Süddeutsche Zeitung

Doping in Russland:Schwerste Anschuldigungen - doch die Fifa sitzt es aus

  • Am Freitag steigt die Gruppenauslosung für die WM 2018 im Kreml.
  • Aber jetzt überschattet die russische Staatsdoping-Affäre auch dieses Event. Schwerste Vorwürfe des Whistleblowers Grigorij Rodtschenkow bringen Moskaus Vizepremier Witalij Mutko und Russlands Fußball unter Druck.
  • Und die Fifa bleibt in der heiklen Sache untätig.

Von Thomas Kistner

Am Freitag begeht der Weltfußball sein nächstes Hochamt, im Kreml steigt die Gruppenauslosung für die WM 2018. Aber jetzt überschattet die russische Staatsdoping-Affäre auch dieses Event. Schwerste Vorwürfe des Whistleblowers Grigorij Rodtschenkow bringen Moskaus Vizepremier Witalij Mutko und Russlands Fußball unter Druck - und die Fifa, die in der heiklen Sache untätig war. Jim Walden, Anwalt des in die USA geflohenen ehemaligen Moskauer Laborchefs Rodtschenkow, sagte der englischen Mail on Sunday, sein Mandant habe Beweise für die Verwicklung russischer Kicker, auch Nationalspieler, in die Affäre. Doch auf den Kontakt mit der Fifa warte er bis heute.

Die Fifa blieb offenkundig untätig

Das nährt den Verdacht, dass die Fifa unter Gianni Infantino die Doping-Sache aussitzen will. Schon im Sommer hatte Richard McLaren, Sonderermittler der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada, erklärt, dass er in Russlands Fußball ein separates Vertuschungssystem vermute: "Es gab offenbar eine Bank mit sauberem Urin, und diese Bank wurde offenbar für Fußball genutzt."

McLaren hatte in seinem Report 2016 den mit geheimdienstlicher Akribie eingefädelten Austausch positiver Proben russischer Athleten bei den Winterspielen 2014 in Sotschi nachgewiesen; auch dort seien saubere Ersatz-Urine benutzt worden. Im Juni nannte McLaren eine hohe Zahl von Kicker-Proben, die er als Teil einer weiteren Vertuschung einschätzte: "Es gibt noch 155 Proben, die nicht analysiert sind. Die Wada hat sie beschlagnahmt. Das haben wir der Fifa gemeldet." Er vermutet, diese Proben seien manipuliert, um Positivbefunde zu verhindern - oder sie beinhalteten Dopingstoffe. Den Verdacht stützt er auch auf Korrespondenzen russischer Funktionäre. In einer Mail vom 3. Juni 2015 hieß es zum Beispiel: "Deutlich über dem Grenzwert." Das verbotene Stimulans Dexamethason sei im Urin eines Profis der ersten russischen Liga gefunden worden. Laut ARD gehörte diese Probe, versehen mit der Codierung "3878295", einem Nationalspieler.

Zudem flog auf, dass alle 23 Spieler des russischen Kaders für die WM 2014 sowie elf weitere Kicker auf einer Liste von Athleten stünden, die laut McLaren vom Vertuschungssystem profitiert haben sollen. WM-Chefplaner Alexej Sorokin hatte die Vorwürfe als "absolut erfunden" zurückgewiesen. Und die Fifa laviert seither. Im Sommer erklärte sie vage, "dass die Ermittlungen zu den Anschuldigungen gegen Spieler im McLaren-Report in Zusammenarbeit mit der Wada weitergehen". Eher nicht, glaubt der US-Anwalt Walden. Und macht Druck über die Medien: Rodtschenkow, einst einer der Köpfe hinter dem Systemdoping, sei nicht nur zur Mitarbeit mit der Fifa bereit. Er habe Beweise, dass Dutzende Fußballer, darunter Nationalspieler, involviert seien. Klare Ansage an die Fifa: "Mein Telefon ist an, meine E-Mail ist an."

Damit steht die Russland-Problematik vor der Eskalation. Der Eindruck verdichtet sich, dass die aufklärenden Kräfte um Whistleblower Rodtschenkow gut vorgesorgt haben für den ja leicht absehbaren Fall, dass die Fifa und das Internationale Olympische Komitee die Affäre aussitzen wollten. Daher ist nun auch das IOC enorm unter Druck: Am 5. Dezember muss es entscheiden, ob Russland von den Winterspielen in Südkorea ausgeschlossen wird. Zwei Kommissionen wirken daran mit. Ein Stab unter IOC-Mitglied Dennis Oswald arbeitet die verdächtigen Sotschi-Fälle auf, ein Team um den Schweizer Ex-Politiker Samuel Schmid untersucht, ob es staatliche Verwicklungen gibt.

Dieser Schmid-Kommission liegen nun, wie dem IOC, eidesstattliche Versicherungen Rodtschenkows vor, sagt Walden. Zentraler Inhalt: Mutko, damals noch Sportminister, sei Teil der Verschwörung gewesen. Mutko war für das britische Blatt nicht erreichbar. Das IOC, das anfänglich so wirkte, als wolle es sich mit Geldstrafen aus der Affäre stehlen, hat jüngst Ton und Gangart gewechselt. Oswalds Stab sperrte reihenweise russische Olympia-Helden, obwohl hier bisher keine Dopingbefunde vorlagen. Zugleich gab die Wada bekannt, dass ihr eine Datenbank des Moskauer Labors für die Zeit von Januar 2012 bis August 2015 zugespielt wurde - dieses Datenmaterial hielten Russlands Funktionäre bisher strikt zurück. Womöglich lagen Oswald also bereits Daten aus dieser Bank vor, für die bei ihm verhandelten Fälle. Rodtschenkow dürfte auch diesen Coup gelandet haben; das Moskauer Labor hatte er damals selbst geleitet. Was nahelegt, dass er auch die Vorwürfe gegen den Fußball konkret belegen kann.

Fifa stünde vor einem Desaster

Wie das IOC, dessen Boss Thomas Bach in jüngster Zeit erstaunlich Russland-kritische Töne anschlägt, säße dann auch die Fifa in der Falle. Mochte der McLaren-Report mit viel Fantasie als unzureichend für eine Kollektivsperre eingestuft werden, könnte die kürzlich aufgetauchte Datenbank jeden Zweifel pulverisieren. Enttarnt sie auch gedopte Kicker?

Das IOC kann Russlands Team für Südkorea noch aussperren. Die Fifa aber stünde vor einem Desaster. Ihre WM findet in Russland statt; sollten mehrere Spieler des künftigen Gastgebers vor der WM 2014 gedopt gewesen sein, könnte ein kompletter Ausschluss drohen. Folgen für das Turnier wären unabsehbar. Das gilt aber auch für den Fall, dass die Russen mit einer Art zweiten Garnitur antreten müssten. Schon die erste Auswahl reicht längst nicht an die Qualität der WM-Spitzenteams heran.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3766486
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 27.11.2017/sonn
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.