Doping:Unterwegs, um zu stechen

Eine Krankenschwester legt im "Aderlass"-Prozess in München ein umfassendes Geständnis ab. Die Richterin lässt indes durchblicken, dass der Prozess sich noch eine Weile ziehen könnte.

Von Claudio Catuogno

Tag zwei im "Aderlass"-Prozess am Landgericht München: Während die Hauptangeklagten im Dopingprozess, der Erfurter Arzt Mark Schmidt, 42, und sein mutmaßlicher Helfer Dirk Q., bisher nichts ausgesagt haben, legte am Freitag die Krankenschwester Diana S. ein umfassendes Geständnis ab. S. ist angeklagt, in 43 Fällen von Schmidt gewerbsmäßig orchestriertes Eigenblutdoping an Spitzensportlern ausgeführt zu haben: Sie traf an diversen Wettkampforten Schmidts Kunden, legte ihnen Venenzugänge, führte am Wettkampftag zuvor eingelagertes Eigenblut zu, um die Leistungsfähigkeit zu erhöhen, und zapfte es danach wieder ab.

Die Athleten hätten sich ihr nur mit Codenamen vorgestellt, berichtete S., und so hießen sie nun auch vor Gericht: "Pierre", "Moritz", "Einstein". Einen, er muss besonders wehleidig gewesen sein, wenn das Blut in die Armbeuge lief, haben sie nur "der Verrückte" genannt. Die Sportler hinter den Codes sind entschlüsselt: vor allem Langläufer und Radprofis aus Österreich, Estland und Kasachstan. Sie sind im Laufe der kommenden Wochen als Zeugen geladen. Richterin Marion Tischler ließ allerdings durchblicken, dass es kaum Handhabe gebe, Zeugen aus dem Ausland in den Gerichtssaal zu schaffen. Man könne bei Nichterscheinen nur erneut laden. Der Prozess, der bis zum 21. Dezember terminiert ist, könnte sich weiter hinziehen.

Diana S. möchte die Geschichte nur so schnell wie möglich hinter sich lassen. Wie kommt man an so einen Nebenjob - Blutkurierin? S. schilderte, wie sie Schmidt 2012 in Erfurt im Krankenhaus kennenlernte, sie Krankenschwester, er Arzt. Gleiche Wellenlänge, gute Gespräche - und Schmidt muss der Kollegin auch den ein oder anderen Gefallen getan haben, etwa Geld geliehen. Als er sie 2017 seinerseits um Hilfe bat, auf dem Weihnachtsmarkt, so berichtete S., da nahmen die Dinge ihren Lauf. Sie habe Schmidt immer wieder gesagt, dass sie für konspirative Einsätze nicht geeignet sei, zumal als alleinerziehende Mutter von drei Kindern. Und doch fuhr sie immer wieder los. Schmidt habe ihren wunden Punkt ausgenutzt, gab sie an, "du brauchst doch das Geld" sei ein Argument gewesen. 200 Euro pro Einsatztag, An- und Abreisetage ausgenommen. Und das Gefühl, ihm etwas schuldig zu sein.

Viel Raum im Geständnis nahm ihr erster Ausflug mit der Blutkühlbox ein, 2018 nach Toblach. Sie habe nur hinfahren und etwas abliefern sollen, aber dann sei im bereitgestellten Audi ein gepackter Rucksack gelegen, alles fertig für den Blutaustausch: "Du könntest auch gleich stechen", habe Schmidt telefonisch gebeten. Es folgte das ganze Programm: Ein Athlet legt zum Anzapfen die Armbeuge frei. Dann ein Anruf: "Gleich wird im Hotel jemand an deine Zimmertür klopfen" - kurz darauf klopfte es tatsächlich; der nächste Blutbeutelkunde. Nach der Rückkehr habe sie moniert: kein Desinfektionsmittel, keine Einmalhandschuhe. Die Antwort? "Dann wirst du zu teuer." Manchmal habe es auch Beschwerden der Sportler gegeben, weil sie denen ständig den Puls kontrollierte, damit der Kreislauf stabil bleibt. Man fand sie unentspannt. Überhaupt war sie oft auch eine schusselige Gehilfin: Anreise nach Schweden - aber ohne Führerschein für den Mietwagen, Einsatz geplatzt. Anreise nach Berlin, aber die Zentrifuge nicht aus dem Kofferraum heben können.

Manchmal nickt Schmidt in der Reihe vor ihr, wenn sie erzählt, grinst - als erinnere er sich an die guten alten Zeiten. Für S. waren die aber keineswegs gut: Sie fühlt sich "ausgenutzt". Sie habe gesehen, wie wichtig Schmidt die Zeit mit dem kleinen Sohn gewesen sei - also sei wieder sie gefahren. Als die Rede auf den Sohn kommt, reibt Schmidt sich die Augen. Seit 18 Monaten sitzt er jetzt in Untersuchungshaft.

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