Doping im Radsport:Sie spritzen einfach weiter

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Es wird wohl nicht mehr so flächendeckend wie früher gedopt im Radsport, doch Fälle gibt es weiterhin zahlreiche.

(Foto: Getty Images)

Ist nach den Doping-Jahren alles wieder gut im Radsport? Die vielen Dopingsanktionen derzeit lassen anderes vermuten. Die Athleten werden mit Epo erwischt - häufiger als mit jeder anderen Substanz.

Von Lisa Sonnabend

Erst erwischte es Valentin Iglinski, nur zwei Wochen später flog sein Bruder Maxim auf. Zwei Fahrer aus dem Astana-Team positiv auf Epo getestet, und das innerhalb von kurzer Zeit - zum Ausklang der Radsport-Saison wird deutlich: Auch wenn die Fernsehsender ARD und ZDF prüfen, wieder die Tour de France zu übertragen, und Sponsoren zurückkehren, ist Doping nach wie vor verbreitet im Radsport.

Einen guten Einblick in die Szene gibt die Liste des Weltverbandes UCI, die die gesperrten Fahrer aufführt, und die Süddeutsche.de ausgewertet hat. 112 Athleten sind demnach wegen eines Dopingverstoßes derzeit nicht fahrberechtigt. Auffällig ist, dass 26 von ihnen mit dem Blutdopingmittel Epo erwischt wurden - mehr als mit jeder anderen verbotenen Substanz. Und das, obwohl die Verantwortlichen beteuern, Epo sei längst überwunden.

Dopingfahnder Helmut Papst überrascht die hohe Zahl der Epo-Betrüger nicht. "Die strenge Suche nach Epo ist vorbei", sagt er. "Und nun denken die Fahrer, sie können wieder." Die Dosierungen sind in den vergangenen Jahren geringer geworden, es wurden nur wenige Fahrer enttarnt. Doch mittlerweile haben sich die Messmethoden verfeinert - und so gehen die Sportler den Kontrolleuren wieder verstärkt ins Netz.

Die am häufigsten gefundenen Substanzen

EPO: 26

GW501516: 9

Clenbuterol: 6

Methylhexaneamin: 7

Stanozolol: 8

Biologischer Passport: 5

Amphetamine: 3

Boldenone: 3

Kokain: 3

T/E Ratio >4: 3

Pabst warnt zudem: "Es gibt etwa 80 Epo-Derivate, die nicht nachweisbar sind." Und die zudem erhebliche gesundheitliche Risiken bergen, da sie klinisch nie getestet worden seien.

So tauchen auf der UCI-Liste zwar 112 Namen auf, doch die Zahl der Athleten, die dopen, aber nicht erwischt werden, dürfte um ein Vielfaches größer sein. Pabst berichtet, dass die Fahnder oft auf Verdächtiges in den Proben stoßen, die Fahrer aber nicht bestrafen können. "Wir finden sehr vieles, wissen aber nicht oder noch nicht, was es ist", sagt der 63-Jährige. "Und sehr vieles, was wir finden, steht noch nicht auf der Verbotsliste."

Epo ist nicht die einzige verbotene Substanz, mit der Fahrer ihre Leistungen steigern. Neun Sportler wurden mit dem Hormon GW501516 erwischt, das die Ausdauer stärken soll. Acht Athleten beim Versuch, mit dem Steroid Stanozodol Muskelmasse aufzubauen. Sieben, weil sie die Stimulanz Methylhexaneamin illegal zuführten. Sechs wurden überführt, als sie Clenbuterol einnahmen, das in der Tiermast eingesetzt wird. Weitere illegale Substanzen: Amphetamine, Kokain, die Stereoide Boldenone und Clostebol, das Anabolikum Methandien, der bronchienerweiternde Wirkstoff Fenoterol oder der Appetitzügler Sibutramin. "Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt", kommentiert Fahnder Pabst.

"Fuentes in klein gibt es überall"

Bei der UCI-Liste überrascht, dass nur fünf Athleten auftauchen, die derzeit wegen ihres Blutpasses gesperrt sind. 2008 führte der Radsport diese indirekte Nachweismethode ein, um Unregelmäßigkeiten bei den Blutwerten aufdecken zu können. "Wenn Sie einen Fahrer definitiv erwischen wollen, muss es vor Gericht Bestand haben", erklärt Fahnder Pabst die geringe Anzahl. Ein Verdacht genüge eben nicht.

Wie schwierig der Nachweis ist, zeigt ein Fall aus der vergangenen Woche: Der tschechische Verband sprach Roman Kreuziger wieder frei, der von der UCI wegen Unregelmäßigkeiten in seinem Blutpass vorläufig gesperrt worden war. Die Beweise würden nicht ausreichen.

