Die Laufbahn von Dr. med. Bernd Wolfarth verlief bislang reibungslos. Er promovierte 1993 in Freiburg mit "magna cum laude" und betreut seit dieser Zeit deutsche Kaderathleten. Er wurde Verbandsarzt der Biathleten, arbeitete bei den Olympischen Spielen in Salt Lake City, Turin und Peking sowie 2006 bei der Fußball-WM. 2009 wurde er zum leitenden Olympiaarzt des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) berufen. Wolfarth ist 47 Jahre alt - und längst einer der wichtigsten Sportmediziner Deutschlands. Eine Bilderbuchkarriere. Wäre da nicht dieser eine Makel. Wolfarth sagt: "Schade, dass ich nicht über ein anderes Thema promoviert habe."
Die Doktorarbeit, die er geschrieben hat, erschien unter dem Titel "Zur Regeneration im Ausdauersport". Der Gutachter, der Wolfarth mit der Note "sehr gut" bedachte, hieß Joseph Keul. In der gerade heftig diskutierten Studie "Doping in Deutschland" wird der im Jahr 2000 verstorbene Keul von den Historikern der HU Berlin als zentraler Strippenzieher der anwendungsorientierten Dopingforschung in der alten Bundesrepublik beschrieben.
Sein von 1985 bis 1993 durchgeführtes dreiteiliges Forschungsprojekt "Regeneration und Testosteron" wird als "herausragendes Fallbeispiel für die Geschichte des Dopings in Westdeutschland" bezeichnet. Wolfarth hat laut HU wesentliche Inhalte für den dritten Teil eingebracht. Die Ergebnisse flossen später in seine Doktorarbeit ein.
Wolfarth: habe keine Testosteronspritzen gesetzt
Das ist nicht ganz neu. Hin und wieder wurde auch schon darüber berichtet. Neu ist allerdings die Quellenlage. Im vorläufigen Abschlussbericht der HU-Studie werden Keuls angewandter Testosteronforschung fast 100 Seiten gewidmet. Hier wird das ganze beklemmende Ausmaß dieses steuerfinanzierten Projektes deutlich.
Für die dritte Teilstudie wurden deutschen Sportlern im Jahr 1988 in Freiburg sechs Wochen lang jeweils 250 mg Testosteron pro Woche gespritzt. Es handelte sich um das Mittel "Testoviron 250 Depot" der Schering AG. Als Probanden dienten laut HU-Bericht "16 ausdauertrainierte Athleten der Disziplinen Skilanglauf und Straßenradsport in der Phase des Trainings". Testosteron stand seit 1982 auf der IOC-Dopingliste.
Bernd Wolfarth bestreitet nicht, dass er bei diesen Tests als Doktorand dabei war. Er sagt, er selbst habe keine Testosteronspritzen gesetzt, er habe aber den Sportlern Blut abgenommen und die immunologischen Untersuchungen ausgewertet. Laut eines Zeitzeugenberichts war Wolfarth auch an der äußerst komplizierten Probanden-Akquise beteiligt. Zahlreiche Sportverbände hatten sich geweigert, ihre Athleten für Experimente mit Dopingspritzen zur Verfügung zu stellen.
Wolfarth sagt, er habe mit der Probanden-Akquise nichts zu tun gehabt. Im Übrigen habe ihm Keul erzählt, dass es bei dem Projekt lediglich darum gehe, die These zu widerlegen, dass das Testosteron Auswirkungen auf die Regenerationsfähigkeit hat. Die These stimmt aber, und das war auch schon 1988 bekannt. "Damals waren die möglichen politischen Hintergründe noch nicht so in meinem Fokus, wie sie das vielleicht heute wären", gesteht Wolfarth.
Diese Hintergründe sind nun detailliert dokumentiert - wenn auch nur in der bislang unveröffentlichten Fassung der HU-Studie. Demnach handelte es sich hier keineswegs um ein seriöses wissenschaftliches Experiment, sondern um staatlich subventionierte Dopingforschung. Die Seriosität endet schon damit, dass große Teile des vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) ausgezahlten Forschungsgeldes nicht auf ein offizielles Konto der Uni Freiburg überwiesen wurden, sondern auf ein Privatkonto Keuls bei der BW-Bank Freiburg. Verschleierung und Täuschung waren ein Leitmotiv des Projektes. Offenbar weiß das inzwischen auch Wolfarth. "Heute würde ich mich daran nicht mehr beteiligen", sagt er. Retrospektiv sei das eine extrem unglückliche Konstellation.
"Dann wäre das eine richtige Katastrophe"
Glücklicher wird die Konstellation auch nicht dadurch, dass Wolfarth heute in der medizinischen Kommission der nationalen Anti-Doping-Agentur Nada sitzt und der wichtigsten Olympiaarzt des Landes ist. "An seiner klaren Haltung gegen Doping besteht kein Zweifel", teilt der DOSB auf Anfrage mit. Richtig ist auf jeden Fall, dass sich Wolfarth im Gegensatz zu einigen seiner Kollegen durchaus selbstkritisch mit seiner Vergangenheit auseinandersetzt.
Er sagt: "Klar war, dass es keine einfache Untersuchung ist, wenn verbotene Substanzen an Leistungssportler gegeben werden." Allerdings beruft er sich darauf, dass die Ethikkommission der Freiburger Uni dem Projekt ihren Segen gab. "Wenn es die Entscheidung der Ethikkommission nicht gegeben hätte, dann wäre das eine richtige Katastrophe ", sagt Wolfarth. Die Zustimmung der Ethiker gab es tatsächlich. Allerdings bestehen erhebliche Zweifel, ob die Kommissionäre von Keul über das tatsächliche Forschungsvorhaben informiert worden waren.
Zumindest zweifelhaft klingt es auch, wenn Wolfarth, einer der Musterschüler Keuls, berichtet: "Ich war nie in Diskussionen involviert, in denen aktive Dopingpraktiken thematisiert wurden." An jener Freiburger Uniklinik, wo er Mitte der Neunziger arbeitete, wurden damals die Telekom-Radfahrer umfassend mit Dopingmittel versorgt. Dass Wolfarth, wie er beteuert, auch davon überhaupt nichts mitbekommen hat, findet sogar er selbst: "Schon erstaunlich."