Doping im Sport:Aus dem Gedächtnis

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Der Orthopäde Martin Engelhardt verdächtigt den Triathleten Stephan Vuckovic, Silbermedaillengewinner von Sydney 2000, des Epo-Dopings.

T. Kistner und F. Ketterer

Stephan Vuckovic sagt, es sei einerseits hart, doch andererseits auch wie eine Erlösung für ihn, "dass die Sache endlich ans Licht kommt". Sie hätte ja schon begonnen, ihn innerlich aufzufressen. Die Sache, das ist ein massiver Dopingvorwurf gegen den Triathlon-Silbermedaillengewinner von Sydney 2000, den der Ehrenpräsident der Deutschen Triathlon-Union (DTU) erhoben hat. Der Osnabrücker Orthopäde Martin Engelhardt hat, wie er Donnerstag der SZ bestätigte, in einem als "Gedächtnisprotokoll" bezeichneten Schreiben an die DTU-Verbandsspitze Mitte Oktober dargelegt, dass nach seiner Kenntnis Vuckovic 2001 Doping mit dem Blutverdicker Epo zugegeben, die damalige Verbandsführung unter Präsident Klaus Müller-Ott, gleichfalls Arzt, diesen Fall aber vertuscht habe. Das brisante Protokoll wurde - anders als von ihm gewünscht, dies betont Engelhardt - via DTU-Geschäftsstelle auch an alle Landesverbandspräsidenten ausgesandt.

Ein Orthopäde verdächtigt den Triathleten Stephan Vuckovic (im Bild) des Epo-Dopings. (Foto: Foto: Getty)

Die Hiobsbotschaft hatte Stephan Vuckovic bald nach der Landung am 18. Oktober ereilt. Kaum hatte der Triathlet aus Reutlingen seinen Trip zum Ironman Hawaii beendet und wieder festen Boden unter den Füßen, meldete sich Susanne Mortier am Handy. Die amtierende Präsidentin des Baden-Württembergischen Triathlonverbandes (BWTV) eröffnete dem 36-Jährigen Unerfreuliches: Er solle Abstand nehmen von dem bisher gemeinsam verfolgten Plan, Mortier im Präsidentenamt zu beerben.

Die Amtsübergabe hätte nur eine Woche später erfolgen sollen, beim Verbandstag am 25. Oktober. Doch eine ihr nun vorliegende E-Mail lasse einen Verzicht als ratsam erscheinen, sie kandidiere lieber selbst noch einmal. Es ginge darum, "Schaden vom Verband abzuhalten" - so erzählt es Vuckovic. Die Mail will er erst 14 Tage später zu Gesicht bekommen haben.

Fieber, Erbrechen, Krämpfe

Er bezeichnet sie als "Rufmord der allerschlimmsten Sorte", ist aber auf Mortiers Rat trotzdem von seiner Kandidatur zurückgetreten. "Ich wollte keine Schlammschlacht", erklärt Vuckovic, "wenn mit Dreck geworfen wird, bleibt immer was an einem hängen, und ich habe gerade jetzt viele Projekte und neue Sponsoren an der Angel."

Er ließ sich dann nur zum sportlichen Leiter wählen, er sagt, es habe ihn "angewidert, den Leuten am Verbandstag etwas von Studium und anderen Verpflichtungen erzählen zu müssen". Zehn bis 15 Delegierte hätten ihn in das andere Amt gebeten.

In dem Gedächtnisprotokoll, das alle Landesfürsten sowie Teile des DTU-Präsidiums erreichte, bezieht sich Engelhardt auf einen Vorfall, der sich im Juni 2001 bei den Triathlon-EM im tschechischen Karlsbad zutrug. Vuckovic, im Jahr zuvor Olympiazweiter von Sydney und insofern recht prominent, galt als Mitfavorit. Doch zum Start kam es nicht.

In der Nacht vorm Rennen streckten den Mann mit dem kahlen Schädel Fieber, Erbrechen, Muskelkrämpfe nieder, die Nacht darauf wurden die Beschwerden so akut, dass Mannschaftsarzt Andreas Marka und Verbandschef Klaus Müller-Ott beschlossen, Vuckovic in ein Krankenhaus ins grenznahe Bayreuth zu transportieren. Dort wurde ein Leber- und Nierenversagen festgestellt. Drei Tage lag Vuckovic auf der Intensivstation und kämpfte um sein Leben. Die Ursache dafür wurde erst später, während der Reha in Tübingen gefunden: Vuckovic, dies kann er jedenfalls per Medizingutachten belegen, war an Legionellen erkrankt.

Engelhardt, drei Monate vor der EM als DTU-Präsident zurückgetreten, verbreitet sieben Jahre nach dem Vorfall per Gedächtnisprotokoll eine andere Sichtweise. Derzufolge sollen es vielleicht nicht nur Bakterien gewesen sein, die den Athleten in Lebensgefahr gebracht hatten, sondern womöglich: Doping.

"In der kritischen Situation, als die Ärzte sich nicht die Ursache für dieses Leber-Nierenversagen erklären konnten", habe der Athlet auf nachdrückliches Befragen zugegeben, "dass er sich offensichtlich verunreinigtes oder kontaminiertes EPO gespritzt habe". Als Quelle für seine Behauptung nannte die Mail Engelhardts Nachfolger Müller-Ott und Andreas Marka, Teamarzt bis heute und Mitglied der DTU-Antidopingkommission.

Sie verdächtigte Engelhardt am Ende des Protokolls an die Vorständler gar der Vertuschung des Dopingvergehens: "Unter den Beteiligten wurde Stillschweigen vereinbart." Auf SZ-Anfrage bekräftigte Engelhardt am Donnerstag: "Ich würde nie so etwas zu Papier bringen, wenn es sich nicht so zugetragen hätte. Der sachliche Inhalt wurde mir so übermittelt, ich leide noch nicht an Alzheimer."

