Süddeutsche Zeitung

Doping im Gewichtheben:Doping im Gewichtheben: "Die machen einfach immer weiter"

Der Gewichtheber-Bundestrainer Oliver Caruso verzweifelt an seinem Sport und fordert im SZ-Interview, dass Weltverband und IOC "jetzt mal klare Kante zeigen müssen."

Interview von René Hofmann, Rio de Janeiro

SZ: Herr Caruso, mit welchen Gefühlen verlassen Sie diese Olympischen Spiele?

Oliver Caruso: Ich bin maßlos enttäuscht.

Warum?

Nicht wegen meiner Mannschaft. Wir hatten vier Top-Ten-Platzierungen, zwei Athleten haben ihre persönlichen Rekorde verbessert. In der Lage, in der wir sind, bin ich damit nicht unzufrieden.

Worüber sind Sie dann so enttäuscht?

Darüber, dass sich in unserem schönen Sport so gar nichts geändert hat. Dabei hatte es vor den Spielen doch so viele positive Doping-Kontrollen gegeben.

Sie meinen unter anderem die 31 Betrugsfälle, die bei den Nachtests der Proben gefunden wurden, die bei den Spielen 2008 in Peking und 2012 in London genommen wurden.

Bevor ich nach Rio aufbrach, war ich der festen Überzeugung: Das schreckt ab. Ich habe geglaubt, dass die Leute jetzt vernünftig werden, dass sie verstanden haben, um was es geht, und sich verändern. Aber da wurde ich eines Anderen belehrt.

Das Gewichtheben stellt den ersten Medaillengewinner, der bei diesen Spielen des Dopings überführt wurde. In einer Probe des Kirgisen Issat Artykow, der in der Klasse bis 69 Kilogramm Bronze gewonnen hat, wurde Strychnin gefunden. Das kann als Stimulanz-Mittel wirken, wird im Allgemeinen aber in Rattengift eingesetzt.

Dazu fällt mir nicht mehr viel ein. Ich hatte schon vier Wochen vor Beginn der Spiele bewusst die Öffentlichkeit gesucht und darauf hingewiesen, dass hier Nationen am Start sind, denen drei Dopingfälle und mehr nachgewiesen wurden, die vom Gewichtheber-Weltverband IWF gesperrt wurden, die das Internationale Olympische Komitee aber starten lässt, weil die Verfahren formal noch nicht abgeschlossen sind: Kasachstan und Weißrussland.

Der Kasache Nijat Rachimow, der wegen Dopings schon mal zwei Jahre gesperrt war, verbesserte einen 15 Jahre alten Weltrekord. Als er mit Gold dekoriert und vom Cheftrainer Alexey Ni gefeiert wurde, unter dessen Ägide es in dem Land mehr als 20 Dopingfälle gab, verließen Sie demonstrativ die Halle. War das eine geplante Aktion?

Nein. Ich war einfach nur perplex. Ich hatte auch nicht vor, mich öffentlich zu äußern. Das kam erst, als mir bewusst wurde: Das kann ja nicht sein, die machen einfach immer weiter.

Russland und Bulgarien durften wegen systematischen Dopings dieses Mal beim Gewichtheben nicht mitmachen. Sie forderten außerdem den Ausschluss von Kasachstan, Weißrussland, Usbekistan, Armenien, Moldawien, Rumänien und der Ukraine.

Wir reden hier von Nationen, die sich einfach nicht an die Regeln halten. Unser Weltverband und das IOC müssten mit denen knallhart ins Gericht gehen und mehr Härte zeigen. Sie müssen den ehrlichen Nationen helfen, mit sauberen Leistungen Medaillen gewinnen zu können.

Was fordern Sie konkret?

Ein unabhängiges Kontrollsystem, das in allen Ländern auch in den Trainings- lagern durchgezogen wird. Die Fälle, die bisher auffliegen, werden größtenteils bei den Wettkämpfen erwischt. Im Training können die Sportler in vielen Ländern immer noch machen, was sie wollen.

Wie viele Gegner gibt es denn, denen Sie überhaupt noch trauen?

Den kompletten Westeuropäern traue ich. Auffällig sind vor allem die Osteuropäer. In China gab es bisher nur ein paar Dopingfälle, aber dort weiß man nicht, wie viele Kontrollen es überhaupt gibt. Auf der Liste der wegen Dopings sanktionierten Sportler finden sich zudem Athleten aus Nordkorea oder aus Iran.

Was antworten Sie denjenigen, die sagen: Wenn in dem Sport so viele betrügen, wieso sollten wir da den deutschen Gewichthebern trauen?

Sie können uns trauen, weil es bei uns eben nicht so zugeht. Wir können auch in den Trainingsphasen jederzeit unangekündigt getestet werden. Die Arbeit der deutschen Nationalen Anti-Doping-Agentur ist für mich vorbildlich. So eine Institution, die wirklich hart rangeht, brauchen wir auch international.

Sie treffen viele Sportler, auch junge Sportler - was sagen Sie denen? Wieso sollten sie trotz der offenkundigen Misere zum Gewichtheben kommen?

Sie sollen kommen, weil wir das toll machen hier in Deutschland, weil wir es richtig machen. Wir bieten ein gutes Grundlagentraining, wir bilden die Sportler ordentlich aus. Und sie sollen kommen, weil es eine super Sportart ist: Gewichtheben ist gesund, Gewichtheben ist schön. Das dürfen wir uns von den betrügerischen Nationen und Sportlern nicht kaputt machen lassen. Die IWF und das IOC müssen jetzt einmal klare Kante zeigen. Bisher ist da einfach zu wenig passiert. Es ist so wenig getan worden, dass sich der Eindruck aufdrängt, Doping wurde geduldet.

Wie kommen solche Forderungen in der Szene an?

Es haben sich schon viele bei mir gemeldet, die mir zu meinem Mut gratuliert und gesagt haben: "Respekt, endlich spricht es mal einer aus!" Aus diesem Grund bin ich nicht nur enttäuscht. Ich bin auch froh, dass ich den Mund aufgemacht habe.

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Quelle:
SZ vom 20.08.2016/schma
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