Tour de France:Wieder mal die Unschuld verloren

Katusha rider Paolini of Italy poses during the Tour de France cycling race presentation in Utrecht

Der Italiener Luca Paolini bei der Team-Präsentation für die Tour de France in Utrecht, Niederlande.

(Foto: REUTERS)
  • Der Italiener Luca Paolini sorgt für den ersten nachgewiesenen Dopingfall bei der Tour de France seit dem Luxemburger Fränk Schleck 2012.
  • Der Zeitpunkt und das Dopingmittel Kokain hinterlassen allerdings Fragen. Die Umstände des Falls sind rätselhaft.
  • Die Katjuscha-Mannschaft, für die der 38-Jährige fährt, beschäftigt Ärzte und Verantwortliche mit einer einschlägigen Vergangenheit.

Von Johannes Aumüller, Plumelec

Irgendwann ist am Sonntagnachmittag natürlich auch die Katjuscha-Equipe auf die Strecke gegangen, um die eindrucksvollen Bilder zu produzieren, die das Mannschaftszeitfahren liefert. Wie so mancher Konkurrent ist das Team da schon nicht mehr komplett gewesen nach den vielen Karambolagen der ersten Woche. Doch im Fall von Katjuscha war der Grund für die Absenz eines Fahrers deutlich heikler als ein Sturz: Ihr italienischer Profi Luca Paolini, 38, hat die Rundfahrt am Wochenende wegen eines Dopingverstoßes verlassen müssen - ein Positivtest auf Kokain.

Die Tour hat damit ihre kurzzeitig wiedererlangte Unschuld verloren, das ist die eine Geschichte hinter diesem Fall. In den vergangenen beiden Jahren haben ihre Organisatoren ja behaupten dürfen, dass es keinen einzigen auffälligen Befund gab. Dass "null Positivfälle" nichts heißen muss und nichts über die wirkliche Sauberkeitsrate im Feld sagt, ist bekannt, aber nun gibt es offiziell den ersten Dopingfall bei der Tour seit 2012 - damals war dem Luxemburger Fränk Schleck ein Verschleierungsmittel nachgewiesen worden.

Ein veraltetes Dopingmittel

Darüber hinaus ist der Fall merkwürdig. Paolini ist nach der vierten Etappe am vergangenen Dienstag positiv getestet worden, einem Abschnitt, den er auf Rang 172 abgeschlossen hatte. Der Italiener behauptete auch gleich, er habe nie Kokain genommen. "Wir sind sehr überrascht, da Kokain keine Substanz ist, die die Leistung steigert", sagte Katjuscha-Sprecher Philipp Maertens, wobei das so allgemein nicht richtig ist. Eine bessere Stimmung ist der Leistung sicher nicht abträglich, und das Durchhaltevermögen kann die Einnahme von Kokain auch erhöhen - nicht von ungefähr kauen die Einwohner manch südamerikanischen Landes seit Jahrhunderten Koka-Blätter gegen die Übermüdung. Zudem ist bekannt, dass es in der Frühphase der Tour de France regelmäßig im Medikamentenbeutel der Fahrer zu finden war.

Andererseits hat Maertens recht: Ein typisches Dopingmittel ist Kokain heutzutage nicht gerade. Und wenn in der jüngeren Vergangenheit von Fußballer Diego Maradona über Tennisspielerin Martina Hingis bis hin zu Hochspringer Javier Sotomayor Athleten damit erwischt worden sind, dann hat die Allgemeinheit eher nicht die bewusste Leistungssteigerung für den Wettkampf angenommen. Paolini gilt zwar als jemand, der einer ausschweifenden Party im Zweifel nicht abgeneigt ist, dennoch stellt sich die Frage, warum er so dumm gewesen sein soll, kurz vor oder gar während der Tour den Stoff zu nehmen. Die Anti-Doping-Regeln unterscheiden bei Kokain: Im Wettkampf ist es verboten, im Training hingegen erlaubt, je nach Konzentration ist es bis zu zehn Tage im Urin nachweisbar.

Sehr rätselhafte Konstellation

Interessant wäre in diesem Zusammenhang zu wissen, ob Paolini schon Kokain im Körper hatte, als bei ihm am 2. Juli, wie bei allen Tour-Teilnehmern, eine Blutprobe genommen wurde. Allerdings diente diese nicht als Grundlage für einen normalen Dopingtest, bei dem ein Kontrolllabor nach verbotenen Substanzen sucht. Sie war nur Teil des Blutpass-Programms, für das in regelmäßigen Abständen die Parameter des Blutes bestimmt werden, um Abweichungen zu erkennen. Anders als die normalen Proben werden diese Proben in der Regel bald vernichtet. Ob es diesmal ausnahmsweise anders gehandhabt wurde, will die UCI nicht mitteilen.

Wegen der rätselhaften Konstellation hat es natürlich nicht lange gedauert, bis Versionen kursierten, wonach irgendjemand Paolini etwas in die Trinkflasche gemixt habe. Anti-Doping-Experten treibt bei solchen Funden generell noch ein anderer Ansatz um. Wenn sich ein Sportler kurz vor einem wichtigen Wettkampf wieder fremdes oder eigenes Blut in den Körper führen lässt, das vor einigen Monaten entnommen und zwischenzeitlich gelagert wurden, können auch solche Substanzen wie Kokain wieder in den Kreislauf gelangen. Allerdings muss dafür die ursprüngliche Konzentration sehr hoch gewesen sein.

Katjuscha-Ärzte mit einschlägiger Vergangenheit

Der Katjuscha-Mannschaft kommt der Fall höchst ungelegen. Die Equipe - einst von einem Putin-nahen Oligarchen namens Igor Makarow aufgestellt und wahlweise nach einem alten russischen Volkslied oder einem Raketenwerfer aus dem Zweiten Weltkrieg benannt - hat schon ein schlechtes Image. 2011 und 2012 hatte sie diverse Epo-Fälle in ihren Reihen, weshalb sie beinahe die Lizenz verlor; erst ein Urteil des Internationalen Sportgerichtshofes rettete sie.

Parallel zur ersten Tour-Woche eroberte bei der Österreich-Rundfahrt Katjuscha-Mann Angel Vicioso das Trikot des Gesamtführenden - ein ehemaliger Kunde des berüchtigten Blutdoktors Eufemiano Fuentes. In Katjuschas Team ist zum einen ein Arzt, der einst beim Team Gerolsteiner war - in Zeiten, als das Dopingklima dort "doch eher freundlich" gewesen sei, wie das Landgericht Stuttgart in einem Prozess feststellte. Und zum anderen arbeitet dort Andrej Michailow, der schon Ende der Neunziger gestehen musste, als Arzt der TVM-Mannschaft das Blutdopingmittel Epo von Spanien nach Frankreich transportiert zu haben. Er sagte, dies sei für ein Kinderhospital in Russland gedacht gewesen. Das Gericht verurteilte ihn wegen organisierten Dopings zu einem Jahr auf Bewährung und einer Geldstrafe.

"Das schädigt unser Image", sagte nun Teamchef Wjatscheslaw Jekimow: "Ich hoffe auf Antworten durch die B-Probe. Wir verfolgen eine strikte Anti-Doping-Politik." Dieses klare Sauberkeitsbekenntnis gibt übrigens jener Wjatscheslaw Jekimow ab, der zu den treuesten Domestiken von Lance Armstrong zählte, als dieser bei US Postal sein ausgeklügeltes Dopingsystem betrieb.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: