Doping-Erklärung von Jan Ullrich:Vieles bleibt im Dunkeln

Jan Ullrich hat den Kontakt zum Doping-Arzt Fuentes zugegeben. Gleichzeit beteuert er, er habe geschwiegen, weil ihm die Hände gebunden gewesen seien. Doch warum? Hatte er Angst, dass ein Verfahren gegen einen Ex-Teamchef neu aufgerollt wird?

Thomas Hummel

Jan Ullrich ist es in den vergangenen Jahren nicht immer gut gegangen. Das erklärte er bei einem Sponsorentermin am Mittwoch in Bielefeld und in der Nacht zum Freitag noch einmal auf seiner Internetseite. "Letztendlich hat mich dieses Thema über Jahre so sehr belastet, dass ich krank wurde und irgendwann zusammengebrochen bin", schreibt der frühere Radsport-Profi.

Dieses Eingeständnis verwundert kaum. Der Druck auf den gefallenen Radsport-Darling der Nation muss enorm gewesen sein. Die Indizien und Beweise, dass der heute 38-Jährige zu seiner aktiven Zeit Doping betrieben habe, wurden über die Jahre immer erdrückender, die Lage immer schwieriger. Als er einen Tag vor der Tour de France 2006 aus dem Rennen genommen wurde, weil auf einer Liste von Sportlern auftauchte, gegen die spanische Fahnder wegen Dopingverdachts ermittelten, war das deutsche Radsport-Denkmal Ullrich gefallen.

Das endgültige Urteil in der Geschichte um seine Verwicklungen in der Doping-Affäre um den spanischen Mediziner Eufemiano Fuentes fiel nun fünf Jahre, sieben Monate und neun Tage später, der Internationale Sportgerichtshof Cas erklärte Ullrich für schuldig. Ullrich ist nun zwei Jahre gesperrt (auch für Jedermann-Rennen, wie der Bund Deutscher Radfahrer feststellte) und alle Ergebnisse seit dem 1. Mai 2005 werden gestrichen.

Von vielen Beobachtern wird nun die Frage gestellt: Wieso hat das so lange gedauert? "Das Urteil war seit Jahren überfällig", schimpft etwa Doping-Experte Werner Franke, der mit Ullrich lange in einem Rechtsstreit lag. Ullrich schreibt: "Dieses sportrechtliche Tauziehen war für alle Beteiligten unbefriedigend, für mich selbst wie für die Öffentlichkeit. Es ist für mich unverständlich, warum wir alle so lange auf dieses Urteil warten mussten." Indirekt macht er damit auch die Sportrichter für seine lange Leidenszeit verantwortlich.

Unter Cas-Richtern allerdings herrscht die Meinung, dass die Ullrich-Seite selbst einen erheblichen Beitrag zur Verzögerung des Verfahrens geleistet hat. In der 24-seitigen Urteilsbegründung erklären die vier beteiligten Richter, mit welchen Anträgen der Ullrich-Anwälte auf Verfahrensfehler sie sich herumplagen mussten. Darin ging es um die Frage nach der Zuständigkeit, um die Nichteinhaltung von Fristen oder darum, ob über Jan Ullrich nach seiner aktiven Karriere überhaupt noch von einem Sportgericht gerichtet werden dürfe.

Cas-Richter dürfen keine öffentlichen Aussagen machen, doch in Gesprächen erzählen sie davon, dass es viele Möglichkeiten gebe, ein Verfahren in die Länge zu ziehen. Schriftsätze mit Hunderten Seiten, Anlagen mit Tausenden Seiten würden eingereicht, die alle gelesen werden müssen. Ob der Fall Ullrich tatsächlich derart schleppend ablief, ist nicht bekannt. Doch klar ist: Ullrichs Verteidigungsstrategie ging nicht dorthin, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu entkräften. Sondern um überhaupt ein Urteil zu verhindern, was wohl nicht zur Beschleunigung des Verfahrens beigetragen hat.

