Doping im Radsport:Angst vor der Causa Armstrong

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Die amerikanische Anti-Doping-Agentur hat Lance Armstrongs sieben Titel bei der Tour de France aberkannt. Ignoriert der Radweltverband UCI dieses Urteil, käme der Fall vor den Sportgerichtshof Cas. Ein Prozess würde den Verband jedoch in seinen Grundfesten erschüttern: Es geht um Armstrongs Bande zum früheren UCI-Chef Verbruggen und dubiose Spenden des US-Amerikaners.

Thomas Kistner

Die Lage ist völlig verfahren für Lance Armstrong, an dessen Pharma-Lüge kein vernünftiger Zweifel mehr herrscht im globalen Sportbetrieb. Bös' in der Klemme steckt auch der Radweltverband UCI, dessen Funktionäre jeden Tag das Beweiskonvolut der US-Anti-Doping-Agentur Usada erwarten, das zur Aberkennung von Armstrongs sieben Tour-de-France-Titeln führte.

Lance Armstrong bei einer Doping-Kontrolle während der Tour de France 2002. (Foto: dpa)

Aber auch für den weltweiten Anti-Doping-Kampf ist diese Phase heikel. Denn der Umgang mit der Causa entscheidet über Sinn und Substanz des frommen Ringens. UCI-Chef Pat McQuaid hat ja schon verraten, welche Lösung sein weitflächig verseuchter Sport anstrebt: Armstrongs Titelsammlung soll nicht umverteilt, Generalamnestie für geständige Doper ausgelobt, die ganze Armstrong-Zeit ausgeblendet und zur "schwarzen Ära" erklärt werden. Und McQuaid hat es eilig. Schon nächste Woche bei der WM in Valkenburg soll der Deal besiegelt werden: "Ich freue mich, dass wir das wohl umsetzen können", sagte McQuaid der AP.

Das wäre die Ideallösung für die UCI. Sobald das Usada-Material vorliegt, bleiben ihr nur 21 Tage Bedenkzeit, ob sie die Sanktionen (Sperre lebenslang, rückwirkend bis 1998) umsetzt. Tut sie es, sind Armstrongs Titel futsch. Nicht nur die US-Versicherungsagentur SCA wird eine Millionenklage erheben; das hat sie Armstrongs Anwälten schon avisiert. Ignoriert die UCI aber das Usada-Urteil, bringen die Anti-Doping-Agenturen den Fall vor den Sportgerichtshof Cas. Was dort alles aufgerollt würde, lässt sich schon heute erahnen.

Zum einen Armstrongs in Teilen publiziertes Doping-Regiment, das weitere Klagen auslösen könnte. Klagen, die er kaum riskieren kann. Sein Kernproblem sind ja nicht die Tour-Titel. Es geht um seine Krebsstiftung Livestrong, die wohl erst dann in die Debatte geriete, wenn der Boss selbst Doping zugeben würde. Das wird er niemals tun - es sei denn, eine Grand Jury zwänge ihn dazu. Unter Eid lügen, ist in den USA viel riskanter als hierzulande; die gedopte US-Olympiasiegerin Marion Jones hat der Versuch hinter Gitter gebracht.

Aber auch die UCI kann kein Interesse an einem Prozess haben. Würde dort nicht Armstrongs Bande zu Hein Verbruggen auffliegen? Verbruggen, UCI-Chef bis 2005, galt lange weiter als Lenker hinter dem Radcoach McQuaid, den er ins Amt hievte. Verbruggen adelte Freund Lance gern als "lebenden Beweis für einen Fahrer, der nicht betrügt", als einen, der "kein einziges Medikament nimmt, aber trotzdem als Doper verdächtigt wird". Noch 2011 warf sich Verbruggen wilder als jeder PR-Profi in die Bresche: "Armstrong hat nie gedopt. Niemals, niemals, niemals!" Spätestens jetzt gehört dieser halbreligiöse Glaube des Topfunktionärs untersucht. Zumal Verbruggen heute SportAccord leitet, den Dachverband der Sportfachverbände. Auch ist er IOC-Ehrenmitglied - und hinter den Kulissen der China-Tour aktiv. Diesem Projekt schadet das Theater ähnlich wie der Tour de France. Was sagen die Sponsoren zur Farce um den größten Radler von allen?

