Doping:"Sie haben die dumme Ziege gerettet"

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Zuschauer: Alexander Legkow bleibt zum Start der Tour de Ski suspendiert und verpasst daher die gesamte Tour.

(Foto: imago)

Im Dopingbericht zu Russland führt eine Spur zu Langlauf-Olympiasieger Alexander Legkow. Der Verband sperrt ihn, doch der Fall zeigt, wie kompliziert die Beweisführung ist.

Von Johannes Knuth

Wer schon immer einmal in die Tiefen des russischen Dopingmorastes eindringen wollte, dem sei die Internetseite www.ipevidencedisclosurepackage.net empfohlen (Russischkenntnisse sind von Vorteil). Der Kanadier Richard McLaren breitet dort 1166 Dokumente aus seinem Report aus, E-mails, Gutachten, mehr als 1000 Athleten, die vom jahrelangen Systemdoping profitierten. Allerdings sind die scharfen Konturen des Betrugs selten ausgemalt, viele Namen sind verschlüsselt. Nur an wenigen Stellen sind Fährten gelegt, warum auch immer. Eine führt zum Skilangläufer Alexander Legkow.

"Sie haben die dumme Ziege Legkow gerettet," schreibt Grigorij Rodschenkow in einer der Mails. Jener ehemalige Laborleiter also, der im Epizentrum des Systemdopings agierte und es im vergangenen Sommer in der New York Times freilegte. Es ist nicht die einzige Stelle, in der Legkow auftaucht. Weshalb der 33-Jährige in diesen Tagen nicht bei der Tour de Ski um Geld und Ruhm kämpft, sondern um seinen Ruf, vor den Sportgerichten.

Legkow ist einer von sechs russischen Langläufern, gegen die das Internationale Olympische Komitee (IOC) jetzt ermittelt - wegen möglicher Manipulationen bei den Winterspielen 2014 in Sotschi, beschrieben in McLarens Report. Der Welt-Skiverband Fis suspendierte Legkow deshalb provisorisch, kurz vor der Tour de Ski. Ein Einspruch seines Anwalt verpuffte. Legkow, der Olympiasieger im Massenstart von Sotschi, wird das Etappenrennen also verpassen. Weil Ende Februar aber auch noch eine WM stattfindet, will Legkow zumindest den provisorischen Bann heben lassen; die Fis will sein Anliegen demnächst mündlich verhandeln, der Zeitpunkt ist ungewiss.

Wie vieles in diesem kuriosen Krimi.

Da ist zum einen Rodschenkows Mail, in der er sich über Legkow ärgert. In diesem Zusammenhang ist von einer Positivprobe die Rede, sie wurde am 28. März 2014 genommen, bei den russischen Meisterschaften. In der Probe steckte das Asthmamittel Budesonid. Der betroffene Athlet wird in der E-mail als A0467 geführt. Diese Kennung taucht öfters in McLarens Datenbanken auf, unter anderem in einem "State Program" für Sotschi. Athlet A0467 wurde dort mehrmals auf Blut und Urin getestet, auch am Tag des Massenstarts über 50 Kilometer. Laut einer weiteren Liste gewann dieser Athlet dabei Gold. Der Sieger damals hieß: Legkow.

Vergleicht man die Budesonid-Probe aus der Mail jetzt noch mit einer weiteren Datenbank aus McLarens Fundus, stellt man fest, dass der Befund von A0467 als "negativ" bei der Welt-Anti-Doping-Agentur gemeldet wurde. Legkow könnte also "gerettet" worden sein, indem sie seine Probe verschleierten.

Dann ist da die "Duchess List", Dokument "EDP0055" in McLarens Archiv. Athlet A0467 ist dort ebenfalls vermerkt. Die Liste nennt 37 Sportler, denen Rodschenkow laut McLaren einen Doping-Cocktail verschrieb und die in Sotschi geschützt werden sollten. Die Athleten gaben dafür vor Olympia sauberen Urin ab, dieser wurde beim Geheimdienst FSB gelagert und später in die Wettkampfproben gefüllt - an die ein Agent durch das ominöse Loch in der Wand im Sotschi-Labor gelangte.

Legkow-Anwalt aus Bochum ärgert sich

Merkwürdig nur: Die Fis beruft sich bei Legkows Suspendierung weder auf einen Positivtest, noch auf seine Anwesenheit auf der "Duchess"-Liste. Daher, sagt Legkows Bochumer Anwalt Christof Wieschemann, könne er dazu leider nichts sagen.

Laut Wieschemann rechtfertige die Fis den Bann derzeit nur dadurch, dass an Legkows Proben Kratzspuren gefunden wurden, Spuren der Manipulation. Daraus könne man aber keinen "konkreten Dopingvorwurf" ableiten, es gebe keine positive Probe, keine weiterführenden Hinweise. Wieschemann versteht, dass gegen seinen Mandanten ermittelt wird, ihn ärgere bloß, dass die Fis ihn erst einmal suspendierte, dass die Unschulds- in eine Schuldvermutung verwandelt worden sei. Was Fis-Präsident Gianfranco Kasper sogar indirekt zugab: Man habe die russischen Läufer gesperrt, "obwohl wir noch auf Beweise warten müssen", sagte er, vom IOC. Ein vom Verdacht umwehter Olympiasieger bei der prestigeträchtigen Tour, das passte dem Verband offenbar nicht so recht. Und jetzt?

Legkows Urin-Proben aus Sotschi kamen laut Wieschemann als negativ zurück. Das allein entlastet ihn aber kaum, die Kratzspuren deuten ja darauf hin, dass jemand seinen Urin austauschte. Die Frage ist: War es Fremdurin, wie er laut McLaren in manchen Proben gefunden wurde? Das würde den Vorwurf zerkrümeln, Legkow habe zuvor sauberen Urin eingereicht. Wäre es sein Urin, brächte ihn das in Schwierigkeiten. Derzeit spricht manches für Letzteres, sagt Wieschemann; die Proben wiesen laut IOC jedenfalls "keine Besonderheiten und Abweichungen" auf.

Wieschemann vermutet aber, dass der FSB auch auf jene Urinproben zugegriffen haben könnte, die russische Sportler zwei Mal im Jahr bei einer obligatorischen Untersuchung abgeben müssen. Legkows Urin hätte in Sotschi demnach ohne sein Zutun getauscht werden können. Plausibel? Abenteuerlich? Bleibt abzuwarten, wie Fis und IOC bald ihre Beweisführung unterfüttern werden.

Ach ja, und der Positivtest? Legkow habe ihm eine Ausnahmegenehmigung für Budesonid vorgelegt, sagt Wieschemann, gültig seit 2008, von einem Schweizer Arzt. Das könnte den Befund erklären - und den Verdacht härten, dass es sich bei A0467 um Legkow handelt. In McLarens Datenbank gibt es halt nur einen Budesonid-Fall bei einem Langläufer. Die Fis teilt auf Anfrage mit, dass sie zu Einzelfällen derzeit nichts sagen könne.

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