Doping-Enthüllungen:Spritzen in Cola-Dosen

Die Urteilsschrift zum Fall Lance Armstrong offenbart ein ausgeklügeltes System der Leistungsmanipulation nach klaren Regeln. Das funktionierte erschreckend zuverlässig und an allen Doping-Kontrolleuren vorbei - etwa durch organisierte Frühwarnung und ominöse Spenden.

Andreas Burkert

Bei der Rad-WM 1998 in Valkenburg wohnten die US-Fahrer Lance Armstrong, Jonathan Vaughters und Christian Vandevelde in einer holländischen Pension, ihr Teamarzt vom US-Postal-Rennstall, Pedro Celaya, komplettierte die WG. Das erwies sich als hilfreich, als ein Dopingkontrolleur des Weltverbandes UCI klopfte und seine Testutensilien aufbaute: Der spanische Doktor machte sich auf zum Auto, kehrte mit einem Liter Salzlösung unter seiner Regenjacke zurück, huschte mit Armstrong ins Schlafzimmer und führte ihm den Beutelinhalt zu. Später ließ sich sich Armstrong dann sehr gern testen.

"Ich habe mich später kaputtgelacht mit Celaya, wie er vor der Nase des Kontrolleurs die Lösung reinschmuggelte und Lance verabreichte", sagt Jonathan Vaughters.

Vaughters hat die Episode der US-Anti-Doping-Agentur (Usada) erzählt, sie steht in der imposanten Urteilsschrift, in der Armstrongs 15 Jahre florierendes Dopingsystem enttarnt und die lebenslange Sperre begründet ist. Am Betrug des Texaners hegt nun endgültig keiner mehr Zweifel. Neben der "großen Enttäuschung", die etwa Formel-1-Weltmeister Sebastian Vettel formulierte, setzt jetzt beim Publikum Unglaube ein: Wie konnte das von Armstrong und Manager Johan Bruyneel gesteuerte System so lang unentdeckt bleiben?

Die gewisse Unfähigkeit der Kontrolleure ist hier nur ein Aspekt. Armstrong und seine Leute arbeiteten ja auch deshalb mit Salzlösungen, um den Hämatokritwert des Blutes unter der Höchstgrenze zu halten - und Epo- oder später Blutdoping zu kaschieren. Den Epo-Test gibt es erst seit 2000, Wachstumshormone sind erst neuerdings nachweisbar. Bluttransfusionen, auf die Armstrongs Flotte ab 2000 auf Anraten ihres Dopingarztes Michele Ferrari umstieg, sind heute indirekt nachweisbar - wie laut Usada-Report für Armstrongs Tour-Proben der Comeback-Jahre '09/'10. Die Fahnder hinken jedoch stets hinterher.

Ausgeklügeltes Warnsystem

Dass die UCI zudem ihr neues Zugpferd schützte, das nach dem Festina-Skandal 1998 Frankreich als auferstandener Krebsbezwinger eroberte - das ist längst mehr als ein Verdacht. Nicht sanktionierte Positivtests bei der Tour 1999 (Kortison/Epo, 2006 in Nachtests nachgewiesen) und angebliche Deals bei Auffälligkeiten (2001) sind starke Indizien. Und die im Sport wohl einmalige Spende eines Topathleten an den Auftraggeber der Tests - die UCI musste Armstrongs Gabe von 125 000 Dollar einräumen - wirkt wie Schweigegeld. Der Verband weist den Verdacht zurück. "Die UCI konnte nichts machen und hat auch nichts verheimlich", sagt jetzt der langjährige Präsident, ein enger Armstrong-Vertrauter, der weiterhin bei der UCI Strippen zieht.

Vaughters und auch David Zabriskie, ein weiterer früherer Postal-Profi, der jetzt gestand, berichteten der Usada von einem offenkundigen Warnsystem. "Johan Bruyneel schien immer zu wissen, wann Kontrolleure zu den Rennen kamen", sagte er aus. "Seine Warnung: ,Sie kommen morgen', gab es nicht nur einmal." Den Postal-Fahrern fiel auch auf, dass ihre Betreuer stets wie Sicherheitskräfte die Hotelbesucher observierten. Im Zweifelsfall gab es schnelle Telefonate nach oben.

