Süddeutsche Zeitung

Doping im Reiten:Das große Zittern

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Isabell Werth hält trotz Dopingbefund zu ihrem vorbelastetem Tierarzt. Der weltweit erfolgreichsten Dressurreiterin droht eine lange Sperre.

Claudio Catuogno

Am Mittwochabend hat Isabell Werth, 39, die Stellungnahme auf ihre Internetseite gestellt, da hatte sie nach eigenen Angaben gerade "den schlimmsten Tag meines Lebens" hinter sich, und zumindest an der Glaubwürdigkeit dieser Aussage zweifelte niemand. Der Tag hatte darin bestanden, dass der über zwanzig Jahre aufgebaute Ruf der weltweit erfolgreichsten Dressur-Reiterin unter einem einzigen Wort begraben wurde: Doping. Ihr zehnjähriger Wallach Whisper hatte Ende Mai beim Pfingstturnier in Wiesbaden eine Nachwuchsprüfung gewonnen - mit dem Wirkstoff Fluphenazin im Körper, wie eine Probe des Weltverbands FEI ergab. Werth wurde vorläufig suspendiert, ihr drohen zwei Jahre Sperre. Schon deshalb stellt sich nun, wie bei jedem Dopingverdacht, die Frage, wie man so eine Stellungnahme der Betroffenen einordnen muss: Als Versuch einer Erklärung? Oder als die juristisch plausibelste Verteidigungslinie?

Fluphenazin - das unterscheidet den Fall etwa von nicht ordnungsgemäß angemeldeten Salben im Springreiten - ist ein Psychopharmakon aus der Humanmedizin. Für die Behandlung von Tieren ist es weder erprobt noch zugelassen. Wie kam es in das Pferd? Whisper, schreibt Isabell Werth, leide am "Shivering Syndrom", auch "Zitterkrankheit" genannt, einer Erkrankung des Nervensystems, die Gleichgewichtsstörungen auslöst, wenn das Pferd - etwa beim Beschlagen oder Putzen - längere Zeit auf drei Beinen stehen muss. Die Ursache des Zitterns ist bisher unklar. Doch ihr Tierarzt, der Schweizer Hans-Georg Stihl, habe ihr erläutert, "dass mehrere von ihm behandelte Pferde gut auf das Medikament Modecate angesprochen hätten", das Fluphenazin enthält. Deshalb habe man Whisper "am 16. Mai 2009 einmalig" damit behandelt. Und siehe da: "Es gab deutlich weniger unkontrollierte Ausfallschritte." Spätestens an dieser Stelle der Erklärung begannen die Verantwortlichen im deutschen Reitsport, verständnislos den Kopf zu schütteln.

Denn der Tierarzt Stihl ist in der Szene kein Unbekannter: Rusty, das Dressurpferd von Ulla Salzgeber, hatte er 2003 mit Testosteron behandelt, zwei Wochen vor dem Weltcup-Finale - angeblich wegen harmloser Pickel unter dem Halfter. Und zudem ohne Rücksprache, wie es hieß. Salzgeber kam mit einer Geldstrafe davon. In den achtziger Jahren saß Stihl in Frankreich sogar eine Weile in Untersuchungshaft, nachdem ihn die Polizei mit einem Kofferraum voll verbotener Medikamente gestoppt hatte.

"Herr Stihl reist bis heute durch die Lande und zaubert", sagt ein Branchenkenner der "SZ", womit keinesfalls illegale Behandlungen unterstellt sein sollen. Aber eine gewisse tiermedizinische Kreativität. Inzwischen findet sogar der Dressur-Bundestrainer Holger Schmezer: "Isabell sollte nicht mit solchen Tierärzten zusammenarbeiten." Und Michael Düe, der Chef-Veterinär der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN), sagt: "Ein Tierarzt, der in Europa lebt, darf einem Pferd Modecate nicht verabreichen." Beim Menschen wirkt es unter anderem gegen Schizophrenie.

Diesen zentralen Aspekt verschweigt Isabell Werth, sie spricht von einem Missverständnis. Stihl habe von sechs Tagen Absetzdauer des Medikaments gesprochen, nur deshalb habe sie Whisper nach zwei Wochen in Wiesbaden geritten, "nach bestem Wissen und Gewissen". In Wahrheit wirkt das Medikament offenbar bis zu 90 Tage lang. Sie wünsche sich nun, "dass das Reglement möglichst rasch so überarbeitet wird", schreibt Werth weiter, "dass sinnvolle medizinische Behandlungen bei Sportpferden möglich werden". Dass Fluphenazin sinnvoll sein könnte, ist bisher aber ihre Privatmeinung. Nachdem Werth sich am Donnerstag telefonisch gegenüber dem FEI-Tribunal geäußert hatte, beschloss dieses, ihre Suspendierung aufrecht zu erhalten. An Hans-Georg Stihl will sie dennoch nicht zweifeln. Dem "sid" sagte sie: "Ich werde ihn jedenfalls nicht an die Wand nageln."

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Quelle:
SZ vom 26.06.2009
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