Zumindest einige internationale Fachverbände geben sich in diesen Tagen als Vorreiter im Anti-Doping-Kampf, die es mit dem breitflächigen russischen Manipulationssystem aufnehmen. Zunächst schloss der Leichtathletik-Weltverband Russland von den Sommerspielen in Rio de Janeiro aus. Und nun will dem auch der Vorstand der Internationalen Gewichtheber-Föderation (IWF) folgen. Sie kündigte eine einjährige Sperre für Russland sowie Kasachstan und Weißrussland an - ein Olympia-Start von Athleten aus diesen drei Ländern wäre nicht mehr möglich.
Es gibt aber noch einen Haken an dieser Drohung, und dieser Haken heißt Internationales Olympisches Komitee (IOC). Das wertete den möglichen Ausschluss von Russland & Co. als "starkes Signal im Kampf gegen Doping", könnte ihn aber zugleich noch verhindern.
Die Gewichtheber versuchen seit einiger Zeit, in ihrer traditionell chronisch verseuchten Sportart aufzuräumen. Schon im vergangenen Jahr schlossen sie den bulgarischen Verband wegen zu vieler Dopingfälle für Rio aus und erhielten das Plazet für diese Sperre durch ein Urteil des Internationalen Sportgerichtshofes (Cas). Aufgrund von Dopingfällen in der olympischen Qualifikationsphase entzog die IWF zudem verschiedenen Verbänden Quoten-Startplätze für die Sommerspiele.
Das IOC sagt, es arbeite "mit Hochdruck" an den Disziplinarverfahren
Der mögliche Komplett-Ausschluss der drei osteuropäischen Verbände wiederum fußt auf den Ergebnissen von Nachtests der Spiele von Peking 2008 und London 2012. Das IOC ließ in den vergangenen Monaten insgesamt etwas mehr als 700 eingelagerte Proben dieser beiden Veranstaltungen noch einmal überprüfen, 54 davon fielen positiv aus. Besonders häufig waren Gewichtheber betroffen. Daher entschied sich nun die IWF, alle Nationen mit drei oder mehr Befunden in diesen Nachtests zu sanktionieren - und darunter fielen Kasachstan, Russland und Weißrussland.
Die Verantwortlichen in Moskau reagierten erbost über das Urteil gegen ihre "Stangisty", wie die Heber auf Russisch so schön heißen. Sportminister Witalij Mutko sagte, es gebe hier eine "Psychose" und eine Anordnung, die sich außerhalb der Rechts-Prinzipien und -Normen bewege. "Wie kann man für Verstöße von 2008 und 2012 die Mannschaft bestrafen, die 2016 zu den Spielen fahren sollte?", fragte Mutko.
Aber womöglich verraucht der Ärger des mächtigen Funktionärs bis zu den Spielen in Rio auch wieder. Denn auch in diesem Fall gibt es ein paar Unwägbarkeiten. Russlands Leichtathleten hoffen noch auf ein Verdikt des Cas und/oder eine dehnbare Deutung des vom Weltverband beschlossenen Grundsatzes, nach dem sich Sportler, die sich zuletzt außerhalb des russischen Anti-Doping-Systems bewegten, in Rio doch starten dürfen. Die Gewichtheber wiederum wollen im Zweifelsfall auch vor den Cas ziehen, wie Minister Mutko ankündigte - und sie können bis dahin noch die Hoffnung hegen, dass sich die Aufarbeitung der Nachtests von 2008 und 2012 noch etwas hinzieht.
Die Sanktion der IWF tritt nämlich erst in Kraft, wenn die Disziplinarverfahren der Nachtests abgeschlossen sind. Diese Verfahren führt das IOC. Und obwohl bis zum Start der Spiele in Rio noch einige Wochen Zeit sind, will das IOC nicht garantieren, dass die Disziplinarverfahren bis dahin erledigt sind. Ein Sprecher teilt lediglich mit: "Das IOC arbeitet mit Hochdruck daran, alle Disziplinarverfahren so rechtzeitig vor Rio abzuschließen, dass die internationalen Verbände eventuelle Sanktionen noch vor den Olympischen Spielen verhängen können."
Eine andere Möglichkeit ist, dass sich in den Disziplinarverfahren beim IOC (oder eventuell danach beim Cas) auch noch die Zahl der Sünder von damals reduziert. Sollten aus Russland, Kasachstan oder Weißrussland dann weniger als drei Athleten übrig bleiben, würde der jeweilige Verband der Kollektiv-Strafe entgehen.