Doping:Deutscher Radfahrer positiv getestet

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Ein eher unauffälliger Fahrer: Der ehemalige Bora-Mann Ralf Matzka

(Foto: imago/Panoramic International)
  • Im deutschen Radsport gibt es nach langer Zeit erneut einen Dopingfall.
  • Team Bora und Fahrer Ralf Matzka erklären den Positiv-Befund auf das Mittel Tamoxifen mit einem verunreinigten Nahrungsmittel.

Von Johannes Aumüller und Johannes Knuth, Périgueux

Der Boulevard Montaigne war schon voll, als der Bus des deutschen Teams Bora-hansgrohe am Dienstag als einer der letzten ins Zentrum von Périguex rollte. Dorthin, wo die Mannschaften vor der zehnten Etappe ihre Begleitfahrzeuge aufreihten wie in einer bunten, langen Boxengasse. Boras Bus machte also einfach auf einer engen Straße vor dem Paddock Rast, neben einem Café und einem Optiker. Die Mechaniker schafften die Fahrräder vor den Bus, plauschten, warteten auf die Fahrer, wie vor jeder Etappe. Ein Polizist schlenderte um den Tross und schoss ein Foto. Allerdings wohl nicht, weil er ein Verfahren wegen Falschparkens einleiten wollte, sondern als Erinnerung fürs Familienalbum.

Die entspannte Atmosphäre lenkte ein wenig davon ab, dass die vergangenen Tage schwer an der Moral des Teams gerüttelt hatten. Der slowakische Kapitän Peter Sagan war in der Auftaktwoche wegen seines Verhaltens im Sprint disqualifiziert worden. Am Montag hatte Rafal Majka aufgegeben, Boras Hoffnung für die Gesamtwertung, er war auf der Königsetappe nach Chambéry gestürzt. Aber eine andere unangenehme Geschichte war da noch gar nicht öffentlich: Am Dienstagnachmittag berichtete Bora über einen Dopingfall in der eigenen Mannschaft.

Matzka beteuert seine Unschuld

Zuletzt waren beim Team Medienanfragen zum Thema eingegangen, unter anderem von der SZ. Nun bestätigte Bora-Chef Ralph Denk, dass es im vergangenen Jahr einen Positivtest gegeben hat: einen Tamoxifen-Befund beim damaligen Fahrer Ralf Matzka, keinem herausstechenden Vertreter, sondern einem der vielen eher unauffälligen Kräfte des Pelotons. Matzka beteuert seine Unschuld, Teamleiter Denk sagt, er glaube ihm. Das Sanktionsverfahren beim Rad-Weltverband (UCI) läuft noch.

Das Dopingthema hat den Radsport nie losgelassen, es war nur etwas aus dem Fokus geraten. Nun gibt es also den ersten Dopingfall einer deutschen Erstliga-Equipe seit dem großen Strudel, der 2007/08 mit den vielen Fällen bei Telekom und Gerolsteiner einsetzte und 2013 mit letzten Sperren und Geständnissen austrudelte. Bei Bora war zwar manche Personalie umstritten, etwa das Engagement des Sportlichen Leiters Alex Sans Vega, der zuvor viele Jahre bei der verseuchten CSC-Equipe tätig war. Aber einen positiven Fall gab es nicht in den vergangenen drei Jahren, während des Aufstiegs der Equipe aus Raubling/ Oberbayern in die Weltspitze.

So geht es nun um zwei Fragen. Die eine ist der öffentliche Umgang mit der Causa. Matzkas Test stammt nämlich schon aus dem Frühjahr 2016. Doch es erfolgte keine Mitteilung, dass es einen solchen Fall gebe. Stattdessen wurde Matzkas Vertrag zum Jahresende nicht verlängert. Denk sagt nun, das Team habe sich entschieden, "zum Schutz des Athleten" nicht an die Öffentlichkeit zu gehen und das Verfahren abzuwarten.

Die Vermutung, dass bei diesem Vorgehen auch die damalige Suche nach einem neuen Co-Sponsoren oder das Werben um Topstar Sagan eine Rolle spielten, wies Denk in der ARD zurück.

Die andere Frage ist die inhaltliche. Denn es scheint kein gewöhnlicher Dopingfall zu sein. Insbesondere gibt es eine sehr ungewöhnliche Erklärung für den Befund. Gemäß Denks Mitteilung sowie einer Stellungnahme von Matzkas Anwalt Rainer Cherkeh sei aufgrund verschiedener Gutachten "als wahrscheinlichste Ursache" die Aufnahme durch "ein kontaminiertes Nahrungsmittel (Wasser)" anzusehen.

