Doping im Gewichtheben:Stark mit Nebenwirkungen

-

Wiederholungstäter: Dem Polen Marcin Dolega (hier bei Olympia 2012 in London) droht eine lebenslange Sperre.

(Foto: Yuri Cortez/AFP)

In Kasachstan beginnt die Weltmeisterschaft der Gewichtheber, aber 130 von ihnen sind derzeit wegen Dopings gesperrt. Nur langsam ändert der Weltverband seine laxe Haltung - vor allem durch Druck eines Tierarztes aus Deutschland.

Von Lisa Sonnabend

Als Gerd Bonk vor zwei Wochen mit nur 63 Jahren starb, waren die alten Bilder noch mal zu sehen: wie der Gewichtheber als erster Mensch der Welt mehr als 250 Kilo stieß, die Augen aufgerissen. Wie er 1976 bei den Olympischen Spielen in Montreal Zweiter wurde, sein mächtiger Körper steckte in einem dunkelblauen DDR-Trainingsanzug. Was die Bilder nicht zeigten: Bonk war vollgepumpt mit Steroiden und Anabolika. So voll, dass er sein Leben lang an den Folgeschäden litt und schließlich daran starb. Die Bilder wirken wie aus einer längst vergangenen Zeit. Aber sind sie es?

Vor wenigen Tagen wurde der Gewichtheber Marcin Dolega, dreimaliger Weltmeister, positiv auf das anabole Steroid Norandrosteron getestet. Vor zehn Jahren war der Pole schon einmal erwischt worden, nun droht ihm eine lebenslange Sperre. Die Weltmeisterschaften, die am Wochenende in Almaty in Kasachstan beginnen, finden ohne Dolega statt. Und ohne zahlreiche weitere Gewichtheber.

Herkunft der derzeit gesperrten Dopingsünder

Aserbaidschan: 18

Kasachstan: 17

Armenien: 11

Weißrussland: 6

Rumänien: 5

Noch immer hat die Sportart ein massives Dopingproblem. Das zeigt auch ein Blick auf die Liste des Weltverbandes IWF, die die gesperrten Athleten aufführt. In den vergangenen zwölf Jahren flogen mehr als 550 Gewichtheber auf. In ihren Körpern fanden sich meist anabole Steroide wie Stanozolol, Dehydrochlormethyltestosteron, Metandienon oder Oxandrolon. Die Muskeln wachsen rasant, die möglichen Nebenwirkungen sind beträchtlich: Akne, Haarausfall, Organschäden, erhöhte Aggressivität, Depression, Unfruchtbarkeit, Herzinfarkt. Derzeit dürfen 130 Athleten nicht bei Wettkämpfen antreten. 18 von ihnen stammen aus Aserbaidschan, 17 aus Kasachstan, elf aus Armenien.

Den Anti-Doping-Experten Fritz Sörgel wundert der massive Dopingmissbrauch im Gewichtheben nicht. "Der Zusammenhang von Einnahme der Anabolika und ihrer Wirksamkeit ist so direkt wie in kaum einer anderen Sportart", sagt Sörgel. "Deswegen ist das Doping hier sehr viel schwieriger rauszubekommen."

Die am häufigsten gefundenen Substanzen

Stanozolol: 66

Dehydrochlormethyltestosteron: 35

Methyltestosteron: 7

Oxandrolon: 7

Nandrolon: 7

Metandienon: 5

Methenolon: 4

Doch auch wenn die vielen Fälle anderes vermuten lassen: Es hat sich manches verbessert im Gewichtheben. Verantwortlich dafür ist ein Tierarzt aus dem bayerischen Altusried. Christian Baumgartner fordert seit Jahren, den Kampf gegen Doping zu verstärken, er piesackte den umstrittenen Weltverbandspräsidenten Tamas Ajan mit offenen Briefen, forderte seinen Rücktritt. Der Ungar Ajan ist noch immer im Amt, aber auch Baumgartner hat mittlerweile mehr Einfluss. Ende 2012 wurde er zum Präsidenten des Bundesverbandes Deutscher Gewichtheber gewählt, ein halbes Jahr später zudem in die Exekutive des Weltverbandes. "Da habe ich wohl einen Nerv getroffen", sagt der 55-Jährige.

Russische Heber wurden früher fast nie getestet

Erste Erfolge hat er bereits erzielt. Bis vor einem Jahr legte der Weltverband IWF selbst fest, welche Sportler kontrolliert werden. Die Folge: Obwohl die russischen Gewichtheber mehrere Medaillen bei Weltmeisterschaften holten, wurde 2011 nur ein einziger von ihnen getestet, 2012 überhaupt keiner. Ajans Verband bestimmte dies so. Mittlerweile gibt es eine wenigstens formal unabhängige Anti-Doping-Kommission im Weltverband, die die Kontrollen transparenter macht. Auch russische Athleten müssen nun zum Dopingtest. Dass es immer noch so viele positive Fälle gibt, könnte also schlicht ein Indiz dafür sein, dass nun besser kontrolliert wird.

Zufrieden ist Baumgartner mit den Anti-Doping-Bemühungen allerdings noch immer nicht. "Solange es Raum für Spekulationen gibt, ist es nicht gut für eine Sportart", sagt er. Derzeit engagiert sich Baumgartner im Weltverband dafür, dass Athleten ihren Trainer und Arzt benennen müssen, damit diese leichter bestraft werden können. Schon beim Treffen in Almaty könnte die Initiative durchgesetzt werden.

Anabolika, die nicht nachweisbar sind

Auch Anti-Doping-Experte Sörgel erkennt an, dass sich etwas getan hat in der Gewichtheber-Szene: "Sie ziehen nun mit." Ein Anfang, mehr nicht. Der Pharmakologe aus Nürnberg rät dazu, im Kampf gegen den Missbrauch auch Methoden der Kriminalistik anzuwenden. "Detektive sollten bei Wettkämpfen kontrollieren, mit wem die Sportler Kontakt haben, was sie und ihre Helfer mit sich führen", sagt Sörgel und warnt: "Längst gibt es Anabolika, die von kriminellen Chemikern hergestellt werden und die zumindest derzeit nicht nachweisbar sind." Mit aufspürbaren Steroiden wie Stanozolol würden sich nur Athleten aus denjenigen Nationen erwischen lassen, die sich keine anderen Substanzen leisten können, so Sörgel.

Wird im Gewichtheben womöglich weiterhin gedopt wie damals, als Gerd Bonk vollgepumpt zu Wettkämpfen antrat, staatlich organisiert vom DDR-Sportsystem, und dann ein Leben lang an den Folgen des systematischen Dopingmissbrauchs litt? Sörgel will es nicht ausschließen.

Wirkung der Dopingmittel

Dehydrochlormethyltestosteron: Das Anabolikum wurde in der DDR entwickelt und staatlich organisiert eingesetzt - oft ohne Wissen der Athleten. Es bewirkt ein schnelles Wachsen der Muskeln, kann zu Leberschäden, Bluthochdruck und erhöhter Aggressivität führen. Frauen können unfruchtbar werden.

Methyltestosteron: Das anabole Stereoid ist eines der stärksten synthetischen Testosterone und kann in Tablettenform eingenommen werden. Schon nach wenigen Wochen nimmt die Muskelmasse extrem zu. Es kann zu Akne, Haarausfall und Organschäden führen, viele Konsumenten bekommen Depressionen.

Stanozolol: Das anabole Steroid stärkt den Muskelaufbau und damit die Leistungsfähigkeit. Es erhöht das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen, es kann zum Herzinfarkt kommen, zu Leberschäden und Langzeitschäden an Gelenken.

Metandienon, Methenolon, Nandrolon (Norandrosterone), Oxandrolon: ebenso anabole Steroide

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: