Doping-Vorwürfe:Der österreichische Patient

Ein Teil Austrias sieht im Doping-Eklat eine Verschwörung, doch die Politik will ein Antidopinggesetz. ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel verliert allmählich seinen ikonenhaften Status.

Michael Frank

An den Stammtischen wird immer noch diskutiert. So richtig froh will die Nation Österreich mit ihrem triumphalen Abschneiden bei den Olympischen Winterspielen in Turin nicht werden. Dies, obwohl man das beste Ergebnis erzielte, seitdem es die Wettkämpfe gibt, obwohl man mit den Amerikanern gleichgezogen und sogar die Russen, die monumentale Wintersportnation früherer Tage, überflügelt hat. Ein bisschen auch wundert man sich, dass ausgerechnet die "Piefkes", die deutschen Nachbarn, die Spiele als Goldnation beendet haben: Denn zum neuen Selbstbewusstsein Austrias gehört der Kontrast zur bleiernen Mentalität der Deutschen, und das Gefühl, sich deren Gejammer und Skeptizismus überlegen zu wissen.

Doping-Vorwürfe: Mancher kann die Aktivitäten von ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel in Sachen Verband und privater Natur nicht mehr auseinander halten.

Mancher kann die Aktivitäten von ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel in Sachen Verband und privater Natur nicht mehr auseinander halten.

(Foto: Foto: dpa)

Einig ist man sich an den Stammtischen, dass jedoch die leidige Dopingaffäre nichts anderes gewesen sei als ein Neidreflex, um den Österreichern ihren großartigen Auftritt madig zu machen. So manches Medium, auch das österreichische Fernsehen, sucht nach Stimmen, die mit patriotischer Inbrunst an einer großen Verschwörungstheorie gegen die alpenländische Wintersportgroßmacht mitweben.

Man wird aber nur im Volksmund fündig. Während zu Beginn des Skandals, als man sich über Wildwestmethoden mancher Fahnder empörte, die Ungerechtigkeit der Welt und namentlich der italienischen Ermittlungsbehörden das Leitmotiv des Selbstmitleids gerade auch unter Politikern abgab, haben diese inzwischen immerhin so viel Verstand gefasst, das alles nicht mehr nur als aufgebauschte Bagatelle abzutun. Die Politik scheint begriffen zu haben, dass auch die Alpenrepublik gesetzliche Vorkehrungen braucht.

Wie aber sollen Gesetze aussehen, die auch in Österreich die Doping-Pest im Sport wenigstens bremsen sollen? Seltsamerweise tut man so, als hätte man sonstwo keinerlei Erfahrung damit, als müsse sich das Land alles Wissen um diese Frage neu erarbeiten, als hätte es nicht gerade mit den rigorosen gesetzlichen Vorkehrungen des italienischen Nachbarn schmerzliche Bekanntschaft gemacht. So wunderte sich der deutsche Dopingexperte Werner Franke in einer hochmögenden Runde über die Naivität, die diesbezüglich herrsche.

Auslöser war unter anderem die Ansicht der Innenministerin Liese Prokop, dass man bei der Bekämpfung von Doping möglichst von Strafrechtsbestimmungen absehen und schon gar keine Haftstrafen vorsehen solle. Die christsoziale Innenministerin hat als Leichtathletin an drei Olympischen Spielen - auch 1972 in München - teilgenommen, was so manchen giftigen Kommentar provozierte, die müsse ja wissen, warum man von harter Bestrafung absehen solle. Allerdings will Prokop sehr wohl ein Antidopinggesetz, ein entsprechender Antrag liege dem Parlament in Wien bereits vor, sagte sie am Montag.

Unterstellungen wie die gegen Prokop sind umstritten, es heißt, dass die damaligen Verhältnisse andere waren, was der steirische Landeshauptmann (Ministerpräsident) Franz Voves, einst Eishockeystar in Österreich, mit dem Satz illustrierte: "Das Gefährlichste damals war der Schweinsbraten." Trotzdem verlangte der Sozialdemokrat klare Vorgaben, um den Sportlern so etwas wie eine ethische Orientierung zu geben.

An den Ministerreaktionen ist abzulesen, wie schwer es der politischen Klasse des Landes noch immer fällt, Doping als ernstes Problem zu begreifen. Die Absicht, von Haftstrafen abzusehen, die im Zweifelsfalle mehr gewissenlose Trainer und Mediziner träfen als die Athleten, begründete die Innenministerin damit, dass ein Antidopinggesetz zuerst den Schutz der Sportler im Auge haben müsse.

Ihre Kollegin Karin Gastinger sieht das nicht genau so. Gastinger leitet das Justizministerium und kommt aus dem Lager des BZÖ unter Jörg Haider, wobei sie angesichts dieser politischen Genesis eher mit Vernunft auffällt. Gastinger jedenfalls riet erst einmal von einer gesetzlichen Regelung ab. Wenn diese unvermeidlich sei, dann sollten Strafbestimmungen nur greifen, wenn der Tatbestand die ungerechte Beeinflussung des sportlichen Ergebnisses zu Ungunsten anderer betreffe.

Am Ende verschanzt sich noch der für den Sport zuständige Staatssekretär Karl Schweitzer dahinter, dass man auf die Direktiven der Unesco warte, die doch eine internationale Dopingkonvention vorbereite, der vorzugreifen sinnlos sei. So haben die im Grunde einhelligen Versicherungen, sofort etwas unternehmen zu wollen, allenfalls rhetorischen Wert.

Das Nationale Olympische Komitee Österreichs und der Skiverband liegen einander mit Schuldzuweisungen in den Haaren. Einem Hasardeur wie dem Langlauftrainer Walter Mayer werden seine Krokodilstränen darüber nicht mehr ohne weiteres abgenommen, dass für ihn die Welt zusammengebrochen sei, weil er, harmloser Mensch, zum Anlass der ersten großen Dopingrazzia geworden war.

Und auch Peter Schröcksnadel, der als ewiger Präsident den Österreichischen Skiverband gerettet, ökonomisch und leistungsmäßig auf Vordermann gebracht hat, verliert allmählich seinen ikonenhaften Status: Der unumschränkte Herrscher über Österreichs Schneeregionen gerät mehr und mehr in den Ruf des Pisten-Paten, eines gnadenlosen Geschäftsmannes und auch Geschäftemachers, dessen Aktivität in Sachen Verband und privater Natur mancher nicht mehr auseinander halten kann.

Es ist ein etwas albernes Exempel, das Schröcksnadels Ansehens- und Machtverlust illustriert: Neuerdings wagt es schon einmal ein Mensch, den Skiboss öffentlich unter Inkaufnahme eines Wutausbruches nach seinem künstlichen Haarschopf zu fragen. Peter Schröcksnadels Toupet war bislang das bestgehütete Geheimnis der Sportnation Österreich. Selbst dieses Tabu beginnt - beispielhaft für viele andere - zu fallen.

Österreich, in dem so mancher Versündiger an Seele und Leib der Athleten aus der ehemaligen DDR und der Sowjetunion Unterschlupf gefunden hat, und das in der überaus großzügigen Interpretation schwerer Vergehen als Kavaliersdelikte einige Erfahrung vorweisen kann, hat mit dem Dopingskandal von Turin endgültig seine naive Unschuld verloren. Dies gerade deshalb, weil diese Fragen so exemplarisch im Glanz eines so großen Erfolges aufgeworfen wurden, der es nun niemandem mehr erlaubt, ganz einfach so zu tun, als sei nichts gewesen. So ist der Nation doppelt zu dem bislang einmaligen Triumph ihrer Athleten zu gratulieren.

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