Doping-Arzt vor Gericht:Fuentes' Talent als Geschichtenerzähler

Fußball, Tennis, Leichtathletik: Doping-Wegbereiter Eufemiano Fuentes gesteht beim Prozess in Madrid, dass er nicht nur bei Radfahrern Bluttransfusionen durchführte - Nachfragen ergeben sich vor Gericht dadurch nicht. Weil die Verhandlungssache "nur die Öffentliche Gesundheit" betrifft, könnte Wesentliches ungeklärt bleiben.

Von Andreas Burkert, Madrid

Eine Stunde steht er vorne vor dem Pult der Richterin, zwischen den beiden liegt auf dem Tisch ein Aktenberg. Eufemiano Fuentes blättert in dem Stapel, es handelt sich um Auszüge aus jenen Ermittlungsakten der Guardia Civil zu ihrer Operación Puerto, wegen der er angeklagt ist. Ein Teil der Akten ist für Kundige mit ein paar Klicks im Internet zu finden, es handelt sich um Fotos von Zentrifugen, Blutbeuteln und Medikationsplänen des Teams Liberty, dem Fuentes während seiner Enttarnung als Blutpanscher und Dopingbeschaffer diente.

Es geht sehr technisch zu, wobei Fuentes, in der Hand ein Mikrofon und vor seinem Schlips die Brille baumelnd, ein Talent als Geschichtenerzähler offenbart. Im Zwiegespräch weist er die Staatsanwältin in Feinheiten der Lagerung und Codierung von Blutbeuteln ein. Irgendwann sagt sie: "Ich verstehe nichts."

Zum trockenen Fachseminar gerät am Dienstag vor der 21. Strafkammer der Madrider Justiz die vierstündige Anhörung des Hauptangeklagten. Fuentes hat kein Problem damit, die Feinheiten seiner Spezialität zu erläutern, des verbotenen Blutaustauschs, er geht regelrecht darin auf, sein in den 80er Jahren vor allem in Osteuropa erworbenes Wissen preiszugeben.

Dabei ist er stets darauf bedacht, die kompetente Ausführung zu betonen. Denn darum geht es ja allein in dem Verfahren: Ob Fuentes die Gesundheit der Sportler gefährdete. Und nicht um jene Antwort, die der Arzt aus Gran Canaria vorhin gegeben hat:

"Betrafen die Transfusionen nur Radfahrer", fragte die Anklage. - "Nein, auch andere Sportarten." Zuvor hat er bereits ausgesagt: "2006 habe ich Sportler aus vielen Bereichen betreut: Fußballer, Boxer, Leichtathleten." Auch Tennis erwähnte er. Das ist eigentlich ziemlich interessant und ein bisschen mehr als das, was man ihm an Offenbarung zugetraut hat. Aber die Staatsanwaltschaft verfolgt diese Spur nicht. Keine Nachfragen. Nichts.

Dabei ist dies die zweite, die übergeordnete Ebene eines Sportskandals, der eine kleine Ewigkeit währt seit der Verhaftung von Fuentes im Mai 2006. Aber Spaniens Sport muss nicht zittern um seine kickenden Helden oder Medaillengewinner. Das stand schon zu Beginn des langen Tages fest, als Richterin Julia Patricia Santamaría explizit erklärte, Prozessgegenstand sei "nur die Öffentliche Gesundheit".

Doping ist in Spanien erst seit 2006 strafbar; doch dass die Justiz auch an mutmaßlicher Steuerhinterziehung nicht interessiert ist, ist erstaunlich angesichts von bis zu 60.000 Euro, die Fuentes von Topfahrern pro Jahr kassierte. Eine Beweisführung bei alledem wäre womöglich auch über die Sichtung seiner Computer. Aber diesen Antrag hat das Gericht am Morgen abgelehnt. Dies verstoße "gegen die Privatsphäre des Angeklagten".

Blutbeutel in Kühlfächern

So droht das öffentliche Interesse an der Reinheit seiner Idole zurückstehen zu müssen. Die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) ist zwar am Dienstag noch nicht zurückgewiesen worden mit ihrem Begehr, die angeblich rund 100 im Labor von Barcelona gelagerten Blutbeutel aus Fuentes' Kühlfächern zur sportrechtlichen Verwertung zu erhalten. Bis Ende der Woche verlangt das Gericht eine schriftliche Begründung hierzu, danach will es über den Antrag befinden - ein jahrelanges Folgeverfahren dürfte sich anschließen.

Bis jetzt sind aber erst 58 Fahrer der etwa 200 Fuentes-Klienten identifiziert. Wie die Wada codierte Beutel Fußballern oder anderen Athleten zuordnen will, ist ebenso unklar wie die Kraft der spanischen Anti-Doping-Agentur (aea), im Erfolgsfall entsprechende Verfahren durchzuführen. "Ich verstehe, dass Spanien international gerade kritisch gesehen wird bezüglich der Doping-Problematik", sagt Direktorin Ana Munoz Merino, "aber bei uns ändert sich jetzt etwas, denn Spanien darf sich bei der Aufklärung nicht mehr von anderen Ländern unterscheiden."

Eufemiano Fuentes wird dazu nichts beitragen. Drei Radprofis benennt er im Verhör als seine Klienten, die einschlägig bekannten Landsleute Roberto Heras (früherer Vuelta-Sieger), Unai Osa und Santiago Botero. Ansonsten schützt er die Gefährten, die Mitangeklagten auf den Stühlen hinter ihm: Schwester Yolanda, eine Ärztin ("wusste nichts von den Transfusionen"), Liberty-Boss Manolo Saiz ("weiß nicht, ob er davon wusste"), Laborchef José Ignacio Labarta ("ein Spezialist, nur er oder ich haben die Transfusionen durchgeführt, niemand sonst") und auch Kelme-Teamchef Vincente Belda ("war nie Arzt des Teams").

Wie Fuentes die Dinge für sich sortiert, wirkt manchmal richtig frech. Nicht nur Kelme habe er nie betreut, auch Liberty eigentlich nicht - und in den Akten, das seien "Renn-, aber keine Medikationspläne". So geht es ständig weiter: Das sichergestellte Epo sei für die krebskranke Tochter gewesen und die übrigen verbotenen Medikamente "für den familiären Gebrauch". Auf Fragen zu den Epo-Symbolen in seinen Plänen antwortet Fuentes dann nicht mehr.

Bis Ende März ist der Prozess angesetzt, Fortsetzung Mittwoch, und so lange wird sich Fuentes kaum für den Sport einsetzen - kleine Geld- und Bewährungsstrafen gilt es abzuwenden. Ein paar Hürden muss er aber noch nehmen, so ließ das Gericht am Dienstag den US-Kronzeugen Tyler Hamilton zu, der von seinen Erfahrungen bei Fuentes und dessen Reden über Fußballer berichten kann.

Radprofis wie Spaniens Tour-Sieger Alberto Contador (früher Liberty) und Saxo-Manager Bjarne Riis (einst Hamiltons Chef) werden bangen müssen. Sie sind alte Bekannte.

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