Sie ist amtlich, die revolutionäre Neuerung, und dass der Sport sie nicht weiter würdigt, nachdem er sie jahrelang zu verhindern versuchte, passt ins Bild: Die Dopingbekämpfung hat eine neue Ermittlungsinstanz, sie könnte bald die Instanz werden. Bisher übte die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) diese Rolle aus, ein Interessensgeflecht aus viel Sport und wenig (interessierter) Politik; zuletzt war es sogar außerstande, die staatlich orchestrierte Massen-Manipulation in Russland angemessen zu sanktionieren.
Kein Zufall also, dass jetzt die US-Justiz als Big Player in die Betrugsbekämpfung eintritt - und gleich ein Signal aussendet, indem sie das neue Anti-Doping-Gesetz nach dem Whistleblower benennt, der 2015 die russische Staatsdoping-Affäre ins Rollen brachte: Grigorij Rodtschenkow. Wie wichtig der neue "Rodchenkov-Act" ist, zeigen zwei Umstände. Erstens ist er an die Anti-Mafia-Gesetze angelehnt, er rückt anstelle der Sportler die Hinterleute in den Fokus: Ärzte, Betreuer, Funktionäre. So lässt sich, Hierarchien und Logistik folgend, der Leistungsbetrug vom Endabnehmer her aufdröseln, dem überführten Sportler. Ein effektives Prozedere, zumal die US-Justiz überall dort eingreifen kann, wo ein Dollar bewegt wird. Also fast überall, vor allem bei Welt-Events wie Olympischen Spielen.
Zweiter Beleg für die Dringlichkeit des Gesetzes ist der Umstand, dass es dem organisierten Sport nicht in den Kram passt. Es werde, jammert die Wada, "wahrscheinlich das Ziel eines sauberen Sports untergraben, weil es wichtige Partnerschaften und Kooperationen aufs Spiel setzt". Partnerschaften? Gibt es zuhauf in diesen diskreten, autokratischen Machtstrukturen, auch sie sind ein Ziel für die neuen Fahndungsmöglichkeiten.
Der Rodchenkov-Act schafft neue Instrumente und Ermittler
Kritisiert wird zudem, dass das Gesetz US-Sportler im Ausland schützen wolle, zugleich aber eigene Profi- und College-Ligen ausschließe. Daran lässt sich arbeiten. Tatsächlich war es nur die US-Anti-Doping-Agentur Usada, die den Rad-Nationalheros Lance Armstrong überführte, später auch den Sportkonzern Nike.
Abseits der Wirtschaftsinteressen, die an der weltgrößten Unterhaltungsindustrie ziehen und zerren, hat es Systemlogik, dass der Sport sein Dopingproblem nicht behebt: Das Angebot ist der menschliche Körper, der lässt sich effektiv chemisch tunen, die Wirkstoffe aus Pharma- und Drogenküchen werden immer raffinierter. Das zeigt just der laufende Dopingprozess zur Operation "Aderlass". In diesem Hamsterrad des Leistungsbetrugs hat sich die Wada bequem eingerichtet. Kleinigkeiten werden geregelt; sobald es um Großes geht, wird der Tiger zum Bettvorleger, von der Russland-Affäre bis zur endemischen Pharmawelt der Gewichtheber. Und klar, dass diese Wada einen mächtigen Akteur wie den Fußball-Weltverband nicht eingrenzen kann. Bei dessen WM hat sie nur Beobachterstatus.
Der Rodchenkov-Act schafft neue Instrumente und Ermittler. Professionelle Akteure, die nicht vom Sport oder vernetzten Politikern abhängen. Wie das in der Realität aussieht, dafür gibt es sogar einen Lackmus-Test: Die Fifa-Gate-Prozesse um die korrupten Fußball-Granden in New York. Reihenweise landen seitdem Funktionäre hinter Gittern, die Polizeiautos bis dahin nur als freundlich blinkende Eskorte kannten.