Süddeutsche Zeitung

Doping in Russland:Besuch von den Zauberkünstlern

  • Laut Doping-Kronzeuge Grigorij Rodtschenkow wurde im Jahr 2015 die Urinprobe eines russischen Fußballers ausgetauscht.
  • Sein Name: Ruslan Kambolow - er zählte kürzlich noch zum erweiterten Kader für die WM, wurde aber dann offiziell wegen einer Verletzung gestrichen.

Von Johannes Aumüller, Sankt Petersburg

Eine Woche verstrich, dann kam angeblich der Geheimdienst, um den Betrug zu vollziehen. Am 3. Juni 2015 hatte der damalige Moskauer Laborleiter und heutige Doping-Kronzeuge Grigorij Rodtschenkow in einer Urin-Probe des Fußballers Ruslan Kambolow die verbotene Substanz Dexametason gefunden. Und am 10. Juni, so erklärt es der Wissenschaftler nun, sei ein Mitarbeiter des Geheimdienstes erschienen und habe die Probe ausgetauscht. Kambolow sei als Dopingfall eingestuft worden, und der Fußball-Weltverband Fifa wisse das.

Es ist nicht neu, dass russische Fußballer im Verdacht stehen, Profiteure des jahrelangen Staatsdopingsystems gewesen zu sein. Auch der Name von Kambolow, der vor ein paar Wochen zum erweiterten Kader für die WM zählte, aber dann offiziell wegen einer Verletzung gestrichen wurde, ist schon seit Längerem öffentlich. Der Spieler von Rubin Kasan war auch Teil der von der Fifa sanktionslos beendeten Ermittlungen zur Doping-Causa. So konkret wie diesmal ist der Verdacht allerdings noch nie formuliert worden.

Der Weltverband will sich zu Rodtschenkows Aussagen nicht äußern

Rodtschenkow verweist bei seinen Aussagen, die er in dieser Woche gegenüber der ARD machte, auf Abschnitte in seinem Tagebuch. Für den 10. Juni 2015 habe er demnach eingetragen, dass an diesem Tag ein Mitarbeiter vom Geheimdienst FSB gekommen sei, der seine "Zauberkünstler" mitgebracht habe. So nannte Rodtschenkow seine Betrugskompagnons vom FSB häufig. Diese hätten dann "vier Kunststücke" vollführt. "Gott sei Dank lief alles gut", heißt es im Tagebuch.

Der Dopingskandal dauert nun schon mehr als drei Jahre, und Rodtschenkow, der inzwischen unter dem Schutz der Sicherheitsbehörden an einem geheimen Ort in den USA lebt, hat sich häufig gegenüber Ermittlern und verschiedenen Medien geäußert. Aber offenkundig hat er sich noch einiges Material und einige Behauptungen aufgespart.

Die Existenz des Tagebuchs und die Tatsache, dass Rodtschenkow darin Details zum Doping-Skandal festhielt, ist seit mehr als einem halben Jahr bekannt. Die Disziplinarkommission des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) nutzte manche Passagen als Argument für ihren Versuch, viele russische Sportler aus den Medaillen-Bilanzen der Winterspiele von Sotschi 2014 zu streichen und für die Winterspiele in Pyeongchang 2018 zu bannen. Sie bewertete die Einträge als "signifikantes Beweiselement". Es sind aber noch nicht viele Seiten des Tagebuchs öffentlich bekannt.

Die Fifa will sich zum konkreten Fall und zu Rodtschenkows Aussagen nicht äußern. Der russische Verband antwortete auf eine Anfrage zunächst nicht; er hatte aber zuletzt die Behauptung stets zurückgewiesen, es habe im Fußball ein Dopingsystem gegeben. Mit Blick auf Kambolow war darauf verwiesen worden, dass der Spieler gegenüber der Fifa Erklärungen für den Befund abgegeben habe und diese zum Schluss gekommen sei, es liege kein Anti-Doping-Verstoß vor.

In Russlands jahrelangem Manipulationssystem hatte es zwei hauptsächliche Methoden gegeben, um den Betrug umzusetzen. Die eine war, bei Positivproben von russischen Athleten das Ergebnis im Meldesystem der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) zu fälschen und die festgestellte positive Probe dort als negativ einzutragen. Die zweite war der heimliche Austausch von dopingbelasteten Proben gegen saubere Proben, wie er in besonders ausgeklügelter Form während der Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi passierte, aber teilweise auch im Moskauer Labor.

Bisher hatte es mit Blick auf die Fußballer vor allem Hinweise gegeben, dass sie von Methode eins profitierten. Das ist dokumentiert in Mails zwischen dem Labor und dem Sportministerium, in denen es in einem Fall sogar einen direkten Bezug zum damals amtierenden Sportminister Witalij Mutko gibt. Doch nun sieht es so aus, als sei den Fußballern auch die zweite Methode zupass gekommen, der Austausch. Sollte der Vortrag des Kronzeugen Rodtschenkow richtig sein, schließen sich viele Fragen an. So wäre zu klären, woher der Ersatzurin so schnell kam. Wada-Sonderermittler Richard McLaren sprach früher schon von vagen Hinweisen auf eine spezielle Urinbank für Fußballer. Es ist schwer vorstellbar, dass nur ein Fußballer vom Austausch-Programm profitieren konnte.

Verblüffend ist in dieser Causa das Verhalten der Fifa. Diese musste in den vergangenen Monaten nach Hinweisen der Wada aus dem sogenannten McLaren-Report sowie aus anderen Quellen verdächtige russische Fußballer prüfen. Kurz vor dem WM-Turnier erklärte sie die Akte bezüglich der aktuellen Nationalspieler allerdings für geschlossen - "mangels ausreichender Beweise" für einen Verstoß gegen die Anti-Doping-Regeln. Auch im Fall von Kambolow.

Was genau der Weltverband bei dieser Prüfung tat, ist unklar, und es stellen sich viele Fragen - etwa im Umgang mit dem Kronzeugen Rodtschenkow. Zwar verweist die Fifa auf einen umfangreichen Katalog von Maßnahmen, die sie unternommen habe. Darunter sind auch 59 spezifische Fragen, die sie dem früheren Moskauer Laborleiter gestellt habe. Angesichts der großen Bedeutung, die dessen Tagebuch für die Verfahren des IOC hatte, wäre es naheliegend gewesen, sich bei Rodtschenkow nach Erkenntnissen aus dem Tagebuch über Fußballer zu erkundigen. Doch auf die Frage, ob sie das getan hat, schickt die Fifa nur ihren Standardsatz, dass sie zu potenziellen Anti-Doping-Angelegenheiten Einzelner nichts sagen könne.

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SZ vom 20.06.2018/chge
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