Doping im Gewichtheben:Absurder geht's nicht

Gewichtheben Symbolbild Doping

IOC und Wada hatten viele Jahre Gelegenheit zur Aufklärung, Kernsachverhalte waren ihnen offenkundig bekannt.

(Foto: imago sportfotodienst)

Die Doping-Vorwürfe im Gewichtheben offenbaren ein Kernproblem: Unter Funktionären wäscht eine Hand die andere. Die Autonomie des Sports gehört dort beschnitten, wo er sie missbrauchen kann.

Kommentar von Thomas Kistner

Im Herbst 2015 schickte Tamas Ajan eine bittere Beschwerde an die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada). Es ging um die anstehende Gewichtheber-WM in Houston, den Ungarn plagten Albträume: Meist hatte er die Wettkämpfe seines Verbandes vertrauensvoll den Dopingtestern der Agentur HUNADO aus seiner ungarischen Heimat überlassen, jetzt aber, in den USA, erklärte sich die dortige, nationale Anti-Doping-Agentur Usada für zuständig. Ajan drängte die Wada, in Houston unbedingt die "im Gewichtheben erfahrenen Kontrolleure der HUNADO" für die Tests einzusetzen. Aber gegen die Usada ist manchmal selbst die Wada machtlos.

Zum Glück für den sauberen Sport.

Usada-Chef Travis Tygart hat Landsmann Lance Armstrong überführt, gerade bringt seine Agentur ein anderes Nationalheiligtum ins Wanken: Sport-Weltmarktführer Nike stellte jüngst sein anrüchiges Laufprojekt "Nike Oregon Project" ein. Dumm nur aus Sicht von Ajan, Wada und Co.: Dieser Tygart stellt nicht nur US-Amerikanern, sondern auch Betrügern anderer Nationalität nach. Weil zu seinen Mitteln auch Razzien in Unterkünften zählen, wurden Ajans Albträume bei der Heber-WM 2015 wahr: Gleich 24 Athleten gingen den US-Fahndern ins Netz.

Ajans Vorahnung war richtig. Und seinen alten Freunden bei der HUNADO war nie nur annähernd so ein Coup gelungen. Was das bedeuten mag?

Nun, es bedeutet, dass auch ein anderer Vorwurf, der sich aus dem ARD-Material ergibt, zutreffen dürfte: Dass die Ungarn zuweilen Geld dafür kassiert haben könnten, dass sie bei Tests im Sport des ungarischen Topfunktionärs Ajan nicht so genau hinschauten.

Diese und andere Ungeheuerlichkeiten sindnun zu untersuchen. Aber von wem? Die Frage offenbart das Kernproblem im autonomen, daher weitreichend korruptionsverseuchten Weltsport. Auf der einen Seite stehen Dachgremien wie das IOC und die Wada, die sich als Ermittler aufspielen - was logisch ist, aber auch ein Witz, weil sie ja selbst bis zu den Knien im Affärensumpf waten. Und weil sie viele Jahre Gelegenheit zur Aufklärung hatten, Kernsachverhalte waren ihnen offenkundig bekannt: von Dopingstatistiken bis zu fragwürdigen Kontenbewegungen. Aber auf Korruption wird nur reagiert, wenn sie auffliegt. Beispiel: Russlands Staatsdoping oder das Oregon-Nike-Projekt.

Die Schweiz gerät in die Kritik

In dieser verschworenen Funktionärsgilde wäscht eine Hand die andere. Dazu passt, wie der Ringe-Clan mit dem massiven Verdacht umgeht, IOC-Ehrenmann Ajan habe Millionen aus olympischen Zuwendungen beiseite geschafft. Dazu, erzählt es ernsthaft, habe der Sportgerichtshof Cas entschieden, es dürfe nicht in Konten anderer Verbände eingreifen. Absurder geht's nicht. Natürlich kann das IOC den Verbleib seiner Mittel mühelos aufklären, es kann jeden Druck auf die am Spiele-Tropf hängenden Verbände ausüben - und erst recht auf windige Funktionäre.

Aber halt, gibt es nicht auch noch staatliche Instanzen? Richtig. Zuständig ist meist erst einmal die Schweiz. Doch dieses Land hat gezielt die Weltverbände mit Steuervorteilen angelockt, seither gerät es wegen seines täterschonenden Umgangs mit Sportermittlungen immer tiefer in die internationale Kritik. Die Schweizer Justiz ist auf gutem Wege, Teil des Systems Weltsport zu werden.

Das zeigt, dass dem Sport die Autonomie dort beschnitten werden muss, wo er sie missbrauchen kann. Und dass er der Alleinzuständigkeit Schweizer Behörden entzogen gehört. Das ist möglich, die US-Justiz hat es ja in ihren Prozessen gegen Fifa-Funktionäre vorgemacht. Und andere Länder wie Frankreich arbeiten daran.

Und Doping? Da bereiten die USA ein an ihr Anti-Mafia-Gesetz angelehntes Dekret vor, das globale Ermittlungen ermöglicht - es zielt auf die Hinterleute, auf Ärzte, Funktionäre. Dopende Sportler sollen nur noch Zeugen sein. Wada und IOC bekämpfen die Entwicklung, bezahlen dafür sogar Lobbyisten in Washington. Zum Unmut echter Betrugsbekämpfer wie Tygart, der mit seiner Usada zum Feindbild geworden ist. Auch das sagt viel. Doch mit jedem Funktionär, der wie jetzt Tamas Ajan im Blendwerk des Sports enttarnt wird, wird der Umbruch unvermeidlich.

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