Doping-Vorwürfe in der Leichtathletik:Präsident der Parolen und Peinlichkeiten

Doping in Russland

Alle sauber? Athleten bei einem Wettkampf

(Foto: dpa)

Der umstrittene Leichtathletik-Präsident Lamine Diack verhält sich mal wieder bedenklich. Auf die Doping-Vorwürfe reagiert er mit grotesken Verschwörungstheorien.

Von Johannes Knuth

Ob er überrascht gewesen sei? Ach was, sagt der Mittelstreckenläufer Nick Willis aus Neuseeland. Willis hat natürlich die Berichte der ARD und der Sunday Times vom Wochenende verfolgt. Jede dritte Medaille in Ausdauerdisziplinen der Leichtathletik soll demnach vom Dopingverdacht kontaminiert sein, bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen zwischen 2001 und 2012. "Auf einer Schock-Skala von Null bis Zehn ist das bei mir eine Null", erzählte Willis dem New Zealand Herald, er ergänzte: "Mich überrascht nur, dass die Informationen an die Öffentlichkeit gelangt sind." Überhaupt habe er, Willis, sein eigenes Vorwarnsystem entwickelt, um Dopingsünder im Feld aufzuspüren.

Es ist ein System, das viel darüber erzählt, wie zerfressen die Leichtathletik von Zweifel und Verdachtsmomenten zu sein scheint. "Wir Athleten hängen in den Tagen vor einem Rennen viel miteinander ab. Bei denen, die nicht dopen, ist Betrug irgendwann Thema Nummer eins." Und die anderen? "Die haben nicht die gleiche Einstellung gegen Doping wie wir. Es wird schnell klar, wer an welchem Tisch sitzt."

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Doping-Vorwürfe in der Leichtathletik: Tabellen: Disziplinen und Ereignisse unter Verdacht

Tabellen: Disziplinen und Ereignisse unter Verdacht

Die Verunsicherung ist seit einigen Tagen wieder groß im Weltsport, sie hat vor allem die Leichtathletik fest im Griff, das will schon einiges heißen bei einer derart krisengeschüttelten Sportart. Die Filmemacher der ARD-Dokumentation "Geheimsache Doping - Im Schattenreich der Leichtathletik" hatten eine Datenbank aus dem Inneren des Leichtathletik-Weltverbands IAAF ausgebuddelt. Sie konnten daraus keine Dopingvergehen, wohl aber diesen massiven Verdacht ableiten: Jede dritte Ausdauer-Medaille wurde womöglich von einem Sportler errungen, dem Fahnder verdächtige Werte in seinen Blutpass geschrieben hatten, die Doping nahelegten.

Es ist die dritte große Erschütterung binnen eines Jahres. Im Dezember hatte die ARD systemisches Doping in Russlands Leichtathletik nachgewiesen, vor einem Monat beschäftigten die dubiosen Praktiken des amerikanischen Trainers Alberto Salazar die Szene. Was derzeit übrig bleibt, sind Athleten, die zwischen Verunsicherung und Aufgewühltheit schwanken, die berichten, dass die diplomatischen Beziehungen zwischen Kenianern und dem Rest in den vergangenen Jahren abgekühlt seien, die sagen: "Mich wundert nichts mehr." Und dann ist da eine Sportverwaltung, die hilflos zuschaut.

Verschwörungstheorie? Auch nicht schlecht

Die Zitate, die IAAF-Präsident Lamine Diack nun in die Welt setzt, lassen jedenfalls nicht auf allzu großen Aufklärergeist hoffen. "Wir werden uns mit dem Problem auseinandersetzen", sagte Diack am Montag beim IOC-Gipfel in Kuala Lumpur. Kleine Nachhilfestunde: Diack steht jenem Verband vor, der im vergangenen Dezember die hauseigene Ethikkommission damit beauftragte, den Vorwürfen der ersten ARD-Dokumentation nachzugehen. Passiert ist bislang nichts. Zumindest war vor Kurzem nichts bis ins hauseigene Council oder gar an die Öffentlichkeit gedrungen. Glaubt man Diack, habe sich sein Weltverband aber ohnehin nichts zu schulden kommen lassen. "Ich glaube, es besteht die Absicht, diese Medaillen neu zu verteilen", sagte der 82-Jährige in Kuala Lumpur. Eine Verschwörungstheorie? Auch nicht schlecht.

Auch sonst trudeln in diesen Tagen die üblichen Parolen aus allen Ecken des Weltsports ein. Das IOC? Verweist an die IAAF und die Wada. "Ich habe volles Vertrauen in die Untersuchungen der Welt-Anti-Doping-Agentur", sagte IOC-Präsident Thomas Bach. Die Wada verweist wiederum an die IAAF. "Ich bin mir sicher", sagte Wada-Boss Craig Reedie, "dass man dort ganz genau nachforschen wird, um die Quelle herauszufinden." Also den Botschafter, der die Datenbank aus dem Inneren des Weltverbandes entwendete.

Mitgliederverbände wie der Deutsche Leichtathletik-Verband geben sich erschüttert, fordern einheitliche Kontrollstandards. Aber was helfen einheitliche Kontrollen, wenn selbst die Erfolgsquote der Nationalen Anti-Doping-Agentur so effektiv ist wie eine Blitzanlage, die ungefähr bei jedem zehnten Raser auslöst? Wenn Athleten unter Kontrollradaren wie dem biologischem Blutpass durchsegeln, indem sie Mikrodosierungen anwenden? Wenn Athleten sich trotz positiver Tests offenbar freikaufen?

Die IAAF beteuert, verweist auf Kommissionen, klammert sich stur an ihre Anti-Doping-Politik, die seit Jahren niemandem richtig wehtut - was umso grotesker wirkt, wenn es aus allen Richtungen leckt und hereintropft. Und am Steuer steht ein Präsident, dem schon lange nichts mehr peinlich ist. Diack wird Ende August in Peking abgelöst, entweder von Sebastian Coe oder Sergej Bubka. Beide wurden in Diacks Familie sozialisiert, beide verweisen nun an die aufklärerische Kraft der IAAF.

Nick Willis wird bald bei der WM starten, über 1500 Meter. Ein paar Rennen wird er sich angucken, ein paar eher nicht. "Das macht keinen Spaß, wenn ich weiß, dass die Mehrheit des Feldes nicht sauber ist", sagt er: "Ich gehe dann halt aus dem Stadion."

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