Anrüchige Geschäfte und Kontakte weisen ins finstere Herz dieser Radsportwelt. Was ist mit Armstrongs Spende an die UCI, nach einer umstrittenen Probe von 2001? Wofür genau flossen insgesamt 125 000 Euro des Texaners? Das wurde nie überzeugend dargelegt. Auch dieses bizarre Spendentum begann unter Verbruggen. Sein Thronerbe McQuaid verhedderte sich öfter beim Versuch, die Geldgaben des chronisch verdächtigen Tour-Rekordsiegers an jenes Organ zu erklären, das ihn eigentlich beaufsichtigen sollte. Als "Inkassoschutz" gilt das Geld in der Radszene, wo Greg LeMond, Ex-Tour-Sieger, befand: "Schweigen, zahlen - es ist fast wie bei der Mafia."

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Auch die UCI pflegt gern ein sehr beredtes Schweigen. So wirkt McQuaids jäher Vorstoß für Amnestie, leere Tour-Siegerplätze und eine "schwarze Ära", die nicht akribisch aufgearbeitet, sondern radikal ausblendet wird, als Taschenspielertrick. Ein Kultur-Wechsel per Befreiungsschlag? Das kann nicht funktionieren. Es braucht ein Revirement an der Verbandsspitze.

Gewiss wäre es amüsant, gingen Armstrongs Titel an andere belastete Fahrer über. An Ullrich, Zülle, Beloki, Klöden, Basso. Dennoch: Tut die UCI das nicht, führt sie ihr eigenes Credo ad absurdum: Es darf keine Vorverurteilung geben. Rücken also die Zweitplatzierten nicht nach, wie es bisher stets der Fall war, von Landis bis Contador, wäre die Unschuldsvermutung dahin. Dann herrscht stattdessen der Generalverdacht. Und der ruft zwingend die Wada auf den Plan. Mit heiklen Fragen an die UCI: Warum lasst ihr sieben Tour-Titel offen? Gibt es gegen die Nachrücker Indizien, Beweise - und welche? So offenbart, Zug um Zug abgeschichtet, McQuaids Vorstoß die elende Lage der UCI: Sie steht in der Ecke.

McQuaids flotte Problemlösung kann das Anti-Doping-System niemals gutheißen. Überdies gehört Armstrongs maßgebliche Erklärung von August berücksichtigt. Dort sagt er nirgendwo klar, nicht gedopt zu haben. Er betont vielmehr, er sei zigmal getestet worden, habe stets nach den Regeln gespielt und sei nie überführt worden gemäß dieser Regeln. Um Doping geht es da nicht, sondern um Proben. Um positive und negative. Er klingt wie ein Bankräuber, der jammert, es sei unfair, dass ihn die Polizei schnappte, weil sein Fluchtauto nur von einem Falschparker gestoppt wurde. "Dass Athleten ohne A- und B-Probe verurteilt werden", wehklagt der Held, "pervertiert das System!" Übersetzungsvorschlag: Ich dachte doch immer, wir müssen nur die Laboranten täuschen.

Nun sind Armstrongs Heerscharen ausgeschwärmt. Letztlich steht Livestrong auf dem Spiel, die Stiftung, über deren tatsächliche Zuwendung an die Krebsforschung es schon irritierende Berichte gab. Bundesanwälte und Senatoren mit enger Bindung an Kaliforniens Rad- oder Fitness-Szene machen gegen die Usada mobil. Livestrong sandte gar einen Lobbyisten nach Washington, um die Usada bei Abgeordneten anzuschwärzen, berichtete das Wall Street Journal. Die Stiftung nannte den Bericht "inakkurat". Die PR-Maschine läuft.

Und was tun Lance' alte Gefährten, von Clinton über Bush bis Sarkozy? Im Netz, wo Prädikate von "Pharmstrong" bis "Lie-Strong" kursieren, klammern sich eher die schlichteren Gemüter an die dürre Aussagekraft von Dopingtests. Und ignorieren tapfer, dass auch sechs Positivproben Armstrongs vorliegen. Die Zeit der paar schwarzen Schafe, die Verbruggen und McQuaid einst beklagten, ist vorbei. Jetzt würde am liebsten die ganze Herde abhauen, in einer schwarzen Ära.

© SZ vom 15.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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