Zitierte Personen bestreiten

Engelhardt räumt aber zugleich ein, dass er zum Beweis nur die Aussagen der von ihm zitierten Personen habe: Arnd Pfützner, Chef des Instituts für Angewandte Trainingswissenschaften (IAT) in Leipzig, der einst selbst DTU-Vizepräsident unter Engelhardt war, sowie Nachfolger Müller-Ott und Marka. Alle drei bestritten indes auf SZ-Anfrage die dargestellten Sachverhalte, was sich Engelhardt "nicht richtig erklären" kann. IAT-Chef Pfützner, sagt er, habe ihn damals nicht nur auf seltsame Leistungsentwicklungen in Sydney hingewiesen, sondern auch "auf den Deutschen". Pfützner verneinte dies auf SZ-Anfrage.

Mit Müller-Ott, der ihn 2001 nach dem Kollaps von Karlsbad angerufen haben soll, habe er unter vier Augen wiederholt das Thema beleuchtet, "auch, als es im Zug des Springstein-Prozesses wieder aufkam". Und Teamarzt Marka? "Ich weiß sicher, dass ich mit ihm darüber geredet habe. Er war geschockt über die dramatische Zuspitzung, er hatte ja die medizinische Zuständigkeit. Er ist Orthopäde, und so etwas erwartet man nicht."

Marka bestritt Engelhardts Vorwurf Freitagmittag vehement. Doch vom Inhalt der Mail wusste er spätestens Anfang November - warum stellte er Engelhardt nicht zur Rede? "Ich hätte erwartet, dass er sich vorher bei mir meldet." Das tat Engelhardt zwar, jedoch nur auf dem Anrufbeantworter, als Marka im Urlaub war. Freitag ging es dann sehr schnell.

Am Nachmittag hatte Marka den Kollegen bei einem Symposium aufgetrieben und bei der SZ anrufen lassen - Engelhardt rückte von einer Aussage ab: "Marka sagt, dass die Formulierung, er habe mir einen Epo-Vorgang bestätigt, nicht zutrifft. Da ich das nicht beweisen kann, nehme ich diesen einen Satz zurück, bleibe aber bei allen anderen Aussagen." Es gebe "eben unterschiedliche Erinnerungen zu diesem Sachverhalt".

In der Tat. Auch Müller-Ott bestritt gegenüber der SZ, sich jemals mit Engelhardt über einen angeblichen Epo-Fall ausgetauscht zu haben: "Ich habe nie mit ihm über so einen Vorfall gesprochen. Das ist ein Gedächtnisprotokoll, das nicht stimmt." Auch von Vuckovic' angeblichem Dopinggeständnis will er nichts wissen. "Ich habe von Epo zu keinem Zeitpunkt etwas mitbekommen."

Nun wollen alle klagen, auch Vuckovic, dies erklärte er, als er von den SZ-Recherchen erfuhr. Unter Verweis auf seinen Anwalt Michael Lehner kündigte er an: "Alles, was juristisch möglich ist, hat Engelhardt jetzt an der Backe." Es sei nur leider "keine gute Zeit für einen Sportler, um seine Glaubwürdigkeit zu kämpfen. Wenn so was aufkommt, hast du in der Öffentlichkeit schon verloren".

Spur nach Spanien

Problematisch könnte dabei sein, dass er schon 2006 in Erklärungsnot war. Damals gründete der Verdacht gegen Vuckovic auf dem Mail-Verkehr zwischen seinem ehemaligen Trainer Thomas Springstein und dem spanischen Dopingarzt Miguel Peraita, der als eine Schlüsselfigur des internationalen Dopingnetzwerks in Madrid gilt. Laut Gerichtsakten bedankte sich Springstein in den Mails für "kreative Ideen" bezüglich Vuckovic, nachdem dieser in Sydney überraschend Silber gewonnen hatte. Peraita habe darauf geantwortet: "Wir wussten schon von Vuckovich und den Mädchen. GROSSARTIG. Für das nächste Jahr haben wir neue Sachen, um das Material zu ersetzen, sehr interessant." Der Begriff "Material" gilt als Szenesynonym für Epo.

Vuckovic bestritt, so Anwalt Lehner, bei einer damaligen "Vorermittlung" der DTU 2006 die aus der Mail abzuleitenden Verdachtsmomente; damit war die Sache erledigt. Auf neuerliches Befragen sagt Vuckovic, er habe "damals alles gesagt, ich schaue nicht zurück und lebe im Jetzt". Zu Springstein sei er 1999 gewechselt, "Doping war nie ein Thema zwischen uns, er bot auch nie etwas an".

Die nationale Antidopingbehörde Nada will den Fall aufgreifen, ein Dopingfall "2001 wäre nicht verjährt", heißt es dort. DTU-Chefin Claudia Wisser kündigt eine Untersuchung an. Auch sie hatte seit Oktober Kenntnis von der Mail. Am 9. November rückte sie an die DTU- Spitze und hat seither "so viele Baustellen in diesem Verband zu bearbeiten", dass die Mail-Affäre warten musste. Wisser ist schon die dritte Person, die 2008 das Präsidentenamt inne hat. Vor-Vorgänger Müller-Ott wurde auf einem Sonderverbandstag Ende Februar gestürzt. Unter anderem wurden Unregelmäßigkeiten bei den Spesenabrechnungen entdeckt. Die DTU stellte im Herbst Strafanzeige.

© SZ vom 29.11.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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