Ja, tatsächlich: Wasser. Verunreinigtes Wasser.

Die Historie der Dopingerklärungen ist voller bemerkenswerter Beispiele: zu viele Avocados, Appetitzügler der schwangeren Frau, verunreinigtes Kalbfleisch, zu viel Whiskey, Zahnpasta, potenzsteigernder Tee, zu viel Sex. Vieles erwies sich als faule Ausrede; manches akzeptierten die zuständigen Instanzen und/oder erwies sich durch wissenschaftliche Untersuchungen als Erklärung. Und nun also Wasser?

Vielleicht ist das die ulkigste Ausrede von allen. Vielleicht ist der Ansatz nicht ganz so abwegig, wie es zunächst klingt.

Staatsanwaltschaft stellt Verfahren ein

Der Fall zieht sich schon eine Weile hin. Am 3. März 2016 gab Matzka eine Urinprobe ab. Kurz danach erhielt er das Ergebnis: Tamoxifen "in sehr geringen Mengen", also ein paar Nanogramm pro Milliliter. Das Mittel war ursprünglich gedacht zur Behandlung von Brustkrebs. Ein dopingwilliger Sportler kann es aus mehreren Motiven nehmen: um die Einnahme anderer Mittel zu maskieren, die Nebenwirkungen von Anabolikakonsum zu behandeln oder die Produktion des körpereigenen Testosterons anzuregen. Schon diverse Sportler sind mit dem Mittel überführt worden. Allerdings gilt Tamoxifen als relativ leicht und gut nachweisbar, selbst bei geringer Konzentration. Und so bleiben nur zwei Varianten: Entweder Matzka nahm geraume Zeit vor der Probe eine sehr hohe Dosis - oder kurz zuvor eine relativ geringe.

Matzkas Seite hat diverse Argumente gesammelt, die aus ihrer Sicht für eine Kontamination sprechen. Sein Anwalt sagt, dass noch Anfang November 2015 und wieder Mitte März 2016 die Tests negativ gewesen seien - und dass die Testergebnisse insgesamt bei einem Missbrauch in hoher Dosis anders ausgefallen wären. Zudem verweist er darauf, dass es verschiedene Studien gebe, nach denen die Verunreinigung der Umwelt mit Stoffen wie Tamoxifen zunehmend ein Problem sei. Bekannt ist etwa eine populärwissenschaftliche französische Studie aus dem Jahr 2013, die in manchen Chargen verschiedener Mineralwasser-Sorten Kleinstmengen der Substanz nachwies. Mehrere Gutachten sollen Matzkas Version bekräftigen, darunter ist eins, das vom Leiter eines von der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) akkreditierten Labors stammt. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt habe unter anderem deswegen ein Verfahren eingestellt.

Die Behörde teilt der SZ mit, dass bei einer Hausdurchsuchung weder Dopingmittel festgestellt, noch beim Sichten von Laptop und Mobiltelefon verfahrensrelevante Daten gefunden worden seien. Sie habe dem betroffenen Sportler nicht nachweisen können, dass er die Substanz wissentlich eingenommen habe, deswegen sei das Verfahren eingestellt worden.

Suspendierung ist noch nicht erfolgt

Der Weltverband hingegen glaubt Matzkas Vortrag nicht. Eine Suspendierung ist noch nicht erfolgt, derzeit ist die Sache vor dem zuständigen Tribunal anhängig; bald dürfte die Verhandlung anstehen. Inhaltlich will sich die UCI derzeit nicht äußern. Zu dem Fall gehört das Kuriosum, dass sich der Rad-Verband neben dem positiven Testergebnis als solchem unter anderem auf die Expertise von Martial Saugy verlässt, bis 2016 Leiter des Lausanner Doping-Labors. Das ist der Mann, der derzeit selbst in der Kritik steht, weil er zugleich fürs russische Sportministerium und den Fußball-Weltverband tätig war.

Ralf Matzka weiß selbst, wie seine Erklärungen wirken in einer chronisch verseuchten Zeit. "Ich kann nur allen sagen, dass sie sich mit unseren Erklärungen befassen sollen. Entweder glauben sie mir, oder sie glauben mir eben nicht", sagt er der SZ.

Dass er noch einmal in den Radsport zurückkehrt, ist unabhängig vom Ergebnis der UCI-Untersuchung schwer vorstellbar. Sein Vertrag bei Bora ist Ende 2016 nicht verlängert worden. Dafür hat er kürzlich mit einem Studium begonnen.

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