Doping in der Leichtathletik:Flucht ins Ungefähre

Doping in der Leichtathletik: Hat das Prinzip eines Streiks offensichtlich nicht verstanden: Der jamaikanische Leichtathlet Usain Bolt.

Hat das Prinzip eines Streiks offensichtlich nicht verstanden: Der jamaikanische Leichtathlet Usain Bolt.

(Foto: AFP)

Das Jahr 2013 hat in Dopingfragen einiges hergegeben. Obwohl vier prominente Sprinter positiv getestet wurden, zeigt der Leichtathletik-Weltverband IAAF, wie man trotzdem von den Missständen ablenkt. Und Usain Bolt sorgt sich lediglich aus dem banalsten aller Gründe.

Von Thomas Hahn

Von den Gescheiterten kann man auch was lernen, manchmal sogar mehr als von den Erfolgreichen. Und deshalb ist die Frage interessant, was jetzt eigentlich mit Tyson Gay ist. Tyson Gay, 31, aus Lexington/USA belegt immer noch Platz eins der Weltjahresbestenliste im 100-Meter-Sprint mit jenen 9,75 Sekunden, die er im Juni als Gewinner der US-Trials in Des Moines ins Ziel brachte.

Gleichzeitig steht Gay weiterhin im Rang eines Suspendierten, weil er bei besagten US-Trials positiv auf eine verbotene Substanz getestet wurde. Ein Steroid soll es gewesen sein, das sickerte später durch. Außerdem heißt es, Gay kooperiere mit der US-Anti-Doping-Agentur, nachdem er im Juli seinen Fall selbst öffentlich gemacht hatte. Viel mehr ist nicht bekannt.

Was also ist mit Gay? Was hat er getan? Was kann man aus seinem Fall lernen? Der Leichtathletik-Weltverband IAAF, der es wissen müsste, antwortet durch seinen Sprecher Chris Turner: "Der Fall verläuft nach den IAAF-Regeln. Es ist ein Rechtsprozess bis zum letztgültigen Urteil, insofern wird die IAAF keinen weiteren Kommentar abgeben."

Man kann nicht sagen, dass das Jahr 2013 nichts hergegeben hätte in Dopingfragen, im Gegenteil. Gerade im olympischen Kernsport Leichtathletik ist das Thema rauf und runter besprochen worden, nachdem Tyson Gay aufgeflogen war sowie drei hochprominente Jamaika-Sprinter Positiv-Proben abgegeben hatten: die dreimalige Olympiasiegerin Veronica Campbell-Brown, der frühere 100-Meter-Weltrekordler Asafa Powell und die Staffel-Olympiasiegerin Sherone Simpson.

Aber die Beiträge sind von unterschiedlicher Qualität. Der Anti-Doping-Kampf ist längst etabliert als fester Bestandteil der Sport-PR, ans Eingemachte, an die schmerzhaften Hintergründe des Sportbetriebs geht es vonseiten eines Verbandes wie der IAAF selten. Scheindebatten und publikumswirksame Strenge haben das IAAF-Geschäftsjahr geprägt. Die Forderung nach einer vierjährigen Dopingsperre trugen die Leichtathletik-Vermarkter um den greisen Präsidenten Lamine Diack, 80, wie eine Monstranz vor sich her. Und sonst? Bei konkreten Fragen suchen sie ihr Heil im Ungefähren.

Man merkt das im Fall Gay, man merkt das aber auch in der ewigen Debatte um die Wundersprinter-Nation Jamaika. Am Wochenende feierte die IAAF in Monte Carlo ihre jährliche Gala, und natürlich war ihr Lieblingspatient dabei wieder ein heißes Thema - und zwar nicht nur, weil Jamaika in den aktuellen Dreifach-Weltmeistern Usain Bolt und Shelly-Ann Fraser-Pryce den Leichtathleten und die Leichtathletin des Jahres stellte.

