Süddeutsche Zeitung

Doping-Kronzeuge Jörg Jaksche:"Wir verstecken es im Staubsauger"

Mit dem Frühjahrsklassiker Mailand-San Remo geht die erste Radsport-Saison nach dem Geständnis von Lance Armstrong richtig los, doch der Doping-Kronzeuge Jörg Jaksche hegt wenig Hoffnung auf eine Reinigung. Jaksche erzählt der SZ, wie er mit noch aktiven Fahrern über Dopingmittel gesprochen hat, warum er den Fuentes-Prozess für aufgeblasen hält und was das größte Problem ist: das Lügen.

Von Andreas Burkert

Am Sonntag hat die neue Radsport-Saison ihren ersten großen Höhepunkt mit dem 104. Frühjahrsklassiker Mailand-San Remo, als Favorit gilt der slowakische Allround-Sprinter Peter Sagan. Der frühere deutsche Profi Jörg Jaksche, Doping-Kronzeuge im Operación-Puerto-Skandal um den spanischen Dopingarzt Eufemiano Fuentes, sieht der ersten Saison nach dem Lance-Armstrong-Geständnis und der unzureichenden Aufarbeitung der Vergangenheit kritisch entgegen.

"Es ist nicht das Doping-Problem, das den Radsport kaputt macht - es ist diese ewige Lügerei", sagte Jaksche in einem ausführlichen Interview mit der Süddeutschen Zeitung (16.3.2013 im Print sowie auf dem iPad und Windows 8). Da weiterhin zahlreiche Hauptdarsteller der Doping-Affären im Feld unterwegs seien, glaube er nicht an die erhoffte Erneuerung. "Armstrong ist ja jetzt vielleicht der 100. Fahrer, der geschasst wurde. Aber die Hintermänner des Systems, jemand vom Weltverband UCI, Teammanager oder Ärzte, die bleiben doch eher unbehelligt", urteilt Jaksche. "Das Selbstschutz-System funktioniert."

Als Beleg nimmt der Ansbacher die Zusammenarbeit des Teams Sky um Tour-de-France-Sieger Bradley Wiggins und seinen möglichen Nachfolger Christopher Froome mit dem Dopingarzt Geert Leinders. "Typen wie Leinders gibt es in jedem Team zwei", sagt Jaksche und fragt: "Warum nehmen die nicht einen Arzt aus einem französischen Team, das keinen Dreck am Stecken hat? Warum Leinders der Doping organisiert hat und aus einem der stärksten, aber auch dreckigsten Teams kam?" Von Leinders hatte sich Sky im Herbst erst nach anhaltender Berichterstattung getrennt.

Auch der Fuentes-Prozess in Madrid, wo Jaksche kürzlich als Zeuge der Anklage aussagte und seinen früheren Teamarzt belastete, hat nach Ansicht des 36-Jährigen den Zustand des Radsports belegt. Der Prozess sei eine Farce und generell aufgeblasen, es sei dort "gelogen worden, dass sich die Balken biegen".

In Madrid hatte Kronzeuge Tyler Hamilton seinen früheren CSC-Teamchef Bjarne Riis erneut schwer belastet. "Tyler sagt das aus - und keiner reagiert!", empört sich Jaksche. "Weder der Weltverband, noch der dänische Verband oder die Bewegung für den glaubwürdigen Radsport. Eigentlich hat's der Radsport also gar nicht anders verdient, dass Riis und Contador als Sieger in Paris ankommen und UCI-Chef McQuaid ihnen dort gratuliert. Das wäre das passende Stillleben für die Situation des Radsports - ein echter van Gogh."

Zu den fragwürdigen Figuren im Peloton zählt Jaksche auch den Berliner Jens Voigt, der lange bei Riis fuhr. "Jens war während der beiden größten Dopingskandale Profi, er war bei großen Teams mit den zweifelhaftesten Leitern - aber wir glauben ihm, dass er nie gedopt hat?", fragt Jaksche in Richtung des noch aktiven Landsmanns, der Dopingvorwürfe strikt zurückweist. "Aber er kann ja gerne mal sein Gesundheitsbuch offenlegen. Da müssten einige Kortison-Gaben durch den immer noch aktuellen CSC-Arzt De Moor und den langjährigen Doktor De Maeseneer auftauchen. Nette Typen - aber sie haben halt auch mitgemacht."

Jaksche berichtet zudem von einer Unterhaltung mit Voigt während des Festina-Skandals bei der Tour 1998. "Er kommt zu mir und fragt: ,Ey Jayjay, was macht denn ihr mit eurem Zeug?!" Ich: ,Wir verstecken es im Staubsauger.' Er: ,Naja, wir werden es wahrscheinlich irgendwo verbuddeln - und nach der Tour wieder abholen.' Mal auf den Punkt gebracht: Wir haben uns damals beide gegenseitig erzählt, dass auch wir dopten." Da der Radsport nicht bereit sei für eine Erneuerung, werde sich nichts ändern, glaubt Jaksche. "Der Radsport-Präsident sagt: Das Armstrong-Beben hat keinen Einfluss auf unsere Zukunft, wir müssen nur nach vorn schauen, ohne die Vergangenheit aufzuarbeiten. Und in drei Jahren gibt es den nächsten Skandal. Der Sport hat definitiv nur eine Chance, wenn er sich gravierend ändert. Aber innerhalb des Radsports schaffen das die Leute nicht."

Jaksche schlägt eine Art Amnestie für Geständige vor, wie sie zurzeit bei der Aufarbeitung der Rabobank-Vergangenheit in den Niederlanden praktiziert wird: "Du erzählst alles, wirst sechs Monate gesperrt, kriegst aber drei Monate dein Gehalt gezahlt und behältst den Job. Das ist als Idee sicher nur ein Ansatz, aber so kommst du vielleicht mal an die Hintermänner."

Jörg Jaksche war von 1997 bis 2008 Radprofi, unter anderem bei Telekom und Liberty Seguros, das im Zentrum des Puerto-Skandals stand. 2004 gewann der Franke Paris-Nizza, er fuhr sechsmal die Tour de France. 2007 legte er nach seiner Enttarnung ein umfassendes Geständnis ab. Jaksche lebt in der Nähe von Kitzbühel und studiert in Innsbruck BWL.

Das ganze Interview mit Jörg Jaksche lesen Sie in der Süddeutschen Zeitung vom 16.3.2013 sowie auf dem iPad und Windows 8.

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