Doping im Sport:Stark verkürzter Arbeitsauftrag

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Rektor Hans-Jochen Schwiewer und Letizia Paoli, Vorsitzende der Evaluierungskommission der Freiburger Sportmedizin: übereinander reden statt miteinander. (Foto: dpa)

Die Kommission zur Aufarbeitung der Dopingvergangenheit konkretisiert ihre schweren Vorwürfe gegen die Uni Freiburg. Nun liegt ein Dossier mit Zeugenaussagen zur mysteriösen Gründungssitzung vor - das der SZ vorliegt und das hier eingesehen werden kann.

Von Thomas Kistner

Die Spannung steigt in Freiburg. Am Freitag gab die Kommission zur Aufarbeitung der Dopingvergangenheit an der Universität erneut eine Stellungnahme in eigener Sache ab. Sie verdichtet den Eindruck, dass die 2007 eingesetzten Fachleute bei ihrer bisher so zähen wie fruchtlosen Arbeit mit Widrigkeiten zu ringen hatten, die weit über den Sport und die Uni-Sportmedizin hinausreichen. Das Kultusministerium sieht Handlungsbedarf, die Behörde in Stuttgart will die eskalierende Situation jetzt im eigenen Haus moderieren.

Ins Zentrum ihrer Kritik rückte die Kommission den Altrektor der Uni, Wolfgang Jäger. Sie wirft ihm vor, den Mitte 2007 von drei Uni-Instanzen erarbeiteten Arbeitsauftrag - "die Freiburger Sportmedizin in ihren gesamten Aktivitäten während der vergangenen 50 Jahre auf den Prüfstand zu stellen"- nie im Original an sie weitergeleitet, sondern stark verkürzt und eingeengt zu haben.

Statt die Dopinghistorie seit den fünfziger Jahren sowie belastete Mediziner wie den nationalen Sportärzte-Guru Armin Klümper als Ziel zu nennen, habe Jäger den Auftrag bei der Gründungssitzung der Kommission im August 2007 auf wiederholte Nachfrage von Mitgliedern explizit auf die erst 1974 geschaffene Abteilung Sportmedizin von Joseph Keul gelenkt. Daher, und in Unkenntnis des Originalauftrages, habe die Kommission eben den verengten Prüfauftrag ins Protokoll genommen.

Jäger und die Uni-Spitze bestreiten den Manipulationsvorwurf. Auch sie stützen sich auf Papiere, die jedoch wenig belastbar sind. Die Uni verweist auf Jägers Berufungsschreiben 2007 an den damaligen ersten Kommissionschef Hans-Joachim Schäfer. Hier heißt es, der Auftrag sei "keinerlei zeitlicher oder personeller Limitierung unterworfen". Doch dieser recht vagen Sentenz stehen unter anderem die Berufungsschreiben an die sieben übrigen Kommissionäre entgegen, in denen die "Abteilung für Sportmedizin" als Prüfobjekt benannt wird.

Diese Abteilung findet sich auch in Jägers persönlicher Presseinformation damals wieder. Neben dem Einzelbrief an Schäfer pochen Jäger und Uni auf das Protokoll der Gründungssitzung. Das aber, verfasst von einer Uni-Juristin, dampft die vierstündige Sitzung auf nur zwei Seiten ein, so kontert jetzt die Kommission: Ohne Zitate, Argumente und Gesprächsverläufe.

Zu seiner Entlastung legte Jäger jüngst einen Brief des ehemaligen Kommissionsmitglieds Ulrich Schwabe vor, in dem ihm der Pharmakologe attestiert, Jäger habe in seiner Begrüßungsansprache "keine konkreten Angaben über den zu bearbeitenden Zeitraum" gemacht; die Mitglieder hätten sich selbst eingegrenzt. Das erweckt einen Eindruck, dem die Betroffenen stark widersprechen.