Jamaika hinkt den Standards hinterher

Der kleine Karibikstaat hinkt bei seiner Anti-Doping-Arbeit den Standards hinterher. Die Klagen kommen von der Insel selbst. Renée Anne Shirley, die frühere Direktorin der jamaikanischen Anti-Doping-Agentur Jadco, hat im Sommer schon erklärt, dass Jadco vor Olympia 2012 in London nur eine (in Zahlen: 1) Trainingskontrolle durchgeführt habe. Im Oktober sagte sie in der britischen Zeitung Telegraph, die Agentur sei unterbesetzt und bewerkstellige keine Bluttests. Jamaikas Chefkontrolleur Paul Wright nannte die jüngsten Jamaika-Fälle in der BBC "die Spitze des Eisbergs".

Die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada kritisierte die Verhältnisse, drohte mit Konsequenzen und schickte ein Team zur Prüfung. So groß ist der Leidensdruck, dass Shelly-Ann Fraser-Pryce in Monte Carlo ihrem Land mit Streik drohte: "Wenn gewisse Dinge nicht den Standards entsprechen, ist nicht zu laufen etwas, das man tun muss", sagte sie.

Die Vorlagen für ein paar ernsthafte Gedanken waren also da. Aber die konnte IAAF-Chef Diack irgendwie nicht nutzen. "Hört auf mit dem ganzen Schmarrn! Jeder kennt die Stärke von Jamaika", rief er bei einer Gala-Pressekonferenz auf Anfrage. "Ich habe in den Zeitungen gelesen, wie die Wada dahin gegangen ist und dass sie Jamaika suspendieren würden." Frechheit, findet Diack: "Die können niemanden suspendieren!"

Und Diacks wichtigster Quotenbringer, der Weltrekordler Usain Bolt, wünschte sich eine Klärung der Kritik aus dem irdischsten aller Gründe: "Das bringt Probleme für mich, wenn es ums Geldverdienen in meinem Sport geht." Die Idee der Kollegin Fraser-Pryce, zu sportpolitischen Zwecken nicht zu rennen, gefällt ihm deshalb auch nicht: "Shelly, damit bist du allein", sagte Bolt, "es ist hart für mich zu streiken, weil das mein Job ist."

Das Prinzip eines Streiks hat Bolt offensichtlich nicht ganz erfasst, und auch Diack wirkte nicht sehr gut informiert. Sonst hätte er seine Wut wohl kaum gegen die Wada gerichtet, die Jamaika zuletzt guten Willen zur Besserung zugestand und meldete, dass Sportministerin Natalie Neita Headley einen zusätzlichen Jadco-Zuschuss von acht Millionen Jamaika-Dollar (knapp 57 000 Euro) in Aussicht gestellt habe. Sondern eher gegen die undurchsichtigen Verhältnisse rund um seinen Sport.

Über den Jadco-Vorsitzenden Herb Elliott, einst Mitglied der IAAF-Anti-Doping-Kommission, berichtete zuletzt das Wall Street Journal, dass sich dessen Akademiker-Titel von den Universitäten in Columbia und Brüssel nicht bestätigen ließen. So etwas ist Jamaikas Glaubwürdigkeit gar nicht zuträglich. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass die Disziplinar-Kommission des Leichtathletik-Verbandes JAAA früher im Herbst beschloss, Veronica Campbell-Brown nur zu verwarnen wegen ihres Tests auf das Entwässerungsmittel Hydrochlorothiazid - ohne tiefere öffentliche Begründung, dabei kann man mit Entwässerungsmitteln härtere Dopingsubstanzen kaschieren.

Und die Sportwelt wartet weiterhin auf das abschließende Urteil der IAAF zu der vielbeachteten Affäre - genauso wie auf Klarheit in den Fällen Powell, Simpson und Gay. Aber so pflegt halt jeder seine eigenen Ansichten und Interessen. Lamine Diack findet es wahrscheinlich gar nicht schlecht, wenn nicht zu viel Wahrheit über die Leichtathletik ans Licht kommt.

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