Streit beim Doping-Opfer-Hilfe-Verein:Bis der Aktenschrank wackelt

  • Wie streng müssen die Kriterien für eine Unterstützung von Athleten durch den Doping-Opfer-Hilfe-Verein sein?
  • Um diese Frage streiten Experten und die aktuelle Führung seit Jahren.
  • Nun ist die Auseinandersetzung eskaliert - in einem Handgemenge

Von Saskia Aleythe, Berlin

Neben dem Aktenschrank hängt ein gerahmtes Bild. "Die Macht der Gefühle" steht darauf, und Gefühle gibt es hier an diesem Donnerstag einige. Berlin, Raum 209, der Doping-Opfer-Hilfe-Verein (DOH) hält in der Bundesstiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur eine Pressekonferenz ab, um über die eigene Arbeit in diesem Jahr zu berichten und über die neuen Gelder, die der Bund zugesichert hat.

Um 11.22 Uhr öffnet sich dann aber die Tür des Raums, Werner Franke, seit einiger Zeit Kritiker der DOH-Spitze, tritt herein. "Herr Franke, bitte verlassen Sie den Raum", fordert Michael Lehner, der DOH-Vorsitzende, sofort. Er geht auf ihn zu, versucht ihn aus dem Raum zu drängen. "Sie haben mir gar nichts zu sagen", entgegnet Franke, der Aktenschrank neben der Tür und dem Bild wackelt. Gerangel, Geschiebe, bis Franke draußen steht. Und Lehner und seine neun Mitarbeiterinnen, die hier versammelt sind, befürchten vor allem, was Schatzmeisterin Petra Westphal am eindrücklichsten ausspricht: "Wenn wir morgen mit dem Scheiß in der Presse sind, ist unsere ganze Arbeit für'n Arsch." Die Tränen schlucken einige mühsam herunter, die Hände zittern.

Schon seit geraumer Zeit sind viele Emotionen im Spiel bei den Verantwortlichen im DOH, am Donnerstag führten die Auseinandersetzungen und Meinungsverschiedenheiten zu einem neuen Bild der Zerstrittenheit. Franke hatte den Verein über Jahre in seiner Funktion als Molekularbiologe unterstützt, zahlreiche Gutachten dabei erstellt. Doch über die Frage, wer tatsächlich im Sinne des Dopingopferhilfe-Gesetzes eine Entschädigung durch den Bund erhalten dürfe, war in den vergangenen Jahren ein Streit entbrannt, der nun schließlich in Handgreiflichkeiten mündete. "Es tut mir in der Seele weh", betonte Lehner, nachdem er Franke aus dem Raum befördert hatte. Er schätze ihn sehr, spielte dann aber auf das fortgeschrittene Alter Frankes an: "Es ist schade, dass er nicht mehr erkennt, wie sehr er der Sache des Vereins schadet." Dass der 79-Jährige nicht zur Presserunde eingeladen wurde, erklärte Lehner so: "Werner Franke ist kein Mitglied, schon gar kein Gründungsmitglied. Er hat nicht das Recht, an dieser Runde teilzunehmen." Eine Sichtweise, die Franke später als "balla balla" bezeichnete, "das geht gar nicht". Und man merkte ihm an, dass da Kränkungen im Spiel sind, als erwiesener und vielfach ausgezeichneter Anti-Doping-Experte nicht mehr sprechen zu dürfen. Seine Meinung ist nicht mehr gefragt, denkt Franke, weil er konträre Ansichten hat.

Ende 2018 war Ines Geipel, die langjährige Vorsitzende des Vereins, zurückgetreten. Sie sprach damals von "unwürdigen" Debatten; Nachfolger Lehner sprach von Wogen, die man zu glätten habe. Dem DOH um Geipel wurde vorgeworfen, die Zahlen der DDR-Dopingopfer in die Höhe zu treiben und wissenschaftlich unzureichend nachgewiesene Spätfolgen als eben solche anzuerkennen. Franke forderte mit drei anderen Doping-Gegnern in einem Schreiben an Sportausschuss-Mitglieder im Bundestag, das Dopingopferhilfe-Gesetz "grundlegend zu verändern, die Prüfverfahren für eine Entschädigung strenger und transparenter zu gestalten - und somit Missbrauch durch Betrüger zu verhindern". Das Gesetz sei schon immer eine Einladung zum Betrug gewesen, "durch damals dopende Sportler, die heute behaupten, nichts gewusst zu haben". Neuer Aufhänger für die Kritik war der Zehnkämpfer Christian Schenk gewesen, der für die DDR 1988 Olympiagold gewonnen hatte. In einer Biografie hatte er zugegeben, wissentlich gedopt zu haben und nun unter psychischen Problemen zu leiden. Dann überlegte er öffentlich, einen Antrag nach dem Dopingopferhilfe-Gesetz zu stellen.

Franke: "Der Streit ist in meinem Sinne"

Wer als Opfer anzusehen ist und wer nicht, spaltet neben den persönlichen Befindlich- und Eitelkeiten die verschiedenen Lager im Doping-Opfer-Hilfe-Verein. "Auch wer bewusst Dinge zu sich genommen hat, wurde nicht über die Zusammensetzung oder Folgeschäden aufgeklärt", sagte am Donnerstag Schriftführerin Tina Jürgens und folgte damit der Ansicht von Ines Geipel. Dass aus einem Dopingzwangssystem wie dem der DDR auch psychische Spätfolgen resultieren können, sei offensichtlich. Der Wissenschaftler Franke hält anderslautende Forschungen und Gutachten freilich für angemessener. Er selbst hatte kurz nach dem Mauerfall viele Belege des DDR-Staatsdopings geborgen und das System so offengelegt. 2004 bekam er das Bundesverdienstkreuz.

100 Meter Luftlinie vom Raum der Pressekonferenz entfernt gibt Franke am Donnerstag in einem Lokal seine Ansichten preis. "Der Streit ist in meinem Sinne", sagt er, "weil ich als Naturwissenschaftler der Wahrheit verpflichtet bin." Er spricht von Gutachten, die zugunsten von "Trittbrettfahrern" verfasst worden seien. "Es gibt nicht 1000 anerkannte Dopingopfer. Diese Zahl ist falsch", sagt er und widerspricht so einer Angabe des DOH (der sich dabei auf den Bund beruft). Mehrfach fällt das Wort "Psychokack", Berichte über genetisch vererbte Schäden von Dopingopfern scheinen ihn besonders aufzuregen.

Am 26. November begeht der Verein sein 20-jähriges Bestehen. "Solange der Bedarf besteht, wird es uns geben", versichert Präventionsbeauftrage Heike Knechtel, die Arbeit werde weitergehen. Und Franke? Der will ein Buch veröffentlichen, "in dem alles kommt, auch aus dem Westen".

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