Doping:Das Leiden der Kronzeugen

Doping: Alex Schwazer: 2008 in Peking mit Olympia-Gold

Alex Schwazer: 2008 in Peking mit Olympia-Gold

(Foto: Mark Baker/AP)

Julia Stepanowa und Alex Schwazer haben über Dopingpraktiken in Russland und Italien ausgepackt. Die Konsequenz: Sie müssen um ihren Olympiastart fürchten.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner

Zwischen Bozen und der US-Westküste liegen ein paar Tausend Flugkilometer, aber wer über den Anti-Doping-Kampf und die merkwürdige Haltung des organisierten Sports in dieser Frage nachdenkt, muss diese Orte miteinander verbinden. In Bozen war viele Jahre der italienische Top-Geher Alex Schwazer zu Hause, an Amerikas Westküste hält sich seit ihrer Flucht aus Russland die Mittelstrecklerin Julia Stepanowa auf. Beide sind Leichtathleten, beide sind früher positiv getestet worden - und beide haben danach einen wertvollen Beitrag im Kampf gegen Doping geleistet. Stepanowas Aussagen und Beweise gaben den Anstoß zu den Recherchen, die Russlands Staatsdopingsystem aufdeckten. Schwazer berichtete der Justiz über Wissen und Verstrickungen des nationalen Leichtathletik-Verbandes und darüber hinaus.

Beide wollten bei den Spielen in Rio an den Start gehen - und beide müssen befürchten, dass das nicht klappt. Stepanowa wird durch sportpolitische Manöver des von Thomas Bach geführten Internationalen Olympischen Komitees (IOC) gebremst. Und Schwazer ist erneut positiv getestet worden - in einem diffusen Fall.

IOC scheut die Zusage an Stepanowa

Am Dienstagmittag hatte IOC-Boss Bach nach einem Treffen mit ausgewählten Funktionären der olympischen Welt mal wieder beschworen, wie ernst es mit dem Anti-Doping-Kampf sei. Doch das, was er vortrug, waren eher Belege fürs Gegenteil. Er kam den Interessen des chronisch verseuchten russischen Systems entgegen. Er ignorierte weitgehend, dass Mitte Juli eine von der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) beauftragte Expertengruppe um den Kanadier Richard McLaren einen weiteren Bericht vorlegt, der das Bild des Dopingsumpfes noch deutlich schärfer zeichnen dürfte. Und er schaffte es, den Starthoffnungen der Kronzeugin Stepanowa einen weiteren Schlag zu versetzen.

Gemäß Entscheid des Internationalen Leichtathletik-Verbandes (IAAF) sollen Stepanowa sowie andere russische Athleten, die sich zuletzt außerhalb von Russlands marodem Testsystem bewegten, trotz der Suspendierung des nationalen Verbandes in Rio starten dürfen - unter olympischer, also neutraler Flagge. Das Ansinnen korrigierte Bachs Gremium. Russlands Olympisches Komitee (ROK) sei nicht suspendiert, also gebe es für alle Startberechtigten einen Start unter russischem Banner.

Das ist aus Stepanowas Sicht doppelt bedauerlich. Zum einen müsste sie so just im Namen des Landes und des Sportsystems laufen, dessen Dopingpraktik sie aufdeckte - und das sie immer noch als Verräterin sieht. Zudem bräuchte sie eine Nominierung durchs ROK. Und dessen Chef Alexander Schukow, ein alter Vertrauter von Staatschef Wladimir Putin und ausstaffiert mit einem wichtigen Posten in Bachs IOC, stellte klar, dass es die nicht gebe. Damit kann nur noch das IOC selbst Stepanowa einen Start ermöglichen. Auf Anfrage, ob es dies zusichere, gab es kein klares Ja.

Antwort vom IOC klingt nach Ausflucht

Noch stelle sich diese Frage nicht, teilte Bach mit. Falls die IAAF das Begehr offiziell vorbringe, gebe es eine Prüfung. Das klingt nach Ausflucht und kann zu einer merkwürdigen Situation führen. Aus gutem Grund ermöglicht das IOC Flüchtlingen, die wegen Krieg oder der wirtschaftlichen Lage ihr Land verließen, einen Start unter olympischer Flagge. Andererseits gibt es beim politischen Flüchtling Stepanowa, die aus Furcht vor Repressalien aus Moskau floh, kein klares Statement ab.