Die UCI kann nun vor den Internationalen Sportgerichtshof Cas ziehen - und Kreuziger wird fortan häufiger Besuch von Kontrolleuren bekommen. Auffällige Fahrer werden von den Fahndern als "grau" bezeichnet, die Tests intensiviert. Pabst versichert: "Dann leidet der Athlet unter uns."

Herkunft der Dopingsünder

Italien: 11

Russland: 8

Costa Rica: 6

Kolumbien: 6

Argentinien: 5

Spanien: 5

Chile: 4

Polen: 4

Australien: 4

Die meisten Erwischten kommen aus Italien

Die UCI-Liste gibt auch Aufschluss darüber, aus welchen Nationen die erwischten Athleten stammen. Am meisten wird offenbar in Europa gedopt, zumindest kommen 55 der überführten Sünder von dort. Der Grund ist profan: Die meisten Profiradfahrer sind Europäer.

Elf Athleten aus Italien sind derzeit gesperrt, so viele wie aus keinem anderen Land. Acht stammen aus Russland, sechs jeweils aus Costa Rica und Kolumbien. Wird dort besonders systematisch gedopt? Fahnder Pabst reicht das nicht als Indiz: "Das kann Zufall sein. Denn Fuentes in klein gibt es überall." Der spanische Arzt Eufemiano Fuentes verkaufte über ein internationales Netzwerk unerlaubte Mittel an Spitzenfahrer wie Jan Ullrich, bis er 2006 festgenommen wurde.

Auch beim Rennstall Astana schließt Pabst nicht auf ein strukturelles Doping - trotz zweier Brüder, die innerhalb von wenigen Tagen erwischt wurden, und trotz der Dopingvergangenheit des Teams. Wenn zwei von 24 Fahrern eines Teams erwischt würden, bedeute das nicht, dass systematisch gedopt werde, so Pabst. "Ein Dopingfahnder muss sich immer zu mindestens 99,5 Prozent sicher sein." Deswegen tauchen nur 112 Namen auf der UCI-Liste auf - und nicht noch viel mehr.

Wirkung der Dopingmittel

Amphetamine: Stimulieren und putschen, steigern die motorische Aktivität, unterdrücken das Gefühl der Müdigkeit und das Gespür für die natürliche Leistungsgrenze. Es kann zu Schlaf- und Kreislaufstörungen oder Psychosen kommen.

Biologischer Pass: Ein indirektes Nachweisverfahren, das Abweichungen aufdeckt. Der Pass zeigt nicht, wie manipuliert wird, aber dass manipuliert wurde. Wurde 2008 im Radsport eingeführt.

Boldenone: Das anabole Steroid beeinflusst den Muskelaufbau. Es erhöht den Blutdruck, dadurch steigt das Risiko für Herzkreislauferkrankungen. Es kann zudem zu Haarausfall und Akne kommen.

Clenbuterol: Der anabole Wirkstoff stimuliert die Proteinsynthese in den Muskelzellen, stärkt dessen Aufbau und verbessert die sportliche Leistung. Wird eigentlich in der Tiermast eingesetzt.

Epo: Erhöht die Anzahl der roten Blutkörperchen und steigert die Sauerstofftransportkapazität. Führt zu schlechterer Fließfähigkeit des Blutes, der Blutdruck steigt, es besteht Trombosegefahr.

GW501516: Steigert die Ausdauer. Gefährdet die Gesundheit und führt womöglich zu Krebs, wird deswegen nach einer Testphase nicht mehr in der Medizin eingesetzt.

Kokain: Stimuliert und putscht. Führt zu einem übersteigerten Selbstbewusstsein und zu mehr Wagemut beim Bergabfahren. Als Nebenwirkungen zählen Schlaf- und Kreislaufstörungen sowie Psychosen.

Methylhexaneamin: Die Stimulanz wird Nahrungsergänzungsmitteln illegal zugeführt. Sie steigert die Leistung, verbessert die Sauerstofffähigkeit, verbrennt Fett. Kann zu Todesfällen führen. Seit 2010 auf der Dopingverbotsliste.

Stanozolol: Das anabole Steroid stärkt den Muskelaufbau und damit die Leistungsfähigkeit. Es erhöht das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen, es kann zum Herzinfarkt kommen, zu Leberschäden und Langzeitschäden an Gelenken. Bei einer kombinierten Einnahme mit Boldenon ist das Risiko noch höher.

T/E Ratio >4: T/E Ratio gibt das Verhältnis von Testosteron zu Epitestosteron im Körper an. Liegt dieses über 4:1, gilt dies als Dopingnachweis. Testosteron beschleunigt den Muskelaufbau. Die Einnahme kann zu urologischen Problemen, Herzrhythmusstörungen oder Depression führen.

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