Süddeutsche Zeitung

Doping im Fußball:Zu viel Testosteron im Spiel

  • Eine von der Uefa in Auftrag gegebene Langzeitstudie legt einen größeren Missbrauch von anabolen Steroiden nahe.
  • Die Studie wirft Fragen bezüglich Dopings und der Untersuchungsmethoden auf.
  • Eine Reaktion auf die Studie gibt es seitens des internationalen Fußballs noch nicht.

Von Thomas Kistner

Neues von der Pharma-Front: Eine Langzeitstudie, in Auftrag gegeben vom europäischen Fußballverband Uefa, legt einen weit intensiveren Missbrauch anaboler Steroide im Spitzenfußball nahe als bisher offiziell bekannt. Wissenschaftler aus zwölf Anti-Doping-Laboren ermittelten in bemerkenswerten 7,7 Prozent von 4195 anonymisierten Urinproben aus den Jahren 2008 bis 2013 auffällige Testosteron-Werte, die auf Doping hinweisen und Folgeuntersuchungen nach sich ziehen müssten. Publiziert wurde die Studie von der ARD/WDR-Dopingredaktion.

Bisherigen Tests zufolge hätten nur 1,3 Prozent aller Dopingproben im Uefa-Bereich Auffälligkeiten gezeigt. Dass aber im Fußball besonders wenig verlässliche Werte kursieren, ist unter Experten kein Geheimnis. Die größte und reichste Sportart gestaltet ihr Kontrollsystem bis heute nicht wirklich unabhängig. Bei Großveranstaltungen wie der Fußball-WM, zuletzt in Brasilien 2014, hat die von anderen Sportarten akzeptierte Welt-Anti-Doping-Agentur nur Beobachterstatus. Und während die Wada Zaungast ist, wird das Testprozedere von Fifa-verlesenen Wissenschaftlern und Funktionären vollzogen.

Die Ergebnisse liefern Indizien

Die Proben der neuen Studie stammen von 879 Spitzenfußballern, die größtenteils in den großen europäischen Fußballwettbewerben spielten, vor allem in Champions- und Europa-League. Einen Nachweis für Doping liefern die Ergebnisse demnach nicht, wohl aber Indizien dafür, dass Steroide im europäischen Fußball weit verbreitet sind bzw. waren. Allerdings halten die Wissenschaftler fest, dass die Studie "Unsicherheitsfaktoren" bergen könne, etwa eine nicht ausreichende Standardisierung der Labore.

Das wirft die Frage auf, mit welcher Qualität Wada-akkreditierte Labore im Hinblick auf andere Sportarten arbeiten - in denen melden sie ja immer wieder Dopingbefunde. Gibt es unterschiedliche Gütestandards? Es sei "schwierig zu schlussfolgern, ob das Ganze biologisch zustande kommt oder durch externe Faktoren. Ich finde eine Quote von 7,7 Prozent etwas zu hoch gegriffen", sagt der Dopingexperte Perikles Simon.

7,7 Prozent - das wäre ungefähr ein Profi pro Team. Die Uefa betont, es sei "unmöglich, aus der einen Studie endgültige Schlüsse zu ziehen". Steroidforscher Julien Baker (University of West of Scotland) ist weniger zurückhaltend: "Wenn die Resultate korrekt sind, ist das sehr alarmierend. Es würde zeigen, dass in einigen der größten europäischen Wettbewerbe Steroidmissbrauch betrieben wird. Mir zeigen die Resultate, dass Fußball ein signifikantes Problem zu haben scheint." Im Kontext verglich Baker Fußball mit Radsport und Leichtathletik.

Auch der Nürnberger Pharmakologe Fritz Sörgel wundert sich - vor allem, warum die Autoren ihre eigenen Ergebnisse wegen möglicher methodischer Schwächen einschränken. Es sei doch "genügend Zeit in diesen sieben Jahren gewesen, Anfangsschwächen zu beseitigen", sagte der Doping-Experte der SZ. "Oder wollen sie und die Uefa sich ein Hintertürchen dahingehend freihalten, dass alles nicht so schlimm oder noch zu spekulativ sei?"

Sörgel hat kürzlich selbst für ein Buchprojekt eine Analyse mit dem Datenmaterial aus Publikationen durchgeführt, die aus dem gleichen Zeitraum stammen. Dabei war er zu der Auffassung gelangt, dass im Fußball "erheblicher Untersuchungsbedarf besteht". Daher kommt für ihn auch die neue Analyse wenig überraschend. Sörgel verweist sogar auf deren Stärken, auf den Umfang der Daten und die angewendeten statistischen Methoden - sie ziehen aus seiner Sicht "die wissenschaftliche Validität zumindest nicht in Zweifel".

Ergebnisse sollten Folgen haben

Sörgel hält fest, dass auch schon die Publikation der Ergebnisse der EM 2008 viel Brisanz berge, "nicht nur im Hinblick auf die Testosteron-Werte". Im Hinblick auf den langen Zeitrahmen, in dem offenbar nur fleißig Werte gesammelt wurden, erinnert Sörgel daran, dass es "irgendwann neben dem Forschungsbedarf auch die Pflicht gibt, aufgrund ständig wiederkehrender Ergebnisse ein Exempel zu statuieren".

Dass die Studie angeblich immer noch der wissenschaftlichen Überprüfung bedarf und damit Fragen zur Qualität der Dopingforschung generell aufwirft, ist das eine. Das andere ist, dass sie von der Branche keine Aufmerksamkeit erfahren hat und nur dank fachjournalistischer Neugierde ans Tageslicht befördert wurde. Aus dem Fußball gab es am Wochenende keine nennenswerten Stellungnahmen, nach bisherigen Erfahrungen zum Thema Doping im Gewerbe ist damit auch nicht zu rechnen.

Alarmierend sind die Werte auch unter dem Aspekt, dass im Fußball fast nur rituell, nach den Spielen, getestet wird. Es gibt fast keine "intelligenten" Zielkontrollen. Auf Wettkampftests aber, ist aus anderen Sportarten bekannt, können sich Athleten mühelos einstellen.

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SZ vom 21.09.2015/tbr
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