Doping:Kommt es zum kompletten Olympia-Ausschluss Russlands?

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Eine Mannschaft, 33 Medaillen, wie viele gedopte Sportler? Russlands Teilnehmer an den Winterspielen 2014 in Sotschi mit Bobpilot Alexander Subkow als Fahnenträger an der Spitze. (Foto: Barbara Walton/dpa)

An diesem Montag wird der wegweisende McLaren-Bericht zu den Vorwürfen über systemisches Doping russischer Sportler veröffentlicht. Schon jetzt gibt es starke Stimmen gegen Russland.

Von Thomas Kistner, München

An diesem Montag wird in Toronto ein sportpolitischer Sprengsatz gezündet: Der kanadische Rechtsprofessors Richard McLaren wird seinen Report zum Doping in Russland publizieren. Seit Freitag liegt das Papier der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada vor, und der oberste US-Dopingfahnder Travis Tygart gab tags darauf schon die Richtung vor, als er den Komplett-Ausschluss der Russen von den Sommerspielen in Rio de Janeiro anregte. Nach SZ-Informationen von Sonntagabend soll auch der McLaren-Report diese Empfehlung aussprechen. Tygart will IOC-Präsident Thomas Bach nun in einem deutlichen Brief auffordern, noch "vor dem 26. Juli zu handeln und Russland, sein Olympisches und Paralympisches Komitee sowie sämtliche russischen Sportverbände von den Spielen in Rio auszuschließen". So wurde der Chef der US-Anti-Doping-Agentur zitiert - und zwar in russischen Medien.

Es verwundert, dass ein Brandbrief des renommierten US-Fahnders, der einst Lance Armstrong zur Strecke brachte, in Russland publiziert wird. Allerdings ist es nicht Tygart allein, der die kollektive Verbannung fordert und damit eine massive Front gegen das Internationale Olympische Komitee (IOC) aufbaut - dessen Führung die Russen trickreich im Spiel zu halten versucht. Hinter dem Aufruf der Usada und ihrer kanadischen Schwesteragentur stehen rund zehn weitere nationale Anti-Doping-Agenturen, auch die deutsche Nada ist dabei. Das bestätigte ihr Geschäftsführer Lars Mortsiefer der SZ. Man warte die Publikation ab und werde den Brief gegebenenfalls noch "mit einem eigenen Duktus versehen", grundsätzlich aber steht das Vorhaben. Auch die deutsche Nada geht davon aus, dass die Details des Reports "unsere Haltung nur noch stützt und bestärkt".

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Der Ringe-Konzern sieht sich einem Zangenangriff ausgesetzt. Im eigenen Lager, wo das IOC faktisch seit jeher im Stile eines Politbüros walten durfte, brechen die Divisionen weg. Etwas in der Sportwelt bisher Unvorstellbares ist am entstehen: Eine veritable Debattenkultur. Ein offener Austausch kontroverser Standpunkte, sogar Widerspruch regt sich nun offen. Neben der Wada und den Nadas sowie rund 20 Sportlergruppierungen, darunter die Wada-Athletenkommission, die dem Brief zustimmen, positionieren sich auch die ersten Fachverbände, denen Bach die Lösung der Probleme zuzuschieben versuchte. Vorneweg der Leichtathletik-Weltverband IAAF, der schon den Komplett-Bann über russische Athleten für Rio verhängte; ausgenommen die seit Jahren in den USA lebende Weitspringerin Darja Klinschina und Whistleblowerin Julia Stepanowa. Letztere Causa ist besonders heikel für Bachs IOC, die Russin und ihr Mann hatten mit Enthüllungen zur Aufdeckung der Affäre beigetragen; seit Jahren leben sie mit ihrem Kind versteckt im Ausland.

Bachs jüngste Rochade passt ins Bild des Ex-Fechters, der gern hinter der Maske operiert: Am Wochenende stieg Patrick Hickey in die Bütt, Chef der europäischen NOKs (EOC), und lederte wider die angebliche Vorverurteilung: Er sei "geschockt", solche Statements vorab würden die "Integrität des Reports untergraben". Der Ire Hickey, Affären-erprobt im familiären Geschäftsumfeld mit dem Sport und linientreuer IOC-Vorstand, ist als Mahner auch deshalb ungeeignet, weil er hier selbst Interessenskonflikte hat: Just in Sotschi sollen die Europa-Spiele 2019 des EOC stattfinden; im Mai sprang Veranstalter Niederlande ab. Da wäre sehr unpassend, falls im Report ein geheimdienstlich orchestrierter Pharmabetrug bei den Sotschi-Winterspielen 2014 ausgebreitet werden sollten.

Bachs Sportwelt verwandelt sich in eine gigantische Schlammschlacht

Vor den Sommerspielen, die am 5. August in Rio eröffnet werden, verwandelt sich indes nicht nur Bachs Sportwelt in eine gigantische Schlammlandschaft. Auch die russischen Freunde erhöhen den Druck. Der nationale Sender Match TV will am Montag die Gegenoffensive starten, mit seiner Version zur Staatsaffäre. Eine Ankündigung, die dazu an einen auserwählten Medienkreis ging, dürfte in manchem Funktionärs-Ohr alarmierend klingen: Der zur Dokumentation erklärte Film, heißt es, "präsentiert die russische Seite der Geschichte und bietet Fakten an, die auf eine Kampagne aus Desinformation und Nachstellungen gegen das russische Sportestablishment und die Athleten hindeuten". So weit, so erwartbar. Jedoch beinhalte der Film auch "Aufnahmen hinter den Kulissen von Treffen russischer und internationaler Sportoffizieller". Das klingt spannend. Wie könnte solches Material entstanden sein, was könnte es zeigen? Sollte tatsächlich Geplauder aus diskreten Funktionärsrunden mitgeschnitten worden sein, könnte dies den öffentlichen Fokus auf die Chefetagen des internationalen Sports lenken.

Klar ist: Die massive Ausschluss-Forderung einer anschwellenden globalen Anti-Doping-Allianz entspringt nicht dem Wunsch, die Russen so kurz vor Publikation des Berichts schon mal vorzuverurteilen - sondern einer überwältigenden Skepsis gegenüber dem IOC. Befürchtet wird, dass Putin-Freund Bach aus einem reichen Sortiment an Hinterzimmerstrategien noch etwas zutage fördert, mit dem sich ein russisches Rumpfteam nach Rio schleusen ließe. So bemängeln die rebellischen Nadas, dass Bach, der am grünen Tisch stets von seiner "Null-Toleranz-Politik gegen Doping" erzählt, in dieser Integritätsfrage des Sports nie vorangeschritten sei. Führungsstärke sollen andere zeigen; die Verantwortung wälzte der IOC-Boss an einzelne Fachverbände ab. Auch betont der IOC-Chef gerne, dass ein Individual-Verschulden Betroffener zu klären sei. Was generell zutrifft. Ein solcher Schritt allerdings wäre in der Praxis einer geheimdienstlich gesteuerten Betrugsmaschinerie deplatziert.

Die Uhr tickt. Erwartet wird nicht nur, dass Ermittler Richard McLaren Beweise vorlegt, dass von höchster Stelle Dopingfälle vertuscht wurden. Der Report soll weit über Sotschi hinaus auch auf Sommersportarten zielen, wie Schwimmen, Gewichtheben, Kanu. Gefährdet seien vor allem Bereiche, wo es viele Medaillen abzuräumen gibt; auch die Paralympics könnten betroffen sein. Und statt der bisher kolportierten zirka 1400 vernichteten Dopingproben sollen es mehr als doppelt so viele gewesen sein.

© SZ vom 18.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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