Doping bei Olympia:2453 fragwürdige Tests

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Doping im Biathlon: Kurz vor Olympia wurden drei positive Proben entdeckt. (Foto: dpa)

In Sotschi müssen mehr Athleten zum Dopingtest als jemals zuvor. Doch steigt dadurch die Wahrscheinlichkeit, mehr Betrüger zu erwischen? Nach Berichten über neue Dopingmittel wächst die Skepsis. Anti-Doping-Experten stellen sogar den Sinn der Tests in Frage.

Von Lisa Sonnabend

Es ist hochwirksam, beschleunigt den Muskelaufbau rasant. Doch nachweisen kann es niemand. Ein Bericht der ARD-Sportschau über ein weitgehend unbekanntes Dopingmittel beunruhigt wenige Tage vor den Olympischen Spielen in Sotschi den Sport. Der Wachstumsfaktor Full Size MGF soll in Russland nicht nur im staatlichen Auftrag erforscht, sondern auch bei zahlreichen Sportlern bereits angewendet werden.

Es ist rund um das Thema unerlaubte Leistungssteigerung nicht die einzige schlechte Nachricht so kurz vor der Eröffnungsfeier. Drei Biathletinnen, darunter die für Olympia qualifizierte Irina Starych aus Russland, sind vom Weltverband IBU vergangene Woche vorübergehend suspendiert worden. Welche Mittel sie genommen haben, ist bislang nicht bekannt.

Die zwei Fälle zeigen einmal mehr, wie machtlos die Anti-Doping-Kämpfer dem System gegenüberstehen. Aber auch: wie wenig das Internationale Olympische Komitee dies einsehen will.

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Vor der Eröffnungsfeier in Sotschi gibt es nicht nur positive Proben beim Biathlon, sondern weitere schlechte Nachrichten in der Doping-Bekämpfung: Ein Recherche-Team stößt auf eine Substanz, die nicht nachweisbar ist - und in Russland in staatlichem Auftrag erforscht werden soll.

Von Thomas Kistner

Der neue IOC-Präsident Thomas Bach erweckt lieber den Anschein, als packe er die Dinge an. 2453 Dopingkontrollen sollen in Sotschi durchgeführt werden, verkündete er vor kurzem. Eine Rekordzahl. Bach sprach vom "härtesten Anti-Doping-Kampf jemals bei Olympischen Spielen". Die Kontrolleure werden 304 Athleten mehr als noch vor vier Jahren in Vancouver zum Test abholen. Doch steigt durch die vielen Proben auch die Wahrscheinlichkeit, dass mehr Dopingsünder auffliegen?

Der Anti-Doping-Experte Perikles Simon ist skeptisch. "Rekordzahlen hat es immer gegeben", sagt der Mainzer Professor für Sportmedizin. "Die Erfolgsquote allerdings ist konstant geblieben. Konstant niedrig." Ähnlich sieht es Fritz Sörgel, Pharmakologe aus Nürnberg. "Es werden, wenn überhaupt, Sportler aus Ländern erwischt, die sich eine gute Doping-Betreuung nicht leisten können", sagt Sörgel. "Falls ein deutscher Athlet in Sotschi auffliegen sollte, müsste man ihn gehörig schimpfen, dass er sich so blöd anstellt."

Es festigt sich der Eindruck, dass betrügende Sportler, ihre Betreuer und Ärzte den Kontrolleuren stets mindestens einen Schritt voraus sind. Neben Full Size MGF werden weitere Dopingsubstanzen vermutet, die nicht oder zumindest noch nicht nachweisbar sind, jedoch längst angewendet werden. Der Muskelbeschleuniger Aicar etwa nutzen Radsportler angeblich so exzessiv wie einst Epo, erst vor kurzem konnte eine Methode entwickelt werden, wie es nachweisbar ist. Nach drei Jahren Forschung.

Experten gehen zudem davon aus, dass Sportler immer häufiger verschiedene Dopingsubstanzen mischen, die Dosis der einzelnen Mittel ist dadurch geringer - und schwieriger nachzuweisen. "Die Perfektion beim Dopen nimmt immer mehr zu", sagt Sörgel. "Deswegen gab es so wenig positive Tests in den vergangenen Monaten." Die drei erwischten Biathletinnen sind eine Ausnahme. Ob sie unaufmerksam waren, ob sie eine Art Alibi-Opfer sind - oder ob die Fahnder womöglich wirklich einen beachtlichen Erfolg verbuchen konnten, ist aufgrund der wenigen Informationen bislang nicht zu sagen.

Ernüchternd fällt Sörgels Schätzung darüber aus, wie viele Sportler in den zwei Olympia-Wochen erwischt werden: "Weniger als 15", sagt er. Ähnlich wie 2012 in London. "Sind die Tests womöglich vergebene Liebesmüh?" Diese Frage stellt Simon in den Raum.

Sörgel und Simon fordern deswegen, neue Wege im Anti-Doping-Kampf zu gehen, da die Tests offensichtlich wenig bringen. Simon plädiert dafür, die Geldmittel anders zu verteilen und lieber die Analytik zu stärken, um neue Nachweis-Methoden zu entwickeln. "350 Millionen Euro werden für Tests ausgegeben, nur sechs Millionen für die unabhängige Forschung", sagt er. "Das ist ein Witz."

Zudem müsse die Präventionsarbeit intensiviert werden, um den Sportlern klarzumachen, dass Doping nicht normal ist, sondern dem Leistungsgedanken entgegensteht. Simon sagt: "Wenn die Hälfte der Athleten nicht ansprechbar für Doping wäre, hätten Naturtalente wieder eine Chance." Trainer und Mediziner trauten sich dann nicht mehr, Sportler anzusprechen. Athleten hörten weniger von dopenden Kollegen. Revolution von unten.

Sörgel fordert, dass beim Kampf gegen Doping Methoden der Kriminalistik angewendet werden müssten. "In London wurden Putzfrauen beauftragt, in den Hotelzimmern nach Spritzen zu suchen", sagt Sörgel. "Doch die liegen längst nicht mehr einfach im Papierkorb." Stattdessen müssten seiner Meinung nach Sicherheitskräfte in Sotschi beauftragt werden, die Sportler zu beobachten: Mit wem treffen sie sich? Mit wem tauschen sie sich aus?

Kritik üben die Anti-Doping-Kämpfer auch an der Verteilung der Tests. So führte der Welt-Skiverband (FIS) in der vergangenen Saison die meisten Tests im Langlaufen durch. 395 Urintests wurden hier nach eigenen Angaben gemacht, im Skispringen dagegen nur 99, im Freestyle 105.

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Doch wird in Ausdauersportarten wirklich mehr gedopt? Ist es also keine Überraschung, dass nun ausgerechnet drei Biathleten erwischt wurden? Dafür gebe es keine Anhaltspunkte, sagt Simon und fragt. "Warum sollte Curling weniger verseucht sein als Biathlon? Was macht der 35- bis 55-jährige Athlet, der ständig auf die Knie fällt? Wie hält er das aus? Wie präpariert er sich dafür?"

Es klingt so, als könnten bei den Olympischen Spielen viele etwas zu verbergen haben. Die Frage ist allerdings, ob es jemals an die Öffentlichkeit gelangt.

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