Süddeutsche Zeitung

Doping-Gerüchte:Noch kurz am Ammoniak schnüffeln

  • Der überraschende Erfolg der Sbornaja wird von weiten Teilen des internationalen Publikums mit viel Skepsis begleitet, und dafür gibt es auch viele Gründe.
  • In den vergangenen Monaten ist deutlich geworden, dass vom jahrelangen Staatsdopingsystem auch Fußballer profitierten. Zudem irritieren gerade auch Szenen auf dem Spielfeld.
  • Daneben begleiten das Team seit Turnierbeginn auch Debatten über die erstaunliche Laufleistung.

Von Johannes Aumüller, Moskau

Wladimir Granat stand zur Einwechslung bereit, mit Beginn der zweiten Hälfte sollte Russlands Abwehrspieler seinen verletzten Teamkollegen Jurij Schirkow ersetzen. Doch dann geschah etwas, was auf dem Fußballplatz eher selten zu sehen ist. Noch bevor Granat den Platz betrat, griff er nach einem Gegenstand und hielt ihn sich für kurze Zeit unter die Nase. Natürlich ist es absurd anzunehmen, dass ein russischer Spieler in aller Öffentlichkeit etwas Verbotenes tun würde. Aber dennoch ist es zugleich ein interessanter Vorgang, wenn sich ein einzuwechselnder Spieler noch kurz vor der Einwechslung einen Gegenstand unter die Nase hält.

Es habe sich dabei um in Ammoniak getränkte Watte gehandelt, sagt ein Sprecher des russischen Verbandes (RFS) der SZ, und diese Wattebällchen hätten sich in einem Gefäß für Vitamintabletten befunden, weil sie sich dort besser aufbewahren ließen. Und dann ergänzt der Sprecher: "Außerdem benutzen russische Fußballer Shampoo, wenn sie duschen, und sie trinken Wasser, wenn es heiß wird."

Nun sind Anwendungen mit Ammoniak nicht verboten, aber so gewöhnlich wie die Verwendung von Shampoo beim Duschen ist es wahrlich nicht. Die Nationale Anti-Doping-Agentur (Nada) schreibt, es solle "kurzfristig stimulierend und fokussierend wirken". Aber das Beispiel zeigt, wie sichtlich genervt die Verantwortlichen der russischen Mannschaft in diesen Tagen sind, sobald es Fragen gibt, die ihnen nicht passen. Der überraschende Erfolg der Sbornaja wird von weiten Teilen des internationalen Publikums mit viel Skepsis begleitet, und dafür gibt es auch viele Gründe. In den vergangenen Monaten ist ja deutlich geworden, dass vom jahrelangen Staatsdopingsystem auch Fußballer profitierten; unklar ist bisher nur, in welchem Ausmaß das geschah. Der Doping-Kronzeuge Grigorij Rodtschenkow und der für die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) tätige Sonderermittler Richard McLaren etwa berichteten beispielsweise, dass vor drei Jahren eine schmutzige Probe eines Spielers, der nun im vorläufigen WM-Kader stand, gegen eine saubere ausgetauscht worden sei.

Auch andere Aspekte lassen aufhorchen. So erzeugte kürzlich ein Interview Aufmerksamkeit, das eine russische Sportzeitung vor einem Jahr mit Dmitrij Tscheryschew geführt hatte. Das ist der Vater des russischen Offensivspielers Denis Tscheryschew, der in der Gruppenphase drei Tore erzielte und beim spanischen Erstligisten FC Villarreal unter Vertrag steht. Tscheryschew junior war in seiner Karriere schon oft verletzt, und als er im Vorjahr erneut ausfiel, "fingen sie aufgrund eines Missverständnisses unter den Ärzten an, ihm Wachstumshormon zu spritzen", wurde Tscheryschew senior zitiert - also eine normalerweise verbotene Substanz. Sein Sohn habe sich so bei dem spanischen Klub schneller erholen sollen.

16 Kilometer in einem Spiel

Dieser Satz verbreitete sich vor einem Jahr über viele russische Medien. Als er nun aber wieder für Diskussionen sorgte, erklärte Denis Tscheryschew, vielleicht habe der "Journalist meinen Vater falsch verstanden". Jedenfalls beteuerte er: "Ich habe nie verbotene Substanzen benutzt." Der russische Verband erklärte in einer Stellungnahme, Tscheryschew sei eine Injektion verpasst worden, aber nicht Wachstumshormon, sondern eine Eigenblut-Therapie namens PRP, die im Fußball weit verbreitet ist. Das sei von Tscheryschews Vater auch in dem Interview gesagt worden, nur in der Folge durch den Interviewer falsch wiedergegeben worden. Der Heilungsprozess habe nicht gegen die Anti-Doping-Regeln verstoßen.

Daneben begleiten die Sbornaja seit Turnierbeginn auch Debatten über die Laufleistungen. Auch am Sonntag rannte sie wieder deutlich mehr als der Gegner, fast 146 Kilometer versus 137 Kilometer - nach einem Spiel, in dem Spanien fast immer den Ball hatte, während sich Russland weit zurückzog und dem Ball hinterher rannte. Insbesondere Offensivspieler Alexander Golowin ragte heraus, fast 16 Kilometer lief er und zudem die meisten Sprints. Russlands Trainer Stanislaw Tschertschessow reagierte schon in der Gruppenphase etwas säuerlich, wenn es Fragen zu den Laufleistungen gab. Er verwies damals darauf, dass sein Team sich schon beim Confed Cup vor einem Jahr in einer guten Form befunden habe und dass es danach noch einmal Korrekturen im Training gegeben habe. Aber dass vor allem der innere Wille und die Motivation, vor heimischem Publikum zu spielen, seine Elf antreibe. Und manchmal kommt auch ein bisschen Ammoniak dazu.

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Quelle:
SZ vom 03.07.2018/ska
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