Doping-Skandal:Eine Kanüle im Arm, Dutzende Blutbeutel im Kühlschrank

Nordische Ski-WM Seefeld

Doping ohne Ende? Auf der Suche nach den Beteiligten versuchen die Ermittler auch über DNA-Tests weiterzukommen.

(Foto: dpa)
  • Die Affäre um den Erfurter Sportmediziner Mark Schmidt dürfte weit über den Wintersport hinausreichen.
  • Bei der Razzia vom Mittwoch wurden in Erfurt eine Zentrifuge und eine Vielzahl kühlgelagerter Blutbeutel gefunden, nach SZ-Informationen sollen es mindestens einige Dutzend sein.
  • Diese sollen nun über DNA-Tests ihren Besitzern zugeordnet werden.

Von Thomas Kistner, Seefeld

Es gab eine Szene in Seefeld, die einen perfekten Moment abbildete. Den Moment der Wahrheit. Sie spielte sich Mittwochvormittag in einem konspirativ angemieteten Appartement im Zentrum des WM-Ortes ab. Der österreichische Langläufer Max Hauke hing an seiner Eigenblut-Infusion, die Kanüle steckte im Arm, als das Sondereinsatzkommando Cobra das Zimmer stürmte. Die Bundespolizisten schauten in das entgeisterte Gesicht eines Athleten, der gerade eine Dopingbehandlung durch die Komplizen just desselben deutschen Sportarztes erfuhr, der schon sechs Jahre zuvor Haukes damaligen Trainingspartner Johannes Dürr versorgt hatte.

Dürr war während der Sotschi-Winterspiele 2014 aufgeflogen. Als sich der Sünder von damals in den vergangenen Wochen zunächst in einem ARD-Beitrag und später in einem SZ-Interview (23./24.2.) über die Strukturfehler und Systemzwänge ausließ, die ihn in die Arme eines Dopingarztes getrieben hätten, und damit ein weitverbreitetes Problem beschrieb - da zählte Hauke zu den vielen, die Dürr als Einzeltäter brandmarkten, als schwarzes Schaf. Dürrs Affäre damals in Sotschi, sagte der Steirer heimischen Medien, habe er "so verarbeitet, dass ich gesagt habe, es ist passiert, aber das war nicht ich!" Er verwies auch auf die Russen, deren Staatsdoping-Affäre nie wirklich aufgeklärt wurde, für sich selbst aber hielt fest: "Ich habe für mich entschieden, ich mache das sauber!"

Jetzt ist Max Hauke nicht nur das Gesicht des Dopingfestivals bei der Nordisch-WM in Seefeld, sondern auch das des modernen Spitzensports. Die Dreistigkeit und die Selbstverleugnung, die Einzug in der Branche gehalten hat, machte nach den Zugriffen an 18 verschiedenen Schauplätzen in Thüringen und Tirol selbst die Ermittler sprachlos. Immerhin hätte sich für die am Doping-Ring Beteiligten aus Dürrs Darlegungen auch abzeichnen können, dass da etwas auf sie zurollen könnte. Denn in den Interviews hatte Dürr zwar keine Namen, aber eine klare Spur nach Deutschland aufgezeigt, auch ins Thüringische, und dass er von Strafverfolgern in Österreich und Deutschland vernommen worden war, ist ebenfalls bekannt geworden.

Eine sonst mit Mafia-Delikten befasste Sondereinheit erfasste die Vorgänge um die Sportler

Nun also waren länderübergreifend rund 120 Beamte im Einsatz, lückenlos ausgespäht hatten sie schon vor WM-Beginn jede Bewegung des "kriminellen Netzwerkes, das seit Jahren weltweit Spitzensportler mit illegalen Substanzen versorgt hat", wie es Einsatzleiter Dieter Csefan vom Wiener BKA beschrieb. Alle Methoden wurden ausgeschöpft, eine sonst mit Mafia-Delikten befasste Sondereinheit hatte jeden Vorgang um die Sportler vor und nach den Wettbewerben erfasst.

Die Großrazzia im sonnenüberfluteten Seefeld drückt wie der Vorbote eines biblischen Gewitters auf den Wintersport; und nicht nur auf den. In Erfurt waren eine Zentrifuge und eine Vielzahl kühlgelagerter Blutbeutel gefunden worden, nach SZ-Informationen sollen es mindestens einige Dutzend sein. Csefan prognostizierte in Tirol: "Wir rechnen damit, dass dies nur der Tropfen auf einen heißen Stein war und wir noch mehr Athleten ausforschen können, auch aus andere Sportarten." Denn die Besitzer der Blutbeutel dürften rasch und mühelos zu identifizieren sein. Der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada und ihren nationalen Ablegern liegen Zehntausende individueller Blutprofile vor. "Wir kooperieren sehr eng mit der Wada und mit der österreichischen Nada", sagt Csefan, "und sehen gute Möglichkeiten, die Blutbeutel über DNA-Tests den jeweiligen Besitzern zuordnen zu können."