Hingegen könnte Stepanowa bei der Leichtathletik-EM in Amsterdam (6. bis 10. Juli) womöglich ihr Comeback auf internationaler Bühne geben und dort unter neutraler Flagge starten; die IAAF bestätigte dem Sportinformationsdienst, dass sie eine Starterlaubnis für den Kontinentalwettkampf beantragt habe. Über diese soll ein Doping-Gremium der IAAF "so schnell wie möglich" entscheiden.

Ebenso spannend ist der neuerliche Positivtest des italienischen Kronzeugen Alex Schwazer. 2008 hatte der Geher in Peking über 50 Kilometer Olympia-Gold gewonnen, vier Jahre später reiste er als Top-Favorit nach London - und wurde kurz vor dem Start mit dem Blutdoping-Klassiker Epo erwischt. Fast vier Jahre dauerte seine Sportsperre, zudem erhielt er durch Italiens Justiz eine Gefängnisstrafe über acht Monate auf Bewährung. Doch Schwazer wollte zurück auf die internationale Bühne. Und für die Umsetzung seiner Comeback-Pläne schloss er sich ausgerechnet Alessandro Donati an.

Kritische Geister werden auf merkwürdige Art erwischt

Der italienische Trainer und Wissenschaftler ist einer der weltweit führenden Doping-Bekämpfer: Er erlangte Weltruhm, als er einen gewaltigen Betrugskomplex um den italienischen Dachverband Coni und das römische Labor aufdeckte - auf seine Initiative ging Schwazers Sperre 2012 zurück. Er setzt also eine große Reputation aufs Spiel. Auf Kosten des Athleten arbeitete Donati eine üppige Überwachung aus, inklusive Dauer-Verfügbarkeit für Tests und zusätzlichen Blutuntersuchungen. Und nun trotz alldem ein Positivbefund auf anabole Steroide?

Der Fall ist sehr merkwürdig. Demnach soll eine Trainingskontrolle vom 1. Januar zunächst negativ ausgefallen sein - so wie mehr als ein Dutzend anderer Kontrollen in diesem Jahr. Kaum hatte sich Schwazer für Rio qualifiziert, habe es plötzlich eine zweite Analyse der Blut- und Urinprobe vom Jahresanfang gegeben. Und in dieser ließen sich anabole Steroide nachweisen. "Es ist ein Alptraum, ich habe mir nichts vorzuwerfen", sagte Schwazer auf einer Pressekonferenz am Mittwochabend. Sein Anwalt teilte mit: "Es kann nur Sabotage oder ein Fehler sein."

Ertappte Dopingsünder haben der Welt schon viele Ausreden präsentiert, aber in diesem Fall stellen sich nicht nur an Schwazer und Donati Fragen. Denn es fällt auf, dass das System ausgerechnet kritische Geister und Kronzeugen auf merkwürdige Art erwischt. 5000-Meter-Olympiasieger Dieter Baumann prangerte in den 90ern ständig den Umgang des nationalen Leichtathletik-Verbandes und mancher Laufkollegen mit früheren DDR-Doping-Trainern an.

Auch bei Radprofi Sinkewitz gab es Merkwürdigkeiten

Er agitierte gar vor dem Europa-Parlament und im Innenministerium. Bald darauf fanden sich in seinen Proben immer wieder Spuren von Nandrolon. Nach Erkenntnissen der einzigen Juristen, die sich präzise mit Inhalten des Falles beschäftigten, und den kriminalistischen Ermittlungen war dies die Folge eines Anschlags, bei dem die Substanz in Baumanns Zahnpastatube gemengt worden war.

Vor ein paar Jahren wiederum packte Patrik Sinkewitz umfangreich über Dopingpraktiken im Radsport aus. Danach fand er zunächst keinen Rennstall mehr, und kaum saß er wieder im Sattel, war er der erste und bisher einzige Radler, der positiv auf das Wachstumshormon HgH getestet wurde. Es war ein seltsamer Fall: Sinkewitz' Probe stammte von einem völlig unbedeutenden Rennen, und im Verfahren vor dem Internationalen Sportgerichtshof (Cas) gab es zahlreiche Merkwürdigkeiten (siehe SZ vom 9.5.2015). Und nun also der Kronzeuge Schwazer und der Doping-Bekämpfer Donati, der wegen seines Tuns natürlich viele Feinde im Sport hat?

Mit dem Zynismus, der aus solchen Fällen spricht, sollte es vielleicht nicht verwundern, wenn auch Doping-Anklägerin Julia Stepanowa bald positiv getestet würde - falls sie es doch noch nach Rio schafft.

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