Doping-Urteil gegen Sun Yang:Ein Schwimmer, der die Sportwelt spaltet

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Sun Yang: Die Höchststrafe bedeutet wohl auch das Karriereende des 28-Jährigen (Foto: AFP)
  • Der Internationale Sportgerichtshof Cas erkennt in dem Zertrümmern einer Dopingprobe eine klare Manipulation - und verhängt gegen Schwimmer Sun Yang die Höchststrafe von acht Jahren Sperre, weil er schon einmal gedopt war.
  • "Ich bin schockiert, wütend und kann die Entscheidung (...) nicht verstehen", schreibt Sun Yang im sozialen Netzwerk Weibo. Seine Anwälte würden nun Berufung vor dem Schweizer Bundesgericht einlegen.
  • Die Reaktionen in weiten Teilen der Schwimm-Welt sind vor allem von Erleichterung geprägt.

Von Claudio Catuogno und Lea Deuber

Es kann schon sein, dass Sun Yang so ein Urteil bis zuletzt nicht für möglich gehalten hatte. Acht Jahre Sperre. Acht Jahre? Was erlauben sich diese Richter? Zählen denn all seine Medaillen nichts mehr? Wo bleibt der Respekt vor einem der erfolgreichsten Schwimmer, den dieser Planet je gesehen hat? Die Fairness? Die Gerechtigkeit? Der Respekt vor China? Der Respekt vor dem Olympischen Geist?

Ungefähr so hatte Sun Yang bis zuletzt alle Vorwürfe an sich abprallen lassen: mit einer Mischung aus grenzenlosem Selbstbewusstsein bei zugleich eher marginal ausgeprägtem Problembewusstsein. Dass er vielen längst als der böse Bube des Weltsports galt, nachdem im Herbst 2018 herauskam, dass er eine Dopingprobe mit einem Hammer hatte zerstören lassen? Dass Konkurrenten am Beckenrand offen gegen ihn rebellierten? Alles Neid! "You loser! I'm winning!", hatte Sun Yang bei der WM im Sommer in Gwangju dem Bronzegewinner Duncan Scott von seinem Gold-Podest entgegen geschleudert, aufgebracht, weil Scott ihm weder die Hand reichen noch mit ihm auf ein Foto wollte.

Der Sieger hat recht, so war das immer in Sun Yangs Welt.

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Sun Yang konnte sich im Schwimm-Weltverband Fina lange sicher fühlen. Die Acht-Jahre-Sperre des Sportgerichtshofs ist eine Niederlage für ein Sportsystem, das sich dringend erneuern muss.

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Und ja, Sun Yang hatte sehr zufrieden ausgesehen am Abend des 15. November in Montreux, im Anschluss an die öffentliche Verhandlung seines Falls vor dem Internationalen Sportgerichtshof Cas. Der ewige Sieger würde auch hier Recht bekommen, daran schien er keine Zweifel zu haben. Arm in Arm mit seiner Mutter Yang Ming hatte er sich vor die Fotografen gestellt. Und in den Interviews, die er danach mit chinesischen Medien führte, schien diese lästige Prozessgeschichte für ihn fast schon abgeschlossen zu sein: "Die Leiden dieses Jahres sind vorbei!"

Dem Portal Shijie Shuo berichtete Sun, dass es in seinem Schweizer Hotel zwar keinen Pool gegeben habe, sein Training werde aber trotzdem "überhaupt nicht beeinträchtigt". Dass die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada extra einen "sogenannten Top-Anwalt" damit beauftragt hatte, ihn aus dem Verkehr zu ziehen, den Amerikaner Richard Young, der schon den Radsport-Heroen Lance Armstrong zu Fall brachte? Das "nehme ich nicht sehr ernst", sagte Sun Yang: "Er mag ein Top-Anwalt sein, ich bin ein Top-Athlet", und "all die Stürme machen mich stärker und stärker". Er werde auch in Zukunft ganz oben auf dem Siegerpodest stehen.

