Doping:Für das IOC sind Doping-Whistleblower Nestbeschmutzer

Yulia Stepanova

Julia Stepanowa: Wird in Rio wegen der Enthüllungen wohl nicht starten dürfen

(Foto: Aleksander Chernykh/AP)

IOC-Chef Bach predigt eine harte Linie, ignoriert aber die Enthüller von Russlands Dopingsystem. Und das suspendierte Moskauer Labor darf schon wieder arbeiten.

Von Thomas Kistner

Wenn Witali Stepanow über Skype mit der Außenwelt kommuniziert, ist die Wand hinter ihm weiß und kahl. Irgendwo in Amerika lebt er mit Ehefrau Julia und Kind; in den letzten Monaten, sagt Witali, sei kein Umzug nötig gewesen. "Wir fühlen uns einigermaßen sicher", sagt der Whistleblower, der einst für die russische Anti-Doping-Agentur Rusada gearbeitet hatte und mit Enthüllungen zu einem offenbar staatlich orchestrierten Betrugssystem in der Heimat eine Lawine lostrat, die nun die gesamte olympische Welt überrollt. "Und wir haben einen neuen Teamkollegen", sagt er, in Anspielung auf Grigori Rodtschenkow.

Rodtschenkow, der langjährige Chef des Moskauer Dopinglabors, ist gleichfalls aus Russland in die USA geflüchtet und bereichert mit seiner Beichte, wie in Sotschi 2014 mit geheimdienstlicher Infamie die Positivproben russischer Medaillengewinner nachts gegen vorgefertigte negative umgetauscht worden seien, die olympische Historie um ein neues Schmutzkapitel. In der vergangenen Woche kam die Geschichte ans Licht. Am Dienstag folgte diese Nachricht: Von den 31 namentlich bislang nicht bekannten Sportlern, die soeben in Nachtests der Proben von den Peking-Spielen 2008 des Dopings überführt wurden, stammen 14 aus - Russland. Fast jeder zweite.

Und nun steckt das Internationale Olympische Komitee (IOC) endgültig tief in der Bredouille. Es versucht, anstehende Entscheidungen auf Untereinheiten wie die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada oder Fachverbände wie die Leichtathletik-Weltfederation IAAF abzuwälzen. Dabei liegt es letztlich in den Händen des mächtigen IOC, ob die Russen komplett, ohne Leichtathleten oder gar nicht zu den Spielen in Rio de Janeiro reisen.

Aber der deutsche IOC-Boss Thomas Bach zieht lieber im Hintergrund die Strippen, als sich in so einer zentralen Frage klar zu positionieren. Öffentlich mimt er den erschütterten Mahner und strapaziert die übliche Krisenrhetorik: "Null-Toleranz" mit Dopern. Zuletzt sogar, anlässlich des zehnjährigen Bestehens des deutschen Dachverbands DOSB, von der Kanzel der Frankfurter Paulskirche herab.

In der Realität schert sich niemand einen Deut um Leute wie die Stepanows

Wie sieht es also aus mit Bachs Null-Toleranz? Wie geht das IOC mit Whistleblowern um, die ja eindeutig dabei helfen, den bösen Betrug offenzulegen?

Es gibt keine Verbindung zum IOC, sagt Stepanow. Einmal habe er eine Viertelstunde mit Richard Budgett geskypt, dem IOC-Medizindirektor. "Ich glaube, er wollte sehen, wer wir sind", sagt Stepanow. Mehr kam da nicht. Das erscheint seltsam - will Bach Whistleblower nicht angeblich ermutigen, Betrüger zu outen?

Stepanow, der vielleicht größte Whistleblower der Sportgeschichte, macht in der Praxis eine andere Erfahrung. Auch wenn er weiter hofft, dass ein Funken Gehalt in den frommen Reden ist. "Die Funktionäre sagen, sie wollen Doping stoppen, und ich habe gesehen, dass das IOC eine Ethikkommission hat. Die müsste doch interessiert sein, uns kennenzulernen und etwas über unsere Motivation zu erfahren." Aber auch diese Leute seien auf Distanz. Stepanow sagt: "Ich bin enttäuscht von der Ethikkommission."

Das erlebt einer, der denkt, die priesterlichen Manager des Ringe-Konzerns meinten das tatsächlich ernst, was sie erzählen. In der Realität schert sich niemand einen Deut um Leute wie die Stepanows. Was nach außen Whistleblower heißt, heißt sportintern: Nestbeschmutzer. Die Stepanows haben Olympias Kommerzbetrieb in eine Schieflage gebracht, deren ökonomische Auswirkung noch nicht abzusehen ist - sie hängt ja auch davon ab, wie lange das Publikum noch der Mär vom sauberen Hightech-Sport auf den Leim zu gehen gewillt ist.

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