Süddeutsche Zeitung

Doping im Radsport:Das Geständnis

Der frühere Radprofi Floyd Landis gibt Doping zu und beschuldigt auch Lance Armstrong massiv. Er bezichtigt seinen früheren Kapitän äußerst zwielichtiger Methoden.

Andreas Burkert

Am Mittwochabend hatte sich Lance Armstrong mit Belanglosigkeiten abgemeldet bei denjenigen, die mit ihm Kontakt halten über einen Internet-Nachrichtendienst, diesmal aus Visalia, einer Stadt im Tulare County in Kalifornien. Die Tour of California hat dort Station gemacht, nach der vierten Etappe liegt Armstrong auf Platz 18. Armstrong schwieg zu den Neuigkeiten, die ihn betrafen. War er einfach sprachlos?

Vor der fünften Etappe werde er sich äußern, teilte sein neues Team RadioShack am frühen Donnerstag auf Anfrage mit. Vor dem Start tat er das dann wirklich, und nicht ganz unerwartet stellte er seinen früheren Teamkollegen und Freund Floyd Landis, 34, als Lügner dar.

"Ich verschwende nicht meine Zeit"

"Diese Anschuldigungen sind es nicht wert, kommentiert zu werden", äußerte Lance Armstrong, 38, aus Austin in Texas vor dem Rennen. "Ich verschwende nicht meine Zeit."

Dieser Floyd Landis allerdings versichert, er wolle endlich Schluss machen mit dem großen Schwindel, "reinen Tisch". Deswegen hat ja er Ende April in E-Mails an den US-Verband, an Anti-Doping-Behörden, den Weltverband UCI und andere Institutionen ein Dopinggeständnis niedergeschrieben - und zugleich Armstrong schwer belastet.

Sofern es sich wirklich um seine Mails handelt, woran das Wall Street Journal keinen Zweifel lässt, werden sie die Glaubwürdigkeit des Radsports und von Armstrong weiter massiv erschüttern.

In Landis' mutmaßlichen E-Mails, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen, räumt er nicht nur jahrelanges Doping ein. Er beschreibt zudem Armstrong, den siebenmaligen Sieger der Tour de France, und dessen Betreuer und Weggefährten Johan Bruyneel als seine Lehrmeister für den Betrug. Der Amerikaner beschuldigt sogar die UCI, 2002 einen Dopingfall unter den Tisch fallen gelassen zu haben: Armstrong habe ihm erzählt, einen Monat vor der Tour "positiv auf Epo getestet" worden zu sein, worauf er mit Bruyneel "ins UCI-Hauptquartier geflogen" sei - um gegen "ein finanzielles Agreement" den Test verschwinden zu lassen. Der UCI stand damals der zwielichtige Sportfunktionär Hein Verbruggen vor, ein Niederländer, der viele Jahre führendes IOC-Mitglied gewesen ist und als UCI-Ehrenpräsident weiterhin als Strippenzieher auch des Radsports gilt.

Die UCI hat via Erklärung knapp "bedauert", dass Landis "Personen öffentlich belastet, ohne dass relevante US-Institutionen Zeit für Recherchen gehabt hätten. Zum mutmaßlichen Vorwurf gegen die UCI äußerte sich auch Präsident Pat McQuaid nicht, er sagte: "Er hat so oft gelogen, sogar ein Buch geschrieben, wie er sauber die Tour gewonnen hat."