Zudem besagt es nichts zum Vorwurf, dass Mitglieder konkret bei Jäger zum Arbeitsauftrag nachgefasst hätten. In der Badischen Zeitung sagte der Altrektor aber nun sogar klar, es "trifft nicht zu", dass er in der Sitzung den Auftrag explizit auf Keuls Abteilung eingeengt hätte.

Diese Linie hält auch die Uni-Spitze. Deren Rektor Hans-Joachim Schiewer stellte den Kommissionsmitgliedern unlängst sogar via SWR-Interview ein Ultimatum zur Rücknahme ihrer Vorwürfe. Das verstrich, nun liegt sogar ein Dossier mit Zeugenaussagen zur mysteriösen Gründungssitzung vor - das der Süddeutschen Zeitung vorliegt und das hier eingesehen werden kann. Auf Anfrage, ob Jäger dort, wie von Mitgliedern behauptet, den Auftrag eingeengt habe, teilte die Uni mit: "Ihre Spekulationen sind nach Aktenlage unzutreffend."

Eine selektive Aktenlage aus Einzelbrief und Kurzprotokoll gibt aber nicht das Gesamtbild her. Die Kernfrage ist ja, ob es die von Anwesenden bezeugte, von manchen nicht mehr genau erinnerte, von keinem bestrittene Eingrenzung durch Jäger gab.

Zwei Mitglieder, die Kriminologin Britta Bannenberg und Zellforscher Werner Franke, hatten erwartet, das Breisgau-Doping am Wurzelwerk - ab den fünfziger Jahren, samt Klümper und Co. - anpacken zu sollen. Beide sagen, sie hätten Jäger das vorgetragen - und seien auf Keul eingebremst worden. Franke betont, er habe da sogar widersprochen. Hellmuth Mahler, Sachverständiger im LKA Nordrhein-Westfalen, bestätigt eine Einlassung Jägers: "Ja, die Abteilung Sportmedizin hat er erwähnt."

Wie groß ist die Möglichkeit einer kollektiven Teilamnesie bei Experten aus Justiz und Medizin? Fakt ist auch, dass der Originalauftrag von 2007 die Kommission erst 2012 - nach harter Recherche ihrer neuen Chefin Letizia Paoli - erreichte. Und es gibt mehr Fragezeichen. Denn zur absurden Kommunikationspanne gesellt sich eine zweite, die noch aufzuarbeiten ist.

Der auf Keul limitierte Prüferstab fand gleichfalls erst 2012 heraus, dass fünf Kisten mit tausenden Seiten Keulscher Geschäftskorrespondenz in der Garage jener Uni-Juristin schlummerten, die das Gründungsprotokoll 2007 schrieb und anfänglich als Kommissions-Geschäftsführerin tätig war. Eine solche Pannenserie, falls es denn eine war, macht die Breisgauer Dopingaufklärung zum heißen Kandidaten für TV-Veräppelungsshows wie "Verstehen Sie Spaß?"

Paoli, die 2010 den Reutlinger Richter Schäfer an der Kommissionsspitze ablöste, dokumentiert nun Aussagen von sechs der acht Mitglieder auf einen Fragenkatalog zum Thema. Gleich zu Beginn fällt ein sechsfaches Nein auf: Keiner hatte bis 2012 vom wahren Arbeitsauftrag gehört. Weshalb auch keiner wusste, dass der Originalauftrag sogar die Beiziehung des Medizinhistorikers Karl-Heinz Leven vorsah - was ja für eine reine Keul-Recherche ab den Siebzigern gar keinen Sinn ergeben hätte.

Während die Uni die konkreten Vorwürfe der Experten bezüglich der Sitzung als "Spekulation" abtut, ist das Kultusministerium alarmiert. "Zweifelsfrei sind diese Fragen legitim und brisant", teilt es mit - speziell sei "die Frage zum Arbeitsauftrag der Kommission wesentlich". Das Ministerium nehme "nun eine aktive Moderationsrolle ein". Es wird die Beteiligten anhören.

© SZ vom 02.03.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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