Doping-Prozess:"Ohne geht es nicht"

Lesezeit: 2 Min.

Doper und Kronzeuge: Langläufer Johannes Dürr. (Foto: Johann Groder/dpa)

Der ehemalige Langläufer Johannes Dürr sagt im Aderlass-Prozess zu Doping aus. Er habe sich beim angeklagten Sportarzt "stets in besten Händen gefühlt".

Von Claudio Catuogno, München

Vier der fünf Angeklagten im Doping-Strafprozess zur "Operation Aderlass" haben inzwischen ein Geständnis abgelegt, darunter der Hauptangeklagte, der Erfurter Mediziner Mark Schmidt, 42. Nur Dirk Q. schweigt bisher - der Bauunternehmer ist als Schmidts engster Vertrauter angeklagt, er soll diesem beim Blutdoping an diversen Athleten geholfen haben. Nun, am sechsten Verhandlungstag, saß der erste Zeuge vor der Kammer des Landgerichts im Münchner Justizpalast: der ehemalige österreichische Langläufer Johannes Dürr.

Mit Dürr, 33, hatte die ganze Affäre begonnen. Er war 2014, vor den Olympischen Winterspielen, schon Kunde bei Schmidt gewesen: Außer Blutbehandlungen hatte er auch Wachstumshormone von dem Arzt erhalten. Während Sotschi war Dürr dann mit einem positiven Epo-Test erwischt und sportrechtlich aus dem Verkehr gezogen worden, doch schon während seiner Sperre hatte er bei Schmidt wieder mit Blutbehandlungen begonnen. Später fasste er den Beschluss, ein Buch zu schreiben, um "der Jugend ein Bild des Spitzensports zu geben, wie er wirklich ist", sagte Dürr am Dienstag im Zeugenstand. Nämlich so, "dass es ohne Doping nicht gehen kann".

Johannes Dürr startete damals auch ein Crowdfunding-Projekt, um ein sauberes Comeback zu finanzieren. In einer ARD-Dokumentation, die im Januar 2019 ausgestrahlt wurde, schilderte er auch die Dopingspirale in seinem Metier - ohne zu ahnen, dass die rund um das Interview gestarteten Ermittlungen den bislang größten deutschen Dopingprozess zur Folge haben würden, mit Abstrahlungen in andere Länder. So wurden in Österreich schon Trainer und Sportler zu Bewährungsstrafen verurteilt, auch Dürr selbst.

Warum er überhaupt dopte? "Spitzensport war mein Leben, und Doping war für mich Teil des Spitzensports", sagte Dürr nun in München. Er habe nie das Gefühl gehabt, Konkurrenten dabei zu betrügen. Sogar während der Dreharbeiten zum Dopinggeständnis dopte er weiter: Schmidt hatte angeboten, ihm das noch von früher bei ihm eingelagerte Eigenblut zu schenken, als Beitrag zum Crowdfunding. Schon war Dürr wieder drin in der Spirale. Es habe ihn "innerlich zerrissen", sagte er. Aber: Wenn schon Doping, dann bei Schmidt!

Auf Nachfrage von Q.s Anwalt schilderte der Österreicher, wie abenteuerlich die Blutzufuhren einst beim inzwischen verurteilten Trainer Walter Mayer abliefen: Mithilfe eines Kleiderbügels und eines Föhns sei dort mal ein Blutbeutel erwärmt worden. Dagegen die Betreuung, die er später durch Schmidt genoss: "seriös, gewissenhaft, professionell" - er habe sich bei dem Arzt "stets in den besten Händen gefühlt".

Die Kammer interessierte sich allerdings auch für die Frage, wie umfassend Schmidts Betreuung denn nun war. Im März 2015 etwa soll Schmidt laut beschlagnahmter Chat-Protokolle an Dürr geschrieben haben: "Den GoQuick-Pen bitte nicht mehr verwenden"; die Firma Pfizer habe jetzt eine Vereinbarung mit der Welt-Anti-Doping-Agentur getroffen, "ab einer bestimmten Charge" drohe die Enttarnung. Was war da drin? An derlei Details konnte oder wollte Dürr sich nicht mehr erinnern.

Weitere Details kamen zu Sprache. Zum Beispiel projizierte die Kammer Hotelrechnungen von jenen Übernachtungen an die Wand, als Dürr während der Sotschi-Spiele nach Innsbruck zurückgekehrt war, um sich Eigenblut zuführen zu lassen. Gebucht waren die Nächte auf den Österreichischen Skiverband (ÖSV) beziehungsweise den Skiverband Niederösterreich. "Interessant", meinte die Vorsitzende Richterin Marion Tischler. Ein Beweis, dass Funktionäre Bescheid wussten, ist das freilich nicht. Von Doping-Unterstützung durch den Verband hatte Dürr anfangs berichtet, dann zog der ÖSV gegen ihn vor Gericht. Mittlerweile trägt Dürr einen Maulkorb: Seitdem er einen Vergleich mit dem ÖSV schloss, darf er nicht mehr behaupten, der Skiverband wisse von Doping und unterstütze es gar. Nicht einmal vor einem deutschen Gericht.

© SZ vom 01.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: