Süddeutsche Zeitung

Doping und der deutsche Sport:Schweigen im Glashaus

Nach dem Doping-Geständnis von Erik Zabel melden sich wieder allerhand Experten und Funktionäre zu Wort. Doch es geht nicht um sauberen Sport - sondern um die Beruhigung des Publikums.

Ein Kommentar von Thomas Kistner

Jetzt ist wieder eines dieser Bruchbänder gerissen, mit denen der organisierte Sport (unter dem ambitionierten Begriff Dopingkontrolle) seine Pharma-Messen abdichtet. Natürlich verdanken sich auch die jüngsten Enthüllungen über systematischen Betrug einer staatlichen Parallelermittlung, im aktuellen Fall einer Pariser Senatskommission, und nicht den handzahmen Selbstreinigungskräften des Sports; seinen Anti-Doping-Agenturen.

Also muss die Muskelbranche nun wieder ihren Geschäfts-Bluff aufziehen, sprich: die Sache mit dem unverzichtbaren Pharmatreibstoff runterspielen. Wie das funktioniert, ist an Erik Zabel zu beobachten: Der ist leider raus. Flott gehen dem Geständigen die Jobs flöten, in Hamburg wie beim russischen Katjuscha-Team, das seit Jahren selbst einen Spitzenplatz im globalen Dopingranking hält.

Im deutschen Sport ist dazu wenig zu vernehmen. Dabei gibt sich der ja gern porentief rein im Vergleich mit anderen Ländern. Die Spitzen im Olympischen Sportbund DOSB wehren sich sogar seit Jahren gegen ein hartes Anti-Doping-Gesetz, wie es anderswo in Europa längst üblich ist. Deshalb entlarvt sich der deutsche Sport jetzt wieder mal als Fallbeispiel für die Systemlüge. Haben nicht die DOSB-Chefs Bach und Vesper 2007 einen riesigen Medien-Zinnober veranstaltet, nachdem Zabel eine kurze Verirrung mit Epo gebeichtet hatte? Doch, das haben sie. Aber natürlich fanden ihre dramatisch angekündigten Aktionen zum Themenkreis Läuterung und Aufklärung nie statt.

In dieses Bild passt die soeben enthüllte staatliche Dopingförderung in Westdeutschland: Seit den Siebzigern agierten Doyens der nationalen Sportmedizin als Masterplaner des Betrugs. Hier gehört auf die innere Geschäftslogik einer eng vernetzten Sportwelt verwiesen, deren sensibelste Bereiche über Dekaden von einem winzigen Personenkreis beherrscht wurden. Von Ärzten, die ihre Glaubensjünger hochzogen, und Funktionären, die alles wussten und bis heute wissen, aber nach außen die Ahnungslosen spielen.

So läuft das Spielchen tatsächlich: Es geht nicht um sauberen Sport. Es geht um die Beruhigung des Publikums. Denn die Öffentlichkeit finanziert den nationalen Muskelzauber mit. Und weil auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen eine Art Zwangsgebühr für erschummelte Leistungen erheben darf (klar: im Zustand kindlicher Naivität, denn welcher TV-Radsportexperte hätte je geahnt, dass nationale Helden wie Ullrich oder Zabel gedopt sein könnten?), sind jetzt auch hier vertraute Reflexe zu beobachten.

Tief empört prüft die ARD eine alte Vereinbarung mit Zabel "juristisch", es soll um die Frage gehen, ob Sponsorengeld zurückverlangt werden könne. Derlei Aktionismus verstellt aber nur den Blick auf eine Kernfrage: Wie verhält es sich mit öffentlich-rechtlichen Mitarbeitern, gegen die Dopingbeweise aus ihrer Athletenzeit vorliegen?

Vielleicht wird ja nun die Luft dünner in einem denkwürdigen Branchenzweig, wo unter der Berufsbezeichnung Journalismus diskrete Kontinuität gepflegt werden kann. Wer selbst im Glashaus saß, wirft später nicht so leicht mit Steinen.

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SZ vom 31.07.2013/cko
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