Blutbeutel im Kühlschrank

Landis hatte 2006 für Phonak die Tour gewonnen, war jedoch des Testosteron-Dopings überführt worden. In Prozessen, die zwei Millionen Dollar kosteten und ihn zu einem zornigen, mittellosen Mann machten, beteuerte er, nie gedopt zu haben. Jetzt schreibt er davon, seit 2002 manipuliert zu haben: mit Epo, Wachstumshormonen, Testosteron und auch mit Blutransfusionen. Angefangen habe alles im Juni 2002, als ihm Bruyneel während der Dauphiné "erklärt hat, wie man Testosteron-Pflaster benutzt". Man habe ihm damals eine Box mit den Pflastern ausgehändigt, Armstrongs (damalige) Ehefrau habe den Vorgang - wie auch andere Dinge - mitbekommen. Armstrongs damaliger Betreuer, der verurteilte Dopingarzt Michele Ferarri, habe ihm dann eine Woche später Blut abgenommen, das für die Tour gedacht gewesen sei. Mit Armstrong habe er ohnehin "lange Diskussionen darüber geführt auf Trainingsfahrten, während denen er mir auch die Entwicklung bei den Tests auf Epo erklärte und dass diese Transfusionen nun nötig waren wegen der Belästigung durch den neuen Test".

Landis berichtet weiter über Armstrongs Appartement in Gerona, Spanien, wo 2003 Blutbeutel gelagert gewesen seien: "in einem kleinen Kühlschrank im Klo, mit dem Blut von Mr. Armstrong und Hincapie". Armstrong habe ihn zudem angehalten, während seiner Abwesenheit darauf zu achten, dass "mit dem Kühlschrank nichts passiert".

Bei bei der Tour 2003 habe er sogar "persönlich mitbekommen, wie George Hincapie, Armstrong, Chechu Rubieria" - wie auch er selbst - Bluttransfusionen zugeführt bekommen hätten.

Vor allem frühere Profis vom Bruyneel-Team US Postal - darunter auch David Zabriskie, der gerade in Kalifornien führt - beschuldigt Landsmann Landis. 2005 habe er zudem Allen Lim angestellt - der Sportphysiologe, zuletzt bei Zabriskies Garmin-Team angestellt, fährt für RadioShack. Lim "half Levi Leipheimer und mir, Transfusionen vorzubereiten", sagt Landis. Leipheimer, ein weiterer Kumpel Armstrongs, ist nun ebenfalls bei RadioShack. Doch auch bei Phonak hätten die Verantwortlichen von Doping gewusst, behauptet Landis - auch Andy Rihs, der Schweizer Geschäftsmann und Manager, der das Team nach zahlreichen Skandalen zumachte - angeblich angewidert vom Serienbetrug. Inzwischen führt er jedoch die US-Equipe BMC (mit Hincapie), im Juli debütiert sie bei der Tour.

Landis schreibt, er habe Rihs erklärt, "was in der Vergangenheit gemacht wurde". Rihs habe darauf gerne die Kosten des Dopingprogramms übernommen.

Wie die UCI, Hincapie und Lim hat auch Rihs, 69, alles empört zurückgewiesen. Der NZZ sagte er: "Es ist schade, dass er das macht, denn es bringt niemandem etwas - ihm am allerwenigsten."

Ein Anruf bei der Mutter

Landis wird nicht mal widersprechen. Doch er ist ja sowieso schon pleite, kein großes Team nimmt ihn, und in Frankreich existiert gar ein Haftbefehl gegen ihn, weil ein Trainer in seinem Auftrag den Computer jenes Pariser Labors gehackt haben soll, das ihn 2006 überführte. Landis schreibt, er habe zwar "viele weitere Details in Tagebüchern" stehen, die er zu einer "verständlichen Story" verarbeiten wolle. Andererseits räumt er ein, viele Vorwürfe könne er nur mit seinem Wort belegen. Es stünde dann vermutlich Aussage gegen die Aussage.

Er wolle sein "Gewissen bereinigen und nicht mehr Teil des Problems sein", das hat Floyd Landis bei ESPN.com versichert. Und mit Blick auf die Verjährungsfrist für Dopingvergehen von acht Jahren: "Wenn ich jetzt nichts sage, ist es sinnlos, überhaupt jemals etwas zu sagen." Den schwersten Anruf habe er aber schon hinter sich gebracht: Den bei der Mutter in Pennsylvania, der er erstmals die Wahrheit sagte. Andreas Burkert

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SZ vom 21.05.2010/dmo
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