Jetzt ist es also anders gekommen. Am Freitag um 10 Uhr machte der Sportgerichtshof seinen Urteilsspruch öffentlich: Es ist die Höchststrafe geworden. Die drei Cas-Richter werteten jenen turbulenten Abend im September 2018, an dessen Ende im Hof von Sun Yangs Wohnanlage in der Provinz Zhejiang südlich von Shanghai der Glasbehälter mit seinem Blut in Scherben lag, nicht nur als verweigerte Dopingkontrolle - das wären zwei Jahre Sperre gewesen -, sondern als "Manipulation". Darauf stehen vier Jahre. Und weil er 2014 schon einmal wegen der Einnahme eines verbotenen Herzmittels kurzzeitig verbannt war, gilt Sun Yang nun als Wiederholungstäter. Macht vier Jahre mal zwei.

Das Urteil ist für Sun Yang wohl gleichbedeutend mit dem Karriereende. Nach drei Olympiasiegen (über 400 und 1500 Meter Freistil in London 2012 sowie 200 Meter Freistil in Rio 2016), nach elf Weltmeistertiteln zwischen 2011 und 2019, nach mehreren Weltrekorden.

Die Reaktion in weiten Teilen der Schwimm-Welt: Erleichterung. Der britische Brustschwimmer und Weltrekordler Adam Peaty schrieb in einem Statement, das Urteil halte "die Werte des Sports hoch". 1500-Meter-Weltmeister Florian Wellbrock aus Magdeburg sagte dem Sportinformationsdienst: "Endlich wurde durchgegriffen." Duncan Scott, jener Brite, der sich in Gwangju als Loser beschimpfen lassen musste, schrieb, er "unterstütze das Urteil voll und ganz". Viele Athleten und Trainer kommentierten, der Sport habe Glaubwürdigkeit zurückgewonnen.

Die Reaktion von Sun Yang: Trotz und Fassungslosigkeit. Im sozialen Netzwerk Weibo, wo der Schwimmer 33,5 Millionen Follower hat, veröffentlichte er am Freitag ein längeres Statement: "Ich habe gerade mein Training beendet", schrieb er, "ich bin schockiert, wütend und kann die Entscheidung (...) nicht verstehen." Seine Anwälte würden nun Berufung vor dem Schweizer Bundesgericht einlegen.

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Seine Mutter ließ eine Dopingprobe mit einem Hammer zerstören - aber den entscheidenden Fehler hat Sun Yang offenbar schon vorher begangen. Chinas Vorzeigesportler droht nun das Karriereende.

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Das ist auch in Sportverfahren die letzte Instanz. In der Regel prüft das Bundesgericht Cas-Urteile aber nur auf Verfahrensfehler, und ob es da Ansatzpunkte gibt, wird man erst einschätzen können, wenn in ein paar Tagen die schriftliche Begründung vorliegt. Ob Sun Yang diese juristischen Feinheiten kennt? Seinen Followern hat er jedenfalls versichert, dass jetzt "die Fakten die Lügen überwinden müssen", und dass er "bis zum Ende für meine Rechte kämpfen" werde.

Unter dem Post drückten seine Fans ihren Ärger über das Urteil aus. Die meisten schrieben nur eine Zeile: "Ich glaube dir!" oder "Halte durch!" Sun Yangs Verurteilung gehörte am Freitag zu den meistdiskutierten Themen überhaupt auf Weibo. Unterstützung kam auch von Chinas Schwimmverband. Die beauftragte Testagentur habe an jenem Abend 2018 "unprofessionelle, unakkreditierte Personen beschäftigt, um die Tests bei Sun Yang vorzunehmen", schrieb der Verband in einem Statement. Das habe die Kontrolle "illegal und ungültig" gemacht. Man sei "zutiefst enttäuscht", dass der Cas diesen Umstand nicht zur Kenntnis genommen habe.