"Versuche, nicht getestet zu werden"

Einmal, während der Luxemburg-Rundfahrt, kam laut Zabriskie unterwegs ein Anruf, die Polizei wolle das Teamhotel untersuchen. "Weg mit den Drogen, wenn ihr was dabei habt", hieß es sofort. Ein Fahrer vergrub seine Mittel im Wald, und ein Betreuer witzelte: "Die Bäume werden aber in ein paar Jahren groß sein!" Das interne Alarmsystem funktionierte. Armstrongs einstiger Freund und Helfer, George Hincapie, berichtete, dass der Kapitän ihm 2000 während eines Rennens in Spanien erzählte, er habe Testosteron genommen. "Als ich dann hörte, dass Kontrolleure im Hotel waren, habe ich ihm schnell eine SMS geschickt, dass er wegbleiben sollte." Armstrong stieg prompt bei dem Rennen aus.

Trainingskontrollen minimierte Armstrong, indem er "unvollständige Angaben" zu seinen Aufenthaltsorten machte; oftmals verspätet oder erst am Reisetag meldete er Ortswechsel den Kontrolleuren. "Das hat die Usada-Tester frustriert", heißt es kleinlaut im Report der Usada, die erst unter dem neuen Chef Travis Tygart (seit 2007) an Stärke gewann. Knapp 60 Mal testete die Usada Armstrong, die UCI in all den Jahren gut 200 Mal, darunter auch Gesundheitschecks. Von mehr als 500 Tests, die Armstrong "überstanden" haben will, kann keine Rede mehr sein.

Intern gab es in Armstrongs Teams klare Verhaltensregeln. Kronzeuge Tyler Hamilton: "Die erste Regel bei Epo war, es direkt in die Vene zu injizieren (kleineres Nachweis-Fenster), die zweite war, es abends zu nehmen und die dritte Regel hieß: Verstecke dich vor den Kontrolleuren - versuche, nicht getestet zu werden!" Später gab es die Anweisung, Epo angesichts verbesserter Testmethoden nur über Mikro-Dosen zu spritzen. Salzlösung, die ebenfalls verboten sind, wurden weiter regelmäßig eingesetzt. So konnten in nicht mal 20 Minuten auch Werteschwankungen nach Bluttransfusionen behoben werden. "Und Jungs mit niedrigem Hämatokritwert wurden bei Rennen zuerst getestet", erinnert sich Vaughters.

Zur Tour brachte ein "Motoman", ein Franzose namens Philippe, die Mittel und Blutbeutel; er folgte den Rennen im Tross. Zur Blutabnahme flog man zuvor schon mal im Privatjet nach Girona oder Nizza. Philippe lieferte auch dieses "flüssige Gold" ins Hotel oder zum Teamcamper. Alle drei, vier Tage spritzten sie während der Tour Epo, Betreuer oder der Arzt "brachten es bereits in Spritzen zu den Fahrern, ins Hotel oder ins Teammobil", so Hamilton. Entsorgt wurden die Spritzen nach Injektion umgehend "in Cola-Dosen".

Vorwurf der Werksspionage

So funktionierte der Betrug, Dr. Ferrari observierte ihn. Aber er war bekanntermaßen nicht der einzige Giftmischer. Telekom/T-Mobile manipulierte mithilfe Freiburger Sportmedizinern, Skandalteams wie Liberty und Armstrongs Rivalen Jan Ullrich oder Ivan Basso mit dem Spanier Eufemiano Fuentes. Ferrari betreute auch andere Rennställe. "Er war nicht der einzige, aber in Verbindung mit seinem Training der Beste", sagt Kronzeuge Jörg Jaksche, der im Fuentes-Skandal aufflog.

Die Usada hat Jaksche ebenfalls befragt. Er wusste zu berichten, dass Telekom Armstrongs Helfer Kevin Livingstone 2001 abwarb, "weil sie quasi Werksspionage betreiben wollten: Sie wollten wissen, wie das bei Armstrong mit Blutdoping läuft".

Es lief ganz gut. Er gewann siebenmal die Tour, blieb unbehelligt. Und sämtliche gedopten Wasserträger, nicht nur Vandevelde, Vaughters, Hincapie oder Zabriskiewurden nie positiv getestet. Dabei wird im Radsport im Vergleich zu den anderen Sportarten wie Schwimmen, Leichtathletik oder Fußball noch häufig kontrolliert.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: