Doping-Urteil in Großbritannien:Lebenslange Strafe? Unzulässig!

Das Verbot des britischen Olympiabanns hinterlässt enttäuschte Gesichter und wirft die Frage auf, ob Zweijahressperren Doper überhaupt noch abschrecken. Das aktuelle Urteil begünstigt prominente Sportler wie Rad-Weltmeister David Millar oder Sprinter Dwain Chambers - und unter Umständen sogar Fußballer Rio Ferdinand von Manchester United.

Michael Gernandt

Der internationale Sportgerichtshof (Cas) hat ein halbes Jahr nach einem Urteil gegen das Internationale Olympische Komitee (IOC) auch das Olympische Komitee Großbritanniens (BOA) gezwungen, den aus Athletensicht strengsten Paragrafen seines Reglements gegen Doping zu streichen.

Doping-Urteil in Großbritannien: Darf nach dem Cas-Urteil in London starten: David Millar, Zeitfahr-Weltmeister 2003. Der Titel wurde ihm wegen Epo-Dopings aberkannt.

Darf nach dem Cas-Urteil in London starten: David Millar, Zeitfahr-Weltmeister 2003. Der Titel wurde ihm wegen Epo-Dopings aberkannt.

(Foto: AFP)

Sportlern des Vereinigten Königreichs, die bereits eine zweijährige Dopingstrafe verbüßt haben, darf BOA den Olympiastart nicht für immer verbieten; aktuell ihrem besten Sprinter Dwain Chambers, der beim Training mit dem früheren Weltrekordler Asafa Powell auf Jamaika vom Urteil erfuhr, dem früheren Rad-Weltmeister David Millar, Kugelstoßer Carl Myerscough und unter Umständen Fußballer Rio Ferdinand von Manchester United.

Drei Cas-Richter aus Kanada, den USA und der Schweiz werteten den weltweit "einzigartigen" lebenslangen Bann (seit 1992) in ihrem Spruch vom Montag wie erwartet als zusätzliche Strafe und deshalb unvereinbar mit dem Code der Welt-Antidoping-Agentur (Wada). Es wurde auf den Fall vom Oktober 2011 verwiesen, IOC vs. US-Olympiakomitee, das den früheren Doper LaShawn Merritt vertrat, den US-Olympiasieger über 400 Meter.

Damals waren dieselben Richter zu einer "gleichen Entscheidung" gekommen, zugunsten von Merritt. BOA hatte sich auf sein vom IOC garantiertes Recht berufen, sein Olympiateam allein verantwortlich aufstellen zu dürfen.

Monatelang war die Angelegenheit in Großbritannien diskutiert worden, mehr-heitlich hatten sich britische Sportler pro Dauersperre ausgesprochen. Und die beiden Lords an der Spitze der Sportfunktionäre, BOA-Präsident Colin Moynihan und Sebastian Coe, der London-2012-Organisationschef, waren nicht müde geworden, auf die Autonomie des nationalen Sports zu pochen und diesen vor der Dopinggefahr zu schützen.

In den vergangenen Wochen indes hatte sich zunehmend Resignation breit gemacht, hatten sich die Stimmen gemehrt, BOA werde den Streit mit der Wada nicht gewinnen können. Selbst ein harscher Aufruf des IOC-Mitglieds Frank Fredericks aus Namibia, Britanniens Sportler sollten die London-Spiele boykottieren, falls Chambers zugelassen werde, fand zuletzt kaum noch ein Echo.

Enttäuschung überall

BOA reagierte am Montag mit Enttäuschung auf den Cas-Spruch. "Kein Zweifel", wurde Moynihan zitiert, "für Athleten, Trainer und Funktionäre des internationalen Sports, die sich größere Fortschritte im Kampf gegen Doping wünschen, ist das ein hohler Sieg für die Wada". Chambers, 34, der einen Zivilgerichtsprozess gegen BOA um seinen Olympiastart in Peking 2008 verloren hatte, und Millar, 35, wurden gleichwohl "100 Prozent Unterstützung" im Olympiateam zugesichert. Chambers soll auch wieder in die 4x100-m-Olympiastaffel des Landes integriert werden, für das Nationalteam durfte er nach Ablauf seiner Sperre 2006 nur in Einzelrennen starten.

Moynihans Gang zum Cas hatte dem Schutz sauberer Sportler des Vereinigten Königreichs gegolten. Dabei ist er gestolpert, aber nicht gefallen. Schließlich ist es dem Lord gelungen, wichtige Fragen wieder auf die Tagesordnung der Antidoping-Debatte zu setzen: Wie abschreckend auf Sportler ist die Regelstrafe für Dopingvergehen (zwei Jahre)? Wären die früher schon mal gültigen vier Jahre trotz arbeitsrechtlicher Bedenken nicht doch effektiver?

Bei der Anhörung vor dem Cas am 12. März war BOA mit der Forderung nach "verbindlichen vier Jahren als Minimum" auffällig geworden. Jonathan Edwards, Weltrekordler im Dreisprung und Mitglied im Aufsichtsrat des Londoner Olympia-OK, meinte: "Eine zweite Chance für Sportler, aber zwei Jahre sind einfach zu wenig". Sein Vorschlag: Sperre im Olympiazyklus.

BOA wollte Zeichen setzen für die Unbescholtenheit seines Olympiateams und gegen das aktuelle Wada-System. Es sei jetzt an der Zeit, grundsätzlich über Rolle, Struktur und Funktion der Agentur als Zentralstelle nachzudenken: ein nicht unberechtigter Wunsch der Briten. Daley Thompson, 1980 und 1984 Olympiasieger im Zehnkampf, klagte: "Die Wada macht ihren Job nicht ernsthaft. Warum muss internationales Recht dich zwingen, Doper wieder aufzunehmen?"

David Howman, Wada-Geschäftsführer, erwiderte, die Zweijahressperre hätten alle Signaturstaaten des Wada-Codes, auch Großbritannien, akzeptiert, um das Strafenallerlei zu stoppen. Stichwort: Harmonisierung der Sperren für alle Sportarten, in allen Ländern. Howman zu Thompson: "Eine Alternative wären Zustände wie in dunkelsten Zeiten des Antidopings, wie damals, als Sie Elite-Athlet waren."

So gesehen durfte die Wada den Streit mit den Briten nicht verlieren. "Lebens-lang" hätte die Statik des Strafenkatalogs beschädigt, ein Ausreißer nach oben nach BOA-Art auch Sperren von weniger als zwei Jahren zur Folge haben können. Das wäre: das Ende einheitlicher Strafmaßnahmen. Schon im nächsten Jahr muss sich erweisen, ob der Vorstoß der Briten für eine höhere Regelstrafe, den das Cas-Urteil freistellte, Befürworter findet. Dann wird der Wada-Code routinemäßig überarbeitet. Von 2015 an gilt ein Neuer. Beim Treffen aller Nationalen Olympischen Komitees kürzlich in Moskau soll es Unterstützung für strengere Strafen gegeben haben, will der Telegraph gehört haben.

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