Allein die schiere Menge der festgesetzten Beweismittel erinnert an die Affäre um den spanischen Blutpfuscher Eufemiano Fuentes. Der Frauenarzt war sogar in Teilen geständig. Trotzdem hatte der Skandal letztlich nur den Radsport in die Existenzkrise getrieben - denn als plötzlich ruchbar wurde, dass Fuentes auch Heldenfiguren der spanischen Fußball-Großklubs und der nationalen Tennisszene betreut hatte, griff von oben die Madrider Justiz ein und verhinderte jede weitere Aufklärung. Der Großteil von Fuentes' Blutbeutel wanderte zurück in die Kühlkammer.

Österreichs Verband gibt sich fassungslos. Routiniert weist er jede Verantwortung zurück

Eine solche gigantische Vertuschung von hoher Stelle, mit Hilfe konstruierter Verweise auf ein (damals fehlendes) Anti-Doping-Gesetz, dürfte im aktuellen Fall aber aufgrund der mittlerweile klaren Gesetzeslagen in Deutschland und Österreich kaum mehr wiederholbar sein.

Am Donnerstag wurden die meisten der Festgenommenen intensiv verhört: Schmidt und einer seiner Komplizen in München, im Innsbrucker Gefängnis das Langläufer-Quintett Hauke, Dominik Baldauf (beide Österreich), Karel Tammjarv, Andreas Veerpalu (beide Estland) sowie der Kasache Alexej Poltoranin. Zwei weitere in Seefeld verhaftete Deutsche, die dem Netzwerk zugerechnet werden, Schmidts Vater und eine Helferin, sollen in Kürze an die Münchner Doping-Schwerpunktstaatsanwaltschaft überstellt werden. Die deutsche Behörde wird das Dopingnetzwerk abhandeln, das als organisierte Kriminalität angesehen und daher in einem "höheren Strafrahmen" (Csefan) angesiedelt ist; die Delikte der fünf Langläufer fallen in österreichische Zuständigkeit.

In Justizkreisen braut sich etwas Gewaltiges zusammen - und im organisierten Sport ist die Nervosität mit Händen zu greifen. Der Österreichische Skiverband unter seinen beiden seit Jahrzehnten herrschenden Granden Peter Schröcksnadel (Präsident) und Klaus Leistner (Generalsekretär) gibt sich wie immer fassungslos; routiniert weist man jede Verantwortung von sich. Zwar trennt sich der ÖSV nun zu Saisonende von Markus Gandler, der als Langlauf- und Biathlonchef ja nie etwas mitgekriegt haben will von wiederholt massiven Dopingumtrieben in seinem Zuständigkeitsbereich. Ansonsten aber setzt die affärengestählte Führungsriege ihren Kurs fort.

Am Donnerstag verschickte sie eine Mitteilung, in welcher die eigene Betrugsbekämpfung in strahlendes Licht getaucht wird, und die in einem originellen Fazit gipfelt: "Der ÖSV ist ein Vorzeigeverband in der Doping-Prävention". Und ja, sogar das Umfeld der Athleten sei in die vielfältigen Vorsorge- und Schutzmaßnahmen eingebunden. Wie nahe sich dieses Selbstzeugnis am Kabarett bewegt, zeigt nun das konkrete Umfeld der Blutdoping-Tankstelle in Seefeld: Sie lag praktischerweise direkt gegenüber dem ÖSV-Quartier.

Eine gewisse Schockstarre herrscht auch im zweiten Zentrum des Bebens vor: in Deutschland. Während Nada-Vorstand Lars Mortsiefer den Behörden jede Kooperation zusicherte und davon ausgeht, "dass dieser Fall weitere Kreise ziehen wird, auch in andere Sportarten hinein", beklagt Alfons Hörmann, Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), vor allem den üblichen "Schatten auf dem gesamten Sport". Und die Berliner Politik debattiert einmal mehr Gesetzesverschärfungen. Wie weit der Sport davon entfernt ist, sein Betrugsproblem auch nur ansatzweise zu durchleuchten, dürfte sich derweil in Kürze in Seefeld erweisen: Einer der fünf inhaftierten Langläufer war dort schon vor den Zugriffen einer WM-Dopingkontrolle unterzogen worden. Vermutlich wird sie negativ sein.

Wie immer.

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