Doping in der Sportmedizin:Deutsche auf Ben Johnsons Spuren

Auch deutsche Sportmediziner nutzten offenbar das Mittel, mit dem der kanadische Sprinter Ben Johnson 1988 in Seoul dopte. Was wussten deutsche Ärzte wirklich über Einsatz und Nachweisbarkeitsdauer der verbotenen Substanz? Ein Gerichtsprozess in Freiburg könnte weitreichende Erkenntnisse bringen.

Thomas Kistner

In Freiburg gab es am Donnerstag ein Wiedersehen des Heidelberger Dopingexperten Werner Franke mit dem früheren Universitäts-Sportmediziner Georg Huber; vor dem Landgericht strebt Franke die Aufhebung eines 2007 getroffenen Vergleichs an. Das klingt unspektakulär, doch das Prozessmaterial könnte eine sporthistorische Dimension entfalten. Denn es berührt im Kontext auch die Causa Ben Johnson, bis heute der große Sündenfall des Weltsports.

Ben Johnson

Betrügerischer Lauf für die Ewigkeit: Ben Johnson (vorne) im 100-Meter-Finale der Olympischen Spiele in Seoul. 

Der kanadische Sprinter wurde 1988 in Seoul beim Olympiasieg in Weltrekordzeit mit dem Steroid Stanozolol im Urin erwischt; die Sportwelt war erschüttert, massiv empörten sich auch westdeutsche Funktionäre über diesen Betrug mit dem neuen, hochwirksamen Kraftmacher. Zugleich wurde der Johnson-Coup zum Ritterschlag für die westdeutsche Dopingfahndung: Es war der Kölner Laborexperte Manfred Donike, der die Analytik kurz vor Seoul so verfeinert hatte, dass Stanozolol (auch Stromba genannt) erstmals im Olympiasport gefunden wurde.

Jetzt aber offenbart das Freiburger Verfahren Erschreckendes: Nach Aktenlage war Stromba zu der Zeit auch in der BRD eifrig in Gebrauch. Nur viel besser organisiert als im Clan des sorglosen Ben Johnson - es wurde rechtzeitig vor Seoul abgesetzt und durch andere Präparate ersetzt. So steht es in den Schriftsätzen zum Prozess, die sich auf Aussagen des damaligen westdeutschen Bahnradfahrers Robert Lechner stützen. Woher stammte dies delikate Fachwissen in der westdeutschen Sportmedizin? Gab es hier, wie Franke vermutet, ein klandestines "nationales" Zusammenwirken?

Der Fall in Freiburg: Hier ficht Franke einen 2007 mit Huber getroffenen Vergleich an. Damals hatte Huber, einst Chefarzt des Olympiateams, nach Vorwürfen der Rennfahrer Jörg Müller und Christian Henn eingeräumt, diesen Ende der achtziger Jahre das Testosteronpräparat Andriol verabreicht zu haben. Andriol stand seit 1984 auf der Dopingliste.

Trotzdem, so Huber unter Eid, habe er es nicht zum Sportbetrug, sondern mit medizinischer Indikation verabreicht: "Ich habe nie Testosteron, das heißt Andriol-Kapseln, zu Dopingzwecken, das heißt zur Leistungssteigerung, gegeben, sondern nur zum Ausgleich der Dysbalance bei einzelnen U-23-Straßenradfahrern." Seither darf Franke nicht behaupten, Huber habe Fahrer gedopt.

Damals aber hatte ja Robert Lechner noch nicht ausgepackt. Das tat der Bahnradfahrer, der in Seoul Bronze gewann, im April 2011 vor der "Großen Kommission", welche die Uni Freiburg zur Aufarbeitung der Dopingpraktiken in ihrer Sportmedizin eingesetzt hat; jener Abteilung, die einst als nationale Medaillenschmiede gefeiert wurde und in den Doping-Enthüllungen um den Radrennstall T-Mobile enttarnt worden war.

Lechner hat, so heißt es im Schriftsatz von Frankes Anwalt Michael Lehner, der Kommission gebeichtet, ihm sei von Huber erstmals im Herbst 1987 zur Olympiavorbereitung auf Seoul der Einsatz von "Anabolika, Stromba, in Tablettenform" nahegelegt worden. Der Arzt habe Stromba, damals in vielen Ländern nicht zugelassen, mit Hinweis auf eine geringe Dosierungen "verharmlost" und auch "keine Gesundheitsaufklärung" betrieben.

Gedopt? Niemals!

Franke sitzt in der Freiburger Kommission, die Aussage Lechners brachte ihn dazu, den alten Vergleich anzufechten. Im Juni 2011 zeigte er Huber zudem "wegen falscher Eidesstattlicher Versicherung" an, bestätigt der Freiburger Behördensprecher Wolfgang Maier der SZ. "Die Polizei wird Zeugen befragen", sagt Maier, vor allem Lechner.

Huber wies stets von sich, gedopt zu haben. Gestern äußerte er sich nicht konkret inhaltlich zu Lechners Aussagen, sein Anwalt verwies auf die ärztliche Schweigepflicht. Das Landgericht will am 1. März entscheiden, ob es Lechner als Zeugen hört.

Lechner hatte vor der Kommission sogar aus seinem alten Trainingshandbuch zitiert: "Jeden Tag zweimal eine." Zu Saisonbeginn im Frühjahr 1988 habe man dann eine Art "Sicherheitspuffer" vor Entdeckung eingebaut und sei auf Testosteron umgestiegen - just auf das von Huber in anderen Fällen als medizinisch notwendig eingeräumte Andriol, sowie auf das Cortisonpräparat Urbason.

Die Dimension des Falles liegt in der Frage: Was wussten deutsche Sportärzte zu jener Zeit über Einsatz und Nachweisbarkeitsdauer von Stromba? Donikes Labor arbeitete parallel intensiv an der Analyseverbesserung, was aber erst durch den Fall Johnson weltweit bekannt wurde. Publiziert wurde die Stanozolol-Analytik sogar erst 1990, zwei Jahre nach Seoul - es war die Arbeit des heutigen Kölner Laborchefs Wilhelm Schänzer.

Der erklärt diese Verzögerung so: Das Kernwissen zur neuen Analytik sei damals schon auf diversen Workshops vorgetragen worden, "das war auch eine Art von Publikation". Heute werde strikter publiziert: "Wir müssen die Analysen so einsetzen, dass sie transparent sind und vor Gericht standhalten." Und dabei eben auch den Nachteil in Kauf nehmen, "dass die Gegenseite weiß, was passiert".

Gegenseite - das war damals Johnson. Aber wo stand der westdeutsche Sport? Einmal, so Franke, gab es beim Olympialehrgang der Radler eine groß angelegte Urin-Untersuchung in Kooperation mit Donikes Labor. Zudem weist Franke auf den Umstand hin, dass damals Donikes Sohn dem Bahnradteam angehörte, wiewohl er nicht im Seoul-Aufgebot war.

Wie Franke glaubt generell auch Schänzer, dass deutsche Ärzte wussten, was in Seoul getestet würde. Nur könnten sie sich den Wissensvorteil auch anderweitig verschafft haben. Das Kölner Labor habe ja dem Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BiSp) über Stanozolol-Befunde berichtet, die frühzeitig im globalen Kraft- und Bodybuildersport auftraten: Schon 1985 zwölf Fälle. "Ich weiß nicht, was mit diesen Berichten passierte", sagt er, "aber solche Daten waren nicht geheim." Nicht für deutsche Ärzte und Funktionäre.

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