Verfahren gegen Ex-Teamchef

Die Frage lautet auch hier: Warum? In seiner Erklärung schreibt Ullrich von der Zeit nach der Suspendierung von der Tour 2006: "Die ganze Welt wollte mich an die Mauer stellen und dann bin ich instinktiv in Deckung gegangen, habe mich erst mal zurückgezogen. Wie gesagt: Ich will mich nicht beklagen, dass alles kam nicht ohne Grund. Ich wollte schon damals, kurz nach meiner Suspendierung, den Fehler, den ich gemacht habe, öffentlich eingestehen, aber mir waren die Hände gebunden. Auf Anraten meiner Anwälte, und wie es in solchen Fällen üblich ist, habe ich zu den Vorwürfen geschwiegen."

Warum ihm die Hände gebunden waren, erläutert er nicht. Auf seiner Internetseite erklärt er, dass er keine weiteres Statements, Stellungnahmen und Interviews in der Öffentlichkeit abgeben wolle. Auf Nachfrage der SZ bestätigt sein Manager Falk Nier dies.

In jener Zeit gab es etliche Fahrer, die Doping zugaben, zweijährige Sperren absaßen und anschließend zurückkehrten. Wenn sie nicht wie Jörg Jaksche das System Radsport angriffen und Kronzeugen abgaben, empfing sie das System mit einem herzlichen Willkommensgruß zurück im Peloton. Zu erwarten ist dies auch im Fall Alberto Contador, dem gar die spanische Regierung beispringt.

Eventuell hatte Jan Ullrich Angst davor, eine lebenslange Sperre aufgebrummt zu bekommen. Er war im Jahr 2002 positiv auf Amphetamine getestet worden und erhielt damals eine sechsmonatige Sperre. Doch das wischten selbst jetzt die Cas-Richter beiseite. Schwerer könnte ein Verfahren wiegen, dass er zwischen den Jahren 2004 und 2008 gegen den ehemaligen Rennstallbesitzer Günther Dahms führte.

Nach seiner Dopingsperre war Ullrich zu Dahms' Team Coast gewechselt, das allerdings im Frühjahr 2003 pleiteging. Ullrich hatte Dahms daraufhin auf Honorarzahlungen und Schadensersatz verklagt, es kam zu mehreren Verfahren. Am Ende wollte Dahms nicht das volle Gehalt Ullrichs zahlen, weil er den Athleten beschuldigte, während der Zeit in seinem Team gedopt zu haben.

Ullrich musste dazu vor Gericht aussagen und bestritt dort für den Zeitraum zwischen dem 1. Januar und dem 31. März 2003 jegliches Doping. Der Richter fragte: "Keinerlei Mittel und Methoden, die verboten waren nach den Regeln der Verbände?" Ullrich antwortete: "Nein." Auch einen Kontakt zu Fuentes vor April 2003 verneinte er im Zeugenstand.

Eventuell hat dieser Fall dazu geführt, dass seine Anwälte ihm nun geraten haben, zu schweigen. Dahms musste Ullrich 500.000 Euro bezahlen, hätte der Radrennfahrer später seinen Aussagen selbst widersprochen, wäre er wohl arg in Bedrängnis geraten. Auch in seiner Internet-Erklärung gibt Ullrich kein Doping zu, sondern nur, dass er mit Fuentes Kontakt hatte. Den Zeitraum gibt er nicht an. Die Cas-Richter beurteilten den Zeitraum seit Mai 2005.

Ullrichs Schweigen hat die Cas-Richter mehr als irritiert. Nun schwillt auch die Kritik in der Öffentlichkeit an. Der Anti-Doping-Experte Fritz Sörgel sagte zur Nachrichtenagentur dpa: "Er hat jahrelang gedopt. Sich jetzt mit einem Sorry zu verabschieden, ist natürlich relativ wenig." Ullrich hätte Details nennen können und wäre damit ein Vorbild im Anti-Doping-Kampf gewesen. "Aber dazu hat er die Größe nicht gehabt", meinte der Nürnberger Pharmakologe: "Wenn wir Sportler in Zukunft so aus der Verantwortung lassen, ist das natürlich nicht gut."

Und so bleiben noch viele Details im Dunkeln in der tragischen Geschichte um den erfolgreichsten Radsportler des Landes. Nur eines scheint sicher: Die Aussage Ullrichs am Mittwoch in Bielefeld ("Das wird sich alles aufklären") bewahrheitet sich wie so häufig im Radsport - und speziell im Fall Jan Ullrich - derzeit nur teilweise.

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