass interne Datenbanken von großen Problemen geplagt waren. Dateien von rund 2000 Fällen seien fehlerhaft, beschädigt oder ganz verschwunden. In der Folge habe man den Überblick über 900 (!) Testergebnisse von Athleten verloren, denen eine Dopingsanktion drohte. Im schlimmsten Fall, so habe es der kleine Wada-Krisenstab befürchtet, könnten Doper durch das Netz rutschen und bei den Sommerspielen in Paris starten, die zu dem Zeitpunkt wenige Wochen entfernt waren.
Krise? Es gab nie eine Krise, behauptet die Wada
Die Wada bestritt umgehend, dass es je eine Krise gegeben habe. Man habe stets die Übersicht über alle Fälle behalten. Und die Sache mit der Datenbank – „technische Schwierigkeiten“, die keineswegs die Paris-Spiele beeinflusst hätten. Überhaupt fuße die Berichterstattung auf einer „Diffamierungskampagne“. Das passt nur irgendwie nicht so recht zu einer internen Präsentation der Wada-Rechtsabteilung, aus der die Times zitiert. Auf Folien ist da von einem „Notfall“ die Rede, von der Unmöglichkeit, „unseren Job zu erledigen“ und „viel Arbeit, die noch vor uns liegt“ – wenige Wochen vor der Eröffnungsfeier in Paris. Ein kundiger Anti-Doping-Funktionär behauptet gar, die Datenpanne sei noch ungelöst gewesen, als die Spiele begannen.
Es gab und gibt zweifellos fähige Leute, die für die Wada arbeiten. Aber in diesem Lichte drängt sich mehr denn je die Frage auf, ob man das Anti-Doping-System nicht endlich neu aufspielen muss. Zu lang ist die Liste an Fällen, bei denen Athleten oder gar Länder (Russland!) bestenfalls milde sanktioniert wurden, während usbekische Gewichtheber und mazedonischen Buckelpistenfahrer die eiserne Kälte der Sportgesetze zu spüren bekamen. Zum anderen bemerken Kenner seit Jahren, dass dem System große Unwuchten innewohnen. Die Wada überwacht im Grunde viele nationale Agenturen, die ihre Testergebnisse in eine Datenbank der Wada einspeisen – 2022 kamen rund 250 000 Tests zusammen – aber diese Tests sind oft von solch fragwürdiger Güte, dass sie kaum etwas entblättern. Und wann ein Test positiv ist oder nicht, entscheiden teils winzige Zirkel (wie bei der umstrittenen Epo-Analytik) oder manche Kriterien, die der Mainzer Experte Perikles Simon vor Jahren „wissenschaftlich für Nonsens“ hielt.
Tennis:Sinner wird seinen Dopingfall nicht los
Die Welt-Anti-Doping-Agentur legt Berufung gegen den Freispruch des Weltranglisten-Ersten ein und fordert eine Sperre von ein bis zwei Jahren. Der Italiener reagiert „enttäuscht und überrascht“.
Warum das Geld, das derzeit für massenhafte Tests ausgegeben wird, nicht in ein System leiten, das kalkuliert, wo Doper am ehesten zu finden wären – mithilfe etwa von verdeckten Ermittlern, womöglich künstlicher Intelligenz – und diesen potenziellen Dopingnestern mit Tests zu Leibe rücken, die pharmakologisch ausgereifter sind? Manche Betrugsjäger arbeiten zum Teil schon auf diese Art, die Mehrheit gewiss noch nicht.
Von Spitzensportlern wird heutzutage erwartet, dass sie für Kontrolleure fast ständig erreichbar sind, im Zweifel die Herkunft jedes Mikrogramms in ihrem Körper erklären können. Es wäre das Mindeste, dass für Regelwächter dieselbe Sorgfaltspflicht gilt.