Das war tatsächlich die entscheidende Frage gewesen: Hat sich das Kontrollteam des schwedischen Test-Dienstleisters bei dem unangekündigten Test ausreichend ausweisen können? Ein Assistent hatte nur seinen chinesischen Pass vorgezeigt (und noch dazu offenbar private Fotos gemacht), eine beteiligte Krankenschwester hatte nur ein Krankenschwesterzertifikat dabei. Die Kontrolleurin, eine Chinesin, war die einzige mit einem Bestätigungsschreiben. Das sei, gemessen an den Empfehlungen, zwar nicht "best practise", hatten die Wada-Vertreter in der Anhörung zugegeben - aber letztlich ausreichend.

So sahen es nun auch die drei Cas-Richter unter dem Vorsitz des ehemaligen italienischen Außenministers Franco Frattini: Das Personal habe über "alle geltenden Anforderungen" verfügt. Und selbst, wenn Sun Yang und seine Entourage das in dieser Nacht bezweifelten: Dann hätten sie ihre Einwände im Nachhinein schriftlich einreichen müssen. Aber eine Urinkontrolle zu verweigern, eine Blutkontrolle mit dem Hammer zertrümmern zu lassen und so "zu verhindern, dass die Probe später getestet werden kann" - das sei in jedem Fall ein schwerer Verstoß gegen die Anti-Doping-Bestimmungen.

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Nach allem, was Sun Yang und seine Zeugen in Montreux erklärt haben, war das zwar gar nicht seine Idee. Zwei hinzu gerufene Ärzte hatten verfügt, dass kein Tropfen Körpersaft das Gelände verlässt, und seine Mutter war es schließlich, die einen Wachmann losschickte, den berühmten Hammer zu holen. Aber Sun Yang ist es, der nun den Preis bezahlt für diese völlig aus dem Ruder gelaufene Kontrolle.

Und so werden die letzten Bilder des Schwimmers Sun Yang wohl jene von der WM in Südkorea bleiben. Schon da hatte er - im Wortsinne - die Schwimmwelt gespalten. Auf der einen Seite der Halle saßen hunderte Chinesen mit Sun-Yang-Fahnen, die Sun-Yang-Sprechchöre anstimmten. Auf der anderen Seite buhten ihn die Athleten anderer Nationen aus. Neben Scott verweigerte auch der Australier Mack Horton eine gemeinsame Siegerehrung. Im Athletendorf wurden die beiden für diese Gesten gefeiert, von den Offiziellen des Weltverbands Fina gerügt. Nicht Sun Yang, nein, Horton und Scott hätten das Schwimmen "in Verruf gebracht", schimpfte der Fina-Generaldirektor Cornel Marculescu.

Das ist ein weiterer unrühmlicher Teil der Geschichte, das Verhalten der Fina. Das Cas-Urteil dürfte Sun Yang auch deshalb treffen wie ein Schlag mit dem, ja: Hammer, weil es in so markantem Kontrast steht zu der fürsorglichen Behandlung, die ihm bisher durch die Sportinstanzen widerfuhr. "Wie ein Großvater", hatte Sun nach seiner ersten Sperre geschwärmt, habe ihn Marculescu nach der Rückkehr in den Arm genommen. Jener Marculescu, der öffentlich die Meinung vertrat, man könne die größten Stars doch nicht von der WM verbannen, nur weil sie mal einen "kleineren Unfall mit Doping" hatten. Die Sportverbände sind Polizei und Promoter in einem, das kann gar nicht gut gehen.

Das Doping-Panel der Fina hatte sich Sun Yangs Fall im Januar 2019 angesehen, es hatte die Einwände bezüglich der fehlenden Ausweispapiere geprüft - und Sun Yang dann freigesprochen. Dieses Urteil hat der Cas nun korrigiert. Seine WM-Titel von Gwangju aber hat das Sportgericht Sun Yang nicht nehmen können. Da die Fina darauf verzichtet habe, Sun Yang provisorisch zu sperren, schrieben die Richter, darf er die Medaillen behalten. Trösten wird ihn das nicht.

© SZ vom 29.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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