Süddeutsche Zeitung

Doping im Radsport:"Es wird weiter flächendeckend gedopt"

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Der enttarnte österreichische Sportmanager Stefan Matschiner über die Tour, Deutsche in Wien und den Prozess gegen ihn.

Andreas Burkert

SZ: Herr Matschiner, Sie haben bei der Tour für ein wenig Unruhe gesorgt, weil Sie in einem ORF-Interview äußerten, Sie und auch ihr früherer Klient Bernhard Kohl hätten Dopingmittel an frühere Gerolsteiner-Profis weitergegeben. Kohls Anwalt hat heftig dementiert. Wieso äußern Sie sich plötzlich öffentlich?

Stefan Matschiner: Bernhard hat zuletzt ein Interview gegeben, in dem er sich dermaßen dreist hinstellte, als habe er nur einmal an den Hannes Hempel (Triathlet, der als Hintermann beschuldigt wird, aber die Vorwürfe bestreitet; Anm.) etwas weitergegeben. Und dann erwähnt er in einem Nebensatz, dass man schon mal unter Freunden was weitergibt. Dass er das so runterspielt - das hat mir letztlich gereicht, so dass ich hier ein bissl meine Linie verlasse, die eigentlich wäre, bis zum rechtsgültigen Urteil im Oktober gegen mich nichts zu sagen.

SZ: Unter den Gerolsteiner-Profis sei mindestens ein Deutscher, sagen Sie. Wenn man annähme, dass es sich bei demjenigen, der bei der Tour 2007 und 2008 Mittel erhielt, um Stefan Schumacher handeln könnte - wer ist der zweite, noch aktive Fahrer, der bei einer Übergabe in Rosenheim offenbar von einem ihrer Angestellten Dynepo erhielt?

Matschiner: Es wird von mir keine Namen von Sportlern geben, weder für die Presse, noch für die Staatsanwaltschaft oder die Polizei. Denn ich will nicht Gott spielen. Wenn ich Namen nennen würde, würden sich nur andere ins Fäustchen lachen, die Konkurrenten sind und eben von anderen dementsprechend betreut werden. Das wäre nicht fair.

SZ: Ist denn dieser Deutsche in die derzeitige Tour gestartet?

Matschiner: Nein, er ist nicht dabei. Generell ist niemand mehr meiner früheren Sportler bei dieser Tour dabei.

SZ: Der frühere Gerolsteiner-Teammanager Holczer muss seit den Dopingfällen Kohl und Schumacher beteuern, er habe nichts gewusst. Was meinen Sie?

Matschiner: Ich habe ihn mal kurz voriges Jahr bei der Deutschland-Tour gesprochen, wegen eines PR-Termins von Bernhard. Ich kenne ihn ansonsten nicht, habe aber den Eindruck, dass er von diesen Dingen am Schluss nichts wusste.

SZ: Was heißt zum Schluss?

Matschiner: Ich weiß ja nicht, was in den zehn Jahren davor passiert ist.

SZ: Darf man ihre jetzigen Wortmeldungen so deuten, dass Sie nicht mehr als alleiniger Drahtzieher eines Netzwerkes dastehen wollen, während etwa der Kronzeuge Kohl offen kooperiert?

Matschiner: Der Bernhard kooperiert doch nicht! Er sagt nur Sachen, die er sagen muss, weil er mit dem Rücken zur Wand steht. Es wird nur schön dargestellt, dass er mit der Wada (Welt-Antidoping-Agentur) und der UCI (Radweltverband; d.Red.) kooperiert und denen sagt, wie es funktioniert. Dabei wissen die doch eh, was los ist, was so läuft.

SZ: Würde es sich denn für die deutsche Nada lohnen, mit Ihnen zu reden?

Matschiner: Sie hat mich noch nicht kontaktiert. Aber auch da käme sicher der Name an die Öffentlichkeit. Wenn sie aber andere Informationen von mir haben wollen, was das System angeht, wenn sie den Kampf gegen Doping ernst meinen, setzte ich mich gerne mit der Nada und anderen Institutionen an einen Tisch. Denn wenn man das Problem des Systems bei der Wurzel packen will - und wenn der Hochleistungssport das überhaupt will -, braucht man andere Wege, als ein paar Sportler rauszunehmen.

SZ: Was genau? Härtere Gesetze?

Matschiner: Ich bin selbst nicht sicher, welcher Weg richtig wäre. Aber das neue österreichische Gesetz ist ja nicht einmal fertig: Es gibt keine Grenzmengenverordnungen - das einzige, was neu ist, ist, dass Blutdoping unter Strafe gestellt wird. Ansonsten ähnelt es sehr dem Arzneimittelgesetz. Wobei die Frage ist, ob knallharte Gesetze für den Sport zu den gleichen Dingen führen wie auch anderswo - zu einer kriminellen Szene. Aber das ist fast eine philosophische Diskussion über die Zukunft. Man wird sehen.

SZ: Wie sieht ihrer Meinung nach die Gegenwart des Systems aus, das Sie sehr gut kennen und nun verlassen mussten?

Matschiner: Ich bin der Meinung sicher, dass im Hochleistungssport weiterhin flächendeckend gedopt wird. Schauen wir uns doch nur die Tour jetzt an, mit Contador, Armstrong. Das sind super Sportler, der beste Fahrer ist sicher Contador. Aber wenn ich das sehe, denk' ich mir: Super Show, ist ja geil! Das ganze Thema Doping wird auch diesmal ad absurdum geführt, da bin ich sicher.

SZ: Weil weiter fleißig betrogen wird.

Matschiner: Natürlich! Man merkt doch nicht, dass sie irgendwie langsamer fahren, oder? Wenn ich Team Astana geschlossen vorne fahren sehe, da schmunzele ich. Aber das heißt nicht, dass andere sauberer sind. Sie machen es vielleicht nicht so extrem. CSC (jetzt Team Saxo; d.Red.) hielt sich bisher noch zurück, im Vergleich zum Vorjahr. Aber vermutlich ist trotzdem überall wieder viel gemacht worden. Ich kann es natürlich nicht beweisen. Doch das ist mein Eindruck.

SZ: Sie gehören jetzt nicht mehr dazu. Was machen Sie?

Matschiner: Ich schreibe ein Buch, ich bin schon dabei.

SZ: Wer muss sich vor diesem Buch fürchten?

Matschiner: Sportler müssen sich nicht fürchten. Ich will mehr gegen das System ankämpfen. Ein System, das aktiv wegschaut, das mit einer Doppelmoral läuft. Dazu gehören Medien, mit ihrer Sensationsgier, mit unkritischer Berichterstattung und dem Verlangen nach Rekorden. Dazu gehören Verbände, die Funktionäre, natürlich die Wirtschaft, wo einfach kein Interesse besteht, Sachen aufzudecken oder zu hinterfragen. Oder nehmen Sie die Fuentes-Liste aus dem spanischen Dopingskandal - was ist mit den ganzen Fußballern? Das geht wohl für die Politik nicht, dass man dem kleinen Mann sein Brot des Wochenendes und des Mittwochabends wegnimmt. Das sind die Sachen, die mich heute interessieren. Sportler sind nur Ausführende.

SZ: Er heißt aus Wien, der Skandal um die Blutbank Humanplasma habe Dimensionen wie die Fuentes-Affäre.

Matschiner: Völliger Blödsinn. Ich kann ihnen da keine konkreten Zahlen nennen. Aber ich sage Ihnen: viel kleiner, weniger wirtschaftliches Interesse.

SZ: Obwohl jemand wie Kohl 60 000 Euro im Jahr für Doping ausgab?

Matschiner: Ja, die Sache in Wien kann man nicht vergleichen, meine ich.

SZ: In Wien sollen auch deutsche Wintersportler gewesen sein.

Matschiner: Auch dazu wird es etwas in meinem Buch geben. Aber ich glaube, man sollte sich bei dieser speziellen Frage nicht zu sehr auf etwas versteifen, was meines Erachtens eher in der Sackgasse landet. Ich glaube dieses Thema ist nicht so lohnenswert, wie angenommen wird.

SZ: Wie gehen Sie in Ihren Prozess?

Matschiner: Ohne Furcht, aber mit Respekt vor der Staatsgewalt, das ist klar. Ich weiß nicht, womit ich rechnen kann.

SZ: Aber Sie sehen sich wohl nicht als Opfer eines Systems, von dem Sie lebten?

Matschiner: Natürlich nicht, es war ja meine Entscheidung, da teilzunehmen.

SZ: Sie sind 34. Gab es nie Momente, in denen Sie innehielten in dem System, das sie heute kritisieren?

Matschiner: Ja, solche Momente gibt's.

SZ: Es gab ja früher schon Schlagzeilen um Sie, Athleten von Ihnen waren gedopt. Aber man macht einfach weiter?

Matschiner: Schlagzeilen gibt es immer. Da läuft man einfach weiter.

SZ: Schauen sie zurzeit die Tour?

Matschiner: Natürlich. Contador, Armstrong, die Schlecks, das sind ja wirklich tolle Sportler. Eigentlich ist es ja auch ein geiler Sport! Und wenn er sauber wäre, würde es sicher den gleichen Einlauf geben. Man wär' halt fünf statt vier Stunden unterwegs, aber das wäre doch egal. Problematisch wäre es in der Leichtathletik. Einen Olympiasieger, der über die 100 Meter eine 10,0 läuft, was sauber sicher geht, oder 9,95 Sekunden - das wäre ja für den Zuschauer sicher fad.

SZ: Heißt das: Glaubt bitte nicht, was Ihr seht?

Matschiner: Was die Leute sehen, ist doch Realität! Und die Begeisterung ist ja ungebrochen, das sieht man ja auch bei der Tour de France. Der Zuschauer muss sich nur überlegen: Will er eine geile Show - oder will er sauberen Sport?

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Quelle:
SZ vom 